Verrückte Geschichten: Von der Kloß-Königin zur Klo-Königin und zurück
Der Schock-Froster der Thüringer Kloß-Welt ist ein Wunderwerk der Technik. Oben kommt die Kartoffel rein und unten als Granulat wieder raus. Irgendjemand hat nun allerdings den Besitzer dieser Weimarer Traditionsmanufaktur mit in diese Maschine gesteckt, und anschließend jenen schockgefrosteten Christoph Hassenzahl eingetütet und mit einem Firmenwagen abtransportiert. Und nur weil dieser Jemand wenig später einen schweren Unfall verursacht, können Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner) in diesem Mordfall überhaupt erst ermitteln. Sonst wäre es ihnen wahrscheinlich so ergangen wie ihrem Chef Kurt Stich (Thorsten Merten), der vor sieben Jahren das Verschwinden von Hassenzahls Frau Roswita (Milena Dreißig) nicht aufklären konnte: Die Vorarbeiterin und Hassenzahls damalige Geliebte Cordula Remda-Teichel (Christina Große) war Stichs Hauptverdächtige; doch überführen konnte er sie nicht. Nun muss er allerdings Abbitte leisten. Denn die Erfinderin des „Soßkloß‘“ lebt! Roswita habe damals nach einem Unfall das Gedächtnis verloren und sei im Wald von Roland Schnecke (Nicki von Tempelhoff) gefunden worden. Sie haben sich verliebt, seien zusammengezogen und wie er habe sie die darauffolgenden Jahre an einer Autobahnraststätte als „Hygienebeauftragte“ gearbeitet. Die Kloßkönigin wurde zur Klo-Königin – bis Roswita Hassenzahl vom Mord an ihrem Mann im Radio hört und ihre Erinnerung langsam zurückkommt. Die Kommissare wollen diese Geschichte nicht so recht glauben. Und dann diese Nobelkarosse, die der Toilettenmann fährt. Nicht minder verdächtig macht sich der Kartoffelbauer und ehemalige Hassenzahl-Lieferant Thomas Halupczok (Jörn Hentschel). Der steht völlig neben sich. Seine Geliebte, die Supermarktketten-Managerin Marion Kretschmar (Anne Schäfer), gibt sich zwar reichlich cool, aber auch sie hat Geschäfte mit dem Toten gemacht – und die waren offenbar nicht immer ganz sauber.
Ein Hauch Wilhelm Busch, viele Märchen-Topoi & auch schon mal ein Schüttelreim
Die Geschichten, die die Verdächtigen den Kommissaren auftischen, klingen abenteuerlich. Roswita im Schneckenland der Halbwahrheiten – zwischen Genkartoffel-Mafia und granuliertem Schwerenöter, zwischen Hunde- und Kloßliebhabern. Das Autorenduo Murmel Clausen und Andreas Pflüger hat sich wieder etwas ganz schön Schräges ausgedacht für den siebten „Tatort“ aus Weimar. Für „Die robuste Roswita“ greifen die beiden mal wieder tief in den deutschen Märchen-Fundus (die „Kloßkönigin“, der vergiftete Kloß, der Wald, die Pilze, die traumhaft-romantische Liebe) und zeichnen das Episoden-Personal entsprechend nicht Fernsehfilm-like realistisch, sondern exzentrisch und voller Extreme: da der unverbesserliche Optimist Schnecke, dort der zittrige Schwarzseher Halupczok. Sie schütteln Reime („Der Kloß mit der Soß ist auf dem Teller mit Stella, famos ist der Kloß auf dem Porzellan mit dem Schwan“), und die Selbstverständlichkeit, mit der diese teilweise boshaften Absurditäten präsentiert werden, erinnert ein wenig an Wilhelm Busch. Der letzte Streich von Max und Moritz lässt schön schwarzhumorig grüßen. Da müssen sich die geborenen Komödianten Nora Tschirner und Christian Ulmen nur noch reinfallen lassen in diese wunderbare Welt des höheren Blödsinns. Wirkte das verbale Necking zwischen Dorn & Lessing in den ersten Episoden mitunter noch etwas gewollt, übertrieb es Tschirner mit ihrem neudeutschen Schnellsprech und Schlagfertigkeit mit Ansage, wird das Zusammenspiel der beiden Schauspieler immer besser. Es atmet eine Beiläufigkeit und besitzt einen unaufgeregten Witz, wie es nur die Besten des komischen Fachs beherrschen. Und das Timing ihrer dezenten Schlagabtausche und ihrer ironischen Beiseite-Einwürfe ist zunehmend perfekt.
An narrativer & ästhetischer Dichte kaum zu überbieten: auch der Krimi funktioniert
„Die robuste Roswita“ geht aber nicht nur als Komödie auf, auch innerhalb dieses auf den ersten Blick völlig durchgeknallten Krimiplots fügt sich in diesem „Tatort“ am Ende alles (erzähl) logisch zusammen – und die Autoren geben nach einer Weimar-typischen köstlich ausgespielten Auflösung über mehrere Szenen den Blick frei auf einen komplexen, aber durchaus plausiblen Intrigantenstadl. Und ein doppeltes Vergiftungsszenario demonstriert auf der Zielgeraden aufs Vorzüglichste, was Hitchcock unter Suspense verstanden hat. Aber auch die Inszenierung dieses „Tatorts“ ist außerordentlich gelungen. Der Einstieg ist geradezu eine filmische Offenbarung: Regisseur Richard Huber (Grimme-Preis für „Dr. Psycho“) beschreibt mit Hilfe von Kamera und Montage den Weg der geernteten Kartoffel über das Fließband zum Kartoffelteig bis hin zum fertigen Kloß – verschnitten wird dieses dokumentarische Material mit markanten Bildern aus den kommenden 85 Minuten. Da ist ein Messer mit Blut, da werden Kartoffeln ins Feuer geworfen, da wird etwas verscharrt, da ist eine Frau im Wald zu sehen und die Füße einer Frau, die offensichtlich dabei ist, sich zu erhängen. An narrativer und ästhetischer Dichte ist diese Krimikomödie kaum zu überbieten. Wollte man bei diesem Film als Kritiker ins Detail gehen, müsste man sich ihn ein zweites Mal anschauen. Hier ist nichts nur einfach da, alles bekommt irgendwann seinen Sinn, der Schriftzug „Eros to go“ in der Autobahn-Raststätte genauso wie die demente Kloßfabrik-Mitarbeiterin Frau Müllerschön.
Und Howie säuselt „Hello again“… Gefundenes Fressen für ein stimmiges Ensemble
Und manchmal schleicht sich Ironie ganz leise in die Szenen: Wenn beispielsweise zur Befragung der wiederaufgetauchten Roswita im Hintergrund Howard Carpendale sein „Hello again“ säuselt, nachdem er vorher auf der Autobahn-Toilette schon „Ti Amo“ schmettern durfte, gerade in dem Moment, in dem Roswita vom Mord an dem Mann aus ihrem ersten Leben aus dem Radio erfährt und wie paralysiert wirkt. Und in der bereits erwähnten Suspense-Szene wird der Schmusesänger-Bass von Barry White wunderbar als Kontrast für ein bitterböses Pas de deux eingesetzt. Die Autoren halten außerdem praktische Ratschläge (Klo-Mann Schnecke gibt Tipps für Stehpinkler) oder Werbeslogans, die wie Kalendersprüche klingen („Erst wenn die Kartoffel geschält ist, zeigt sie ihren wahren Charakter“), für den Zuschauer parat. Ganz vorzüglich ist auch die Besetzung der Gastrollen. Milena Dreißig als „robuste Roswita“ bewies bereits in „Stromberg“ wie gut ihr am Alltagsjargon orientierte Comedy liegt. Eine ganz besondere Type mit kleinen Spiel-im-Spiel-Einlagen verkörpert Nicki von Tempelhoff; als Schnecke darf er den Inbegriff eines verliebten Romantikers geben, der in seinem letzten Leben kein Toiletten-Mann war, sondern ein Trickbetrüger. Auch alle anderen Figuren scheinen heute völlig andere Menschen zu sein als noch vor sieben Jahren. Christina Großes verbitterte Vorarbeiterin sieht man in einer Rückblende, die Früchte der Lust ernten. Und Anne Schäfer gefällt als schwer zu durchschauende Super-markt-Managerin. Die Liebesbeziehung jener Marion Kretschmar zu dem Kartoffelbauern, den Jörn Hentschel psychophysisch klasse als fahrigen Unglückskloß am Abgrund verkörpert, scheint sich deutlich dem Ende zuzuneigen. Mehr & mehr sehen alle aus wie Verlierer, wahrhaft Verzweifelte, die einen letzten Befreiungsschlag unternehmen. (Text-Stand: 5.8.2018)