Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) ist verliebt. „Streuner werden niemals häuslich“, kommentiert Freddy Schenk (Dietmar Bär) die Schmetterlinge im Bauch des Kollegen. Doch die Sache mit Nicola (Jenny Schily) ist mehr als das, das ist keine Affäre, sondern eine Herzensangelegenheit, realistisch und zugleich romantisch, erwachsen: eine späte Liebe. „Sie hat ihr Leben, und ich kann meins behalten.“ Eine wichtige Voraussetzung für einen, der seit 27 Jahren aus Überzeugung Verbrecher jagt. Als Herausgeberin eines Stadtmagazins ist auch sie engagiert. Also perfekt! Wäre da nicht dieser aktuelle Fall: Ein Mann ist vorsätzlich überfahren worden. Offensichtlich hat er C-Promis und andere Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, mit ihren Jugendsünden erpresst. Eines seiner Opfer könnte die ehemalige Schlagersängerin Mariella Rosanelli (Leslie Malton) gewesen sein, die sich mit „Kids4Care“, einem in Köln sehr geschätzten Sozialprojekt für Jugendliche, keinen Imageverlust leisten kann. Ein wunder Punkt in ihrer Biographie ist die sexuelle Beziehung zu einem Mann, der Ende der 1990er Jahre Jugendchorleiter war, der wenig später als „Kinderficker“ durch die Presse ging und schließlich verurteilt wurde. Dass diese Frau ausgerechnet seit ihrer Jugend mit Nicola befreundet ist, gibt Ballauf zu denken. Und bei jener Jugendfreizeit 1989, die den Missbrauchsskandal ins Rollen brachte, soll sie auch als Betreuerin dabei gewesen sein.
Weil Ballauf liebt, ermittelt er in „Diesmal ist es anders“, dem 90. „Tatort“ aus Köln, lange Zeit solo, offenbar in der Hoffnung, seine Liebe noch irgendwie retten zu können. Möglicherweise geht aber auch nur sein professioneller Ermittler-Blick mit ihm durch. Wer ständig mit Mord und Totschlag zu tun hat, nimmt immer nur das Schlimmste an, ein sensibler Mann, der jahrelang alles mit sich selbst ausgemacht hat, mehr als einer wie Schenk, der auf die Fragen des Lebens einfachere Antworten hat. „In der Liebe muss man immer an das Beste glauben“ – Mit diesem Satz bringt Ballaufs Ex-Kollegin und Ex-Affäre Lydia (Juliane Köhler) den Widerspruch zwischen der Arbeit als Mordaufklärer und der Liebe auf den Punkt. Misstrauen ist tödlich für eine Liebesbeziehung, wie sie der Kommissar sich ersehnt. Es ist also weniger das Streuner-Leben, das Ballaufs Liebesglück erschwert, es ist sein Beruf. Ballauf ist 27 Jahre lang zuerst Polizist, dann erst Mensch. Das ist der Kern von Wolfgang Stauchs Geschichte. Es ist ein Whodunit mit wenigen Verdächtigen und mit einer umso größeren psychologischen Intensität. Dabei gelingt dem Drehbuch das Kunststück, die klassische Krimi-Spannung (Gefahrenlage, Täter-Überführung) mit der hohen Emotionalität, die das Liebesdrama besitzt, kurzzuschließen, ja, in der Wahrnehmung verschmelzen zu lassen. So kommen beide Genres zu ihrem Recht.
Der erste Verdachts-Moment, der Blick auf die Titelseite des Magazins seiner Liebsten, die das Konterfei der stadtbekannten Wohltäterin zeigt, inszeniert Regisseur Torsten C. Fischer etwas überdeutlich – mit einem leicht unheilvollen, das Misstrauen heraufbeschwörenden Unterton. Ab da ahnt der Zuschauer: Die zwei Frauen kennen sich nicht nur, nein, da muss mehr sein. Der Gedanke gerät aber erst mal wieder in den Hintergrund, da zunächst diese alte Geschichte, der Missbrauch von Schutzbefohlenen, dramaturgisch und filmisch interessant aufgerollt wird. Schenks und Ballaufs Befragungen werden dabei miteinander höchst erzählökonomisch verschnitten: Die Informationen aus dem einen Gespräch werden ins nächste übertragen und Gedankengänge fortgesetzt. Außerdem sorgt ein Videofilm von 1989 für einen telegenen und nostalgischen Reiz. Obwohl viel geredet wird in all diesen Szenen, hat man als Zuschauer nicht den Eindruck, zugetextet, sondern bestens über die Vorgeschichte informiert zu werden. Hinzu kommt, dass hier Zeitzeugen berichten, die emotional stark involviert waren in die Ereignisse von damals: Eine 1989 Dreizehnjährige wurde schwanger – und diese (Brigitte Zeh) erzählt heute von der Tortur damals. Durch den Kniff, die Befragungen in einer langen Sequenz zu kombinieren, geht nichts an Emotion verloren, das Tempo intensiviert eher noch das Drama. Ballaufs Misstrauen nimmt dagegen erst Fahrt auf, als er seinem Bullen-Trieb nicht widerstehen kann, er einen Blick in Nicolas Portemonnaie wirft und dort eine verdächtige Karte entdeckt. Von nun an geht’s bergab. Das Vertrauen schwindet. Es beginnt die Zeit des großen Leidens von Max Ballauf.
Um diesem Leiden mehr Tiefe zu geben, haben Stauch und Fischer ein weiteres, für einen Ermittler-Krimi äußerst ungewöhnliches filmisches Erzählmittel gewählt: den inneren Monolog. Immer wieder hören wir die Gedanken des Kommissars: „Das kann ich dir nicht sagen, Schatz“, als noch alles gut ist zwischen den Liebenden. Später schleicht sich Angst in seinen Blick: „Merkst du, dass ich lüge?“ Als es ebenso still „Ja, das merk’ ich“ zurückkommt, wird deutlich: Diese beiden verstehen sich auch ohne Worte. Umso tragischer die Entwicklung. Im Schlussdrittel steht Ballauf völlig neben sich. Seine Befangenheit wird thematisiert, Schenk möchte ihn dennoch beim Ermitteln dabeihaben, im Hintergrund. Wer vom „Tatort“ dokumentarisches Ermitteln erwartet, mag meckern, wer einen packenden, anrührenden Film sehen möchte, der kommt auf seine Kosten, genauso wie der Krimi-Fan, der ein cleveres Verhör als Psycho-Finale schätzt. Inszeniert ist der Film hochwertig, gespielt ist er makellos. Klaus J. Behrendt bekommt als Schauspieler ganz andere Möglichkeiten als in seiner Nur-Kommissar-Rolle, und er nutzt sie. Leslie Malton und vor allem Jenny Schily in den Episodenhauptrollen sind Idealbesetzungen. Und Dietmar Bär ist zumindest an der emotionalsten Szene beteiligt. Was in ihr passiert, soll Überraschung bleiben. Was Ballauf sagt kann vorweggenommen werden: „Alte Männer heulen nicht, die hauen sich eine rein.“