Tatort – Ein Freund, ein guter Freund

Prahl, Liefers, Meyer, Schütte, Madani, Hessler, Rattenni. Loyalität oder Tod

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Den zunächst ebenso unterhaltsamen wie fesselnden „Tatort“ aus Münster (WDR / filmpool fiction) ereilt in der zweiten Hälfte ein fataler Spannungsabfall: Dem Film geht nicht nur die Geschichte aus, auch die Besonderheiten der Inszenierung büßen an Originalität ein. Dabei ist die Handlung zunächst durchaus fesselnd. Nach der Ermordung eines Anwalts, mutmaßlich durch einen unzufriedenen Mafia-Mandanten, ist offenbar auch der beste Freund von Boerne (Liefers) zwischen die Fronten geraten: Eigentlich wollte Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte), ebenfalls Strafverteidiger, mit Gattin Veronika (Proschat Madani) auswandern, aber nun ist er entführt worden; und Thiel (Prahl) ahnt, dass die Verbrechen zusammenhängen. Die Szenen mit Liefers und Prahl sind gewohnt amüsant, die Bildgestaltung erfreut durch viel Liebe zum Detail, aber der Split-Screen-Effekt ist irgendwann abgenutzt.

Im Sport kommt es immer wieder mal zu unerklärlichen Aussetzern: Der Topstürmer verfehlt das leere Tor, der routinierte Rennfahrer macht einen Anfängerfehler, der Zehnkämpfer versagt ausgerechnet in seiner Paradedisziplin. Das Phänomen kann auch ganze Mannschaften treffen: zur Pause 2:0 geführt und das Spiel dominiert, aber am Ende 2:3 verloren. Beim 42. „Tatort“ aus Münster fällt die Bilanz ähnlich aus: In der ersten Hälfte ist „Ein Freund, ein guter Freund“ unterhaltsam, witzig und spannend, aber in der zweiten kommt es zu einem fatalen Spannungsabfall. Das spricht nicht gerade für die Regie, doch die Ursache liegt vermutlich auch im Drehbuch: Es passiert schlicht nichts mehr. Natürlich ereignet sich noch allerlei, aber im Grunde hätten sich die zweiten 45 Minuten auch auf 15 reduzieren lassen.

Tatort – Ein Freund, ein guter FreundFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Feierliches Goodbye: Veronika (Proschat Madani) und Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte) wandern nach Mittelamerika aus. Prof. Boerne (Jan Josef Liefers), guter Freund des Hauses, ist mal wieder mittendrin. Am nächsten Tag wird Fabian entführt.

Dabei beginnt der Film vielversprechend: Anwalt Weber (Hadi Khanjanpour) hat Besuch von seinem wichtigsten Klienten. Das Gespräch nimmt alsbald Formen einer Befragung an, die zu Zeiten der Inquisition als hochnotpeinlich bezeichnet worden wäre: Nino Agostini (Claudio Caiolo) packt zwar keine Folterinstrumente aus, aber das braucht er auch nicht; der Mann ist ein Mafioso, wie er im Buche steht, und offenkundig höchst unzufrieden mit der Arbeit des Advokaten. Als der Jurist Tags darauf erschossen aufgefunden wird, kann an der Urheberschaft dieses Mordes kein Zweifel bestehen: Wer für die Mafia arbeitet, hat nur die Wahl zwischen Loyalität und Tod. Agostini mag die Tat nicht selbst begangen haben, hat sie aber garantiert in Auftrag gegeben. Derweil feiern Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte mit verwegenem Toupet) und Gattin Veronika (Proschat Madani) ein feuchtfröhlich-melancholisches Abschiedsfest: Das Ehepaar wird nach Guatemala auswandern. Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) hält eine launige Rede, er ist den beiden seit den gemeinsamen Jugendjahren innig verbunden; Veronika ist immer noch seine große Liebe. Am nächsten Tag wird Fabian entführt, und Kommissar Thiel (Axel Prahl) ahnt, dass es einen Zusammenhang mit dem Mord geben könnte: Boernes bester Freund war Vorstandsmitglied der örtlichen Anwaltskammer und hatte über Weber und dessen Partner Nowak (Hendrik Heutmann) zu befinden, als den beiden der Verlust ihrer Lizenz drohte. Steckt Agostini also auch hinter der Entführung?

Autor Benjamin Hessler hat zuletzt einen sehenswerten Beitrag zur ARD-Krimireihe „Harter Brocken“ geschrieben: „Das Überlebenstraining“ (2022) war ein cleverer Mix aus Thriller, Abenteuer und Humor. „Ein Freund, ein guter Freund“ bietet ebenfalls eine Stunde lang gute Unterhaltung, aber dann geht dem Film die Geschichte aus. Auch handwerklich büßt der Krimi an Originalität ein: Zunächst sorgt der geteilte Bildschirm für optische Abwechslung, doch mit zunehmender Dauer wirkt das Stilmittel wie eine bloße Spielerei. Der „Tatort“ ist die dritte Regiearbeit von Janis Rebecca Rattenni; zuvor hat sie nach diversen Serienfolgen eine durchwachsene Episode für „Kommissar Dupin („Bretonische Idylle”, ARD, 2022) sowie den ersten „Flensburg-Krimi“ (2021) gedreht. Kameramann war in beiden Fällen Victor Voß, dessen Bildgestaltung dank des Muts zu knalligen Farben auch im „Tatort“ bemerkenswert ist: giftgrün im Institut für Rechtsmedizin, tiefblau im Befragungsraum des Präsidiums; ansonsten dominieren vor allem herbstlich warme Farben. Im Gegensatz zum schließlich inflationär verwendeten Split-Screen-Verfahren hat der deutlich sparsamer eingesetzte Effekt, die Kamera um ihre Längsachse kreisen zu lassen, eine verblüffende Wirkung; unter anderem scheint sich auf diese Weise Fabians Gefängnis in eine unheilverkündende Rotation zu begeben. Die Liebe zum optischen Detail zeigt sich auch bei einem schönen Übergang von einem Autorad auf eine Schallplatte oder durch einen ausgefallenen Blickwinkel beim Holzhacken.

Amüsant wie stets sind die Szenen mit Prahl und Liefers, wobei gerade letzterer mitunter etwas übers Ziel hinausschießt; andererseits ist es einfach witzig, wie es Liefers gelingt, selbst aus schlichten Momenten wie der Gesichtserkennung durchs Smartphone oder der Rekonstruktion des Tathergangs Auftritte mit großer Geste zu machen. Für die gebürtige Italienerin Rattenni war es außerdem garantiert ein Fest, mit Agostinis Hilfe die Liebe ihrer Landsleute zum übertriebenen Kitsch zu parodieren. (Text-Stand: 20.10.2022)

Tatort – Ein Freund, ein guter FreundFoto: WDR / Thomas Kost
Seit 20 Jahren ein eingespieltes Team: Rechtsmediziner Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) und Silke Haller (ChrisTine Urspruch)

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Reihe

WDR

Mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, ChrisTine Urspruch, Björn Meyer, Jan Georg Schütte, Proschat Madani, Claudio Caiolo, Hendrik Heutmann, Hadi Khanjanpour, Uwe Rohde, Katja Danowski, Mechthild Großmann, Claus-Dieter Clausnitzer

Kamera: Victor Voß

Szenenbild: Götz Harmel

Kostüm: Martina Jeddicke

Schnitt: Steffen Pohl

Musik: Michael Klubertanz.

Soundtrack: Prince („Sometimes It Snows In April“)

Redaktion: Sophie Seitz

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer

Drehbuch: Benjamin Hessler

Regie: Janis Rebecca Rattenni

Quote: 13,63 Mio. Zuschauer (41,7% MA); Wh. (2024): 6,48 Mio. (26,3% MA)

EA: 13.11.2022 20:15 Uhr | ARD

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