Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) eilen an den Tatort eines Familien-Verbrechens. Die Wunden sind noch frisch. Sie finden die tote Michaela Danzer und ihren angeschossenen, bewusstlosen Lebenspartner Daniel Ruppert (Harald Windisch). Wenig später wird Quirin (Florian Mathis), der sechsjährige Sohn der Toten, völlig verstört aufgefunden. Am nächsten Tag ist der Junge verschwunden. Ruppert wird notoperiert, dabei macht der Arzt eine ungewöhnliche Entdeckung: die Narbe einer alten Schussverletzung. Die führt die Bayern-Cops zu einem Fall aus der Vergangenheit: einen versuchten Familiensuizid vor 15 Jahren. Hat sich das Verbrechen quasi wiederholt? Damals war Ruppert der Täter, tötete Frau und Sohn, ließ aber seine siebenjährige Tochter laufen. Die heißt Emma (Anna Drexler) ist jetzt eine junge Frau, für Batic und Leitmayr aber unauffindbar. Eine heiße Spur führt die beiden in den Münchner Tierpark, wo Emma alias Ella als Tierpflegerin arbeitet.
Der BR hat bei der „Tatort“-Reihe die Latte ziemlich hoch gelegt, zwei Münchner Fälle wurden bereits mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet – einer davon war „Nie wieder frei sein“. Der stammte aus der Feder von Dinah Marte Golch. Die Autorin hat jetzt mit Claus C. Fischer auch den neuen Münchner „Tatort – Einmal wirklich sterben“ (2015) geschrieben. Fischer ist erfolgreicher Schriftsteller („Erlösung“), Erfinder des Amsterdamer Commissaris Bruno van Leeuwen und auch schon Autor des BR-“Tatort – Schneetreiben“ aus dem Jahre 2005. Der Titel würde auch gut zu einem James-Bond-Abenteuer passen, hier verbirgt sich aber dahinter kein wildes Action-Abenteuer, sondern ein eindringliches, intensives Familiendrama. Und das auf zwei Zeitebenen. Da ist ein Mann, der beinahe seine gesamte Familie ausgelöscht hat, weil er nach dem Verlust der Firma und des Hauses keinen Ausweg mehr sieht und somit auch die Hoffnung seiner Lieben tötet. Doch der Krimi geht weiter: Was passiert, wenn ein Kind, das eigentlich auch sterben sollte, überlebt. Wie lebt es mit diesem traumatischen Erlebnis? Und wie geht es damit um, dass auch der Täter, ihr Vater, weiterlebt und gerade im Begriff ist, mit einer neuen Familie in die Zukunft zu gehen?
Die Autoren haben diesen Stoff erzählerisch klug zu einem eindringlichen Krimidrama verdichtet. Im Mittelpunkt steht Emma, die die volle emotionale Aufmerksamkeit auf sich zieht, ohne in der Handlung übermäßig präsent zu sein. Dennoch drängt diese Figur die Kommissare deutlich in den Hintergrund. Die haben angesichts der Schwere des Themas dieses Mal kaum Gelegenheit zu granteln oder zu witzeln, dürfen allenfalls mal bei der Interaktion mit ihrem Sidekick Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) ein paar Giftpfeile verschießen. Markus Imboden hat den Krimi ungeschönt, teilweise sehr düster und atmosphärisch dicht in Szene gesetzt. Emmas Beziehung zu den Tieren im Zoo wird bildlich geschickt eingefangen (Kamera: Martin Farkas), gibt Einblicke in die Seelenwelt der jungen Frau in einer Ausnahmesituation. Der Regisseur hat zwei Verbrechen zu erzählen, die eng miteinander verbunden sind. So arbeitet er viel mit Rückblenden, die geschickt mit der Gegenwart verwoben sind. Die Kommissare agieren bei Imboden gewohnt bodenständig, schnörkellos und diesmal eher zurückgenommen. Ermittlungsspannung hat auch dieser „Tatort“ zu bieten, sie steht aber nicht im Vordergrund. Der Fokus liegt auf denjenigen, die die Emotionen transportieren: der Familienvater und die kleine Tochter in den Rückblenden, Emma in der Gegenwart. „Ella hat die Sache nicht überlebt“, sagt Ella, die jetzt Emma heißt, über das traumatische Erlebnis in ihrer Kindheit, das sie nie verarbeitet hat, das aber erst wieder in voller Wucht zum Ausbruch kommt, als sie dem Mann begegnet, der ihr die Familie genommen und sie mit vorgehaltener Pistole und den Worten „Lauf, Schneeflöckchen, lauf“ aus dem Haus geschickt hat. Das Psychologische, das Abgründige, das Traumatische bestimmt diesen „Tatort, die Krimi-Elemente rücken dagegen in den Hintergrund.
„Ich möchte Filme machen, die von Menschen erzählen“, sagt Regisseur Markus Imboden, der zuletzt mit „Die Eisläuferin“ eher eine maue Politkomödie gedreht hat. Das ist ihm hier wieder eindrucksvoll gelungen. Nicht zuletzt, weil er in der bislang noch nicht so stark in Erscheinung getretenen Schauspielerin Anna Drexler eine tolle Besetzung für die Emma gefunden hat. Über die Düsternis nähert die sich der Figur, bringt die unterschiedlichen Rhythmen der jungen Frau sehr gut zum Ausdruck, trägt in Mimik und Gestik nicht zu stark auf. Die Balance stimmt – bis zum (bitteren) Ende. Diese Emma ist brandgefährlich, zugleich zerbrechlich und hilflos. Ihre Unberechenbarkeit ist es, die den Film dramaturgisch vorantreibt. Ein sehenswerter „Tatort“ aus München (wo, wie gesagt, die Latte hoch liegt)