Der Tod von Martina Bönisch sitzt den Kollegen noch immer in den Knochen. Faber (Jörg Hartmann) ist krankgeschrieben und versucht das Unmögliche: irgendwie den Kopf freizukriegen. Seine Kollegen Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und Jan Pawlak (Rick Okon) bekommen es derweil mit einem Fall ohne Leiche zu tun. Die riesige Blutlache im Dortmunder Westpark lässt vermuten, dass das Opfer, der Immobilienhai Andreas Richter, nicht mehr am Leben ist. Vor einem halben Jahr ist ganz in der Nähe schon einmal ein Mensch verschwunden, ein junger Drogendealer. Seine Kumpels aus dem Park sind fest davon überzeugt, dass er ermordet wurde. Eher zufällig stoßen die jungen Kommissare auf einen Mann namens Josef Faber (Wolfgang Rüter), ein schräger Vogel und: der Vater ihres Chefs. Der ist eigentlich nicht verdächtig, aber seltsam ist es schon, dass er nicht nur – wie alle im Kreuzviertel – diesen Richter auf dem Kieker hatte, sondern auch mit dem vermissten jungen Mann eine Privatfehde führte. Spätestens jetzt weiß Faber, dass er die Vergangenheit, die Wut auf seinen Vater, ruhen lassen muss. Der alte Mann braucht Hilfe. Das bestätigt auch Fabers alter Kumpel Martin Engel (Andreas Schröders). Denn Faber Senior leidet unter Demenz.
Nach dem auch für den Zuschauer unerwarteten tragischen Abgang von Martina Bönisch, der in „Liebe mich!“ (2/2022) als Schock inszeniert werden konnte, weil Anna Schudts Ausstieg aus der Reihe vorher nicht publiziert wurde, war anzunehmen, dass das Rest-Trio in der darauffolgenden Episode nicht zur Tagesordnung übergehen wird. Und so ist der „Tatort – Du bleibst hier“ eine emotional aufgeladene, psychologisch packende filmische Trauerarbeit geworden. Keine leichte Kost. Das waren die Macher nicht nur dieser außergewöhnlichen Figur und ihrem Andenken, sondern auch den „Hinterbliebenen“ schuldig. Faber, der sich nach dem Tod seines Erzfeindes Markus Graf die letzten Jahre seelisch berappelt hat, sich mehr und mehr von einem psychischen Wrack zu einem liebenswert sarkastischen Zeitgenossen entwickelte, muss nun vorübergehend zurückkriechen in das Loch, aus dem er sich befreit hatte. Anders würde die Figur ihre Glaubwürdigkeit verlieren und würde man ihre bisher so stimmig – vor allem von Autor Jürgen Werner – entwickelte Biographie verraten. Schön, dass man beim WDR und der Bavaria Fiction in Sachen Dortmunder „Tatort“ so konsequent bleibt. Jörg Hartmann war es besonders „wichtig, der Trauer um Bönisch, dieser schmerzlichen Leerstelle, dem Verlust genug Raum zu geben“. Er ist jetzt der Letzte, der vom Ur-Quartett von 2012 übriggeblieben ist. Für seinem 22. „Tatort“ als Faber hat er nun zum ersten Mal auch das Drehbuch geschrieben, das von Jürgen Werner überarbeitet wurde
„Du bleibst hier – versprochen“, das waren Bönischs letzte Worte. Sie ist in den Armen Fabers gestorben. Dieser letzte Wille ist es wohl, der diesen Mann mit dem Faible für Hochhausdächer daran hindert, zum letzten Sprung anzusetzen. Dass die Vergangenheit helfen kann, um einen unermesslichen Schicksalsschlag zu verarbeiten und sein Leben möglicherweise neu zu ordnen, hat unlängst erst Mark Waschkes Karow im ersten Post-Rubin-„Tatort – Das Opfer“ erfahren dürfen. Da war es der geliebte Freund aus der Jugend. Im Falle Faber ist es der Vater, ein alter Mann, dem der Heißsporn jahrzehntelang nicht verzeihen konnte. Er macht ihn verantwortlich für den frühen Tod der Mutter. Die Wahrheit aber ist eine andere als die, die sich Faber zurechtgelegt hat. Der Kommissar muss also nicht nur seinem dementen Vater beim Mordfall und bei seiner Erkrankung beistehen, er muss auch (s)ein Gefühl der Schuld abtragen. Davor aber bekommt Faber in einer sehr bewegenden, geradezu magischen und wunderbar inszenierten Szene in einer Kirche (s)einen ganz persönlichen Abschied von Martina Bönisch. „Jetzt mal nicht sentimental werden; lach‘ doch mal, ist gut gegen Hängebacken“, hört er sie sagen. Und er vernimmt ihr „danke“, dafür, dass er geblieben ist. Dass es möglicherweise wieder aufwärts geht mit Faber, ein Bild, das die erste Sequenz des Films als Metapher für die 90 Minuten vorwegnimmt (er springt in ein Speicherbecken, geht unter – und taucht wieder auf), zeigt sich bereits in der Nacht vor dem Kirchgang. Faber initiiert eine feuchtfröhliche Runde mit Herzog und Pawlak. Ein Leichenschmaus auf Faber-Art: flüssig, laut, kraftvoll. Am Ende tanzen die drei zusammen, Arm in Arm. Keine Frage, das Leben hat ihn wieder! Und: Faber will Verantwortung übernehmen.
Auch filmästhetisch ist „Du bleibst hier“ sehr überzeugend ausgefallen. Das Sujet, die Themen und der Drehmonat März lassen einen düsteren Look erwarten. Regisseur Richard Huber („Der König von Köln“, „Tatort – Der Irre Iwan“), kein Mann fürs Schwelgen in Depri-Stimmungen, und Dominik-Graf-Kameramann Hendrik A. Kley haben einen visuellen Grundton gefunden, der den Wandel der Stimmungslagen einfängt, die Lebensrealität der Menschen glaubhaft spiegelt und darüber hinaus mit der westfälischen Gemütlichkeit und den kleinen Dönekes von anno dunnemals auch ein bisschen auf die Nostalgie-Düse drückt. Und dann sind da die Bilder, die besonders haften bleiben: Faber taucht ab in die Unterwelt der Stollen, es ist ein Abstieg ins Unterbewusste, ins Verdrängte. Der Mann um die 60 beschwört Erinnerungsbilder aus einer Kindheit herauf. Hier unten liegt des Krimis Lösung, aber der Stollen ist gleichzeitig auch Ort der Erlösung, was den Vater-Sohn-Konflikt angeht. Dort unten sprechen sie wieder miteinander, konzentriert, wahrhaftig, hochintensiv. Zerfurchte Gesichter schälen sich aus dem Dunkel. Dieses Vater-Sohn-Drama und die Trauer um Bönisch prägen zugleich den Krimiplot, bei dem erwartungsgemäß die klassische Genre-Spannung in den Hintergrund rückt und der angemessen leise und introvertiert sein Ende findet. Zu guter Letzt sieht Faber auch wieder ganz „manierlich“ aus, erst musste die verwilderte Mähne, am Ende dann der gewaltige Vollbart dran glauben. Der große Wert von „Du bleibst hier“ liegt in der emotionalen Standortbestimmung für das Dortmunder Team. Faber kommt wieder zu sich. Das Trio scheint einen Weg für eine gemeinsame Zukunft gefunden zu haben. Weitere Privatkonflikte zeichnen sich allerdings ab. Der „Tatort“ Dortmund bleibt also seinem Konzept des moderat horizontalen Erzählens treu.