Tatort – Die Nacht gehört dir

Hinrichs, Manzel, Schneider, Max Färberböck. Die menschliche Existenz betreffend

Foto: BR / Hendrik Heiden
Foto Rainer Tittelbach

Ein Mord wie aus dem Nichts. Einer Grundstücksmaklerin, die in ihrer Freizeit exzessiv in Dating-Portalen unterwegs war, könnte ihr Lebenswandel zum Verhängnis geworden sein. Statt der Frage wer’s war, dominieren in dem „Tatort – Die Nacht gehört dir“ essentielle Fragestellungen. Max Färberböcks Krimi-Drama folgt eher einem philosophischen als einem psychologischen Erzählansatz. Der Autorenfilmer hat es nach „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ und „Ich töte niemand“ in seinem dritten Franken-„Tatort“ aber nicht nur auf das Grundsätzliche, das Universale, die menschliche Natur, abgesehen, sondern begibt sich auch auf die Spuren der neuen Beziehungsanbahnungsmöglichkeiten. Die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe und die Unmöglichkeit, glücklich zu werden, ein Leitmotiv bei Färberböck, dominiert auch diesen Film, der gleichermaßen durch seine dramaturgische Feinmechanik wie durch seine filmästhetische Umsetzung besticht. Leckerbissen für Arthouse-Liebhaber.

Ein Mord wie aus dem Nichts. Babs Sprenger (Anna Tenta), eine Grundstücksmaklerin, feiert ihren Geburtstag zu zweit mit ihrer Kollegin Theresa Hein (Anja Schneider). Wenige Stunden später ist Sprenger tot. Zwei tiefe Stiche unterhalb des Herzens. Tatwaffe: ein Sushi-Messer. „Ein sicheres Ende“, erkennt die Spusi. „Unbedingter Tötungswille“, ist Kommissarin Goldwassers (Eli Wasserscheid) erster Eindruck. Keine Spuren, die auf einen Streit hindeuten würden, die Wohnung aufgeräumt, sogar das Mordwerkzeug liegt gereinigt in der Spülmaschine. Ein deprimierender Fall für Kommissarin Ringelhahn (Dagmar Manzel) und für ihren Kollegen Felix Voss (Fabian Hinrichs) – für ihn, weil er sich gerade mit einer Frau, die ihn zum Strahlen bringt, verabredet hat, sie, weil sie ohnehin schon nicht sonderlich gut drauf ist. Erfreulicherweise bringen die Ermittlungen rasch erste Ergebnisse. Die perfekte Mitarbeiterin hatte jahrelang ein zweites Leben: In ihrer Freizeit war sie in Dating-Portalen unterwegs. Wurde dieser Frau ihr Lebenswandel zum Verhängnis? Dazu würde aber nicht passen, dass sie vor sechs Monaten ihre Online-Aktivitäten eingestellt hat. War ihr Verhältnis zu Theresa Hein vielleicht doch enger, als diese behauptet? Dass sie zusammen Geburtstag feiern, würde dies nahelegen. Und die Recherchen ergeben schließlich, dass das Sushi-Messer Heins Geburtstagsgeschenk war. Ist sie auch die Mörderin? „Ich habe Sie schon erwartet“, sagt sie, ein Lächeln auf ihrem Gesicht, als die Kommissare in ihrem Büro auftauchen.

Tatort – Die Nacht gehört dirFoto: BR / Hendrik Heiden
Felix Voss (Fabian Hinrichs) möchte Ringelhahn (Dagmar Manzel) von der netten Marktfrau vorschwärmen. Doch die will das offensichtlich gar nicht hören. Schwingt da womöglich etwas Neid (oder Eifersucht) mit? Einsamkeit ist ein hartes Schwert.

„Ich habe immer wieder gedacht, dass jeder Mensch immer wieder die Chance hat, richtig zu handeln – und ich habe mich immer wieder gefragt, warum es einfach nicht passiert.“ Mit diesen Worten, langsam und nachdenklich gesprochen, leicht apathisch und mit dem Unterton der Vergeblichkeit beginnt Max Färberböcks „Die Nacht gehört dir“. Dazu schält sich aus der Unschärfe ein spitzes, blutverschmiertes Messer heraus. Eine Hand ergreift es. Dann die Worte: „Ich habe es getan.“ Die Art und Weise der Montage deutet an, was einen bei diesem „Tatort“ erwartet. Statt der Frage wer’s war, dominieren essentielle Fragestellungen. Man könnte sagen, dieser Krimi folgt eher einem philosophischen als einem psychologischen Erzählansatz. Später kommt zwar schon auch etwas Psycho-Logik ins Spiel, sie wird aber nicht ausgesprochen, sondern nur auf der Bildebene angedeutet. Die Montage fungiert – wie meist bei Färberbock – ohnehin als eine Art Narrator. So nimmt die Exposition zahlreiche Bilder und Situationen ausschnitthaft vorweg, wodurch sich eine strukturelle, aber auch eine narrative Dichte ergibt; dadurch bleiben die Wahrnehmung und die Gedanken des Zuschauers im Fluss. Harte Schnitte werden durch einsetzende Musik, durch Sounds und Kamera-Bewegungen abgeschwächt. So sieht man gerade noch Ringelhahn, wie sie die Wunde der Toten betrachtet, während in der nächsten Einstellung der blaue Maihimmel zu sehen ist, woraufhin auf einen Mopedfahrer übergeleitet wird. Was hat dieser junge Mann (Lukas B. Amberger), der später als Klavierlehrer eingeführt wird, mit dem Mordfall zu tun?

Färberböck und seine Ko-Autorin Catharina Schuchmann haben es nach „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ und „Ich töte niemand“ in ihrem dritten Franken-„Tatort“ nicht nur auf das Grundsätzliche, das Universale, die menschliche Natur, abgesehen, sondern sie begeben sich auch auf die Spuren der neuen Beziehungsanbahnungsmöglichkeiten. Während Voss noch auf die altmodische Art Kontakt mit einer sympathischen Honigverkäuferin (Maja Beckmann) aufnimmt, hat sich die Ermordete aktiv online ihre Partner gesucht. Ihr Chef (Götz Schubert) bezeichnet sie als lebendig, frei und unabhängig. Was das heute heißt „im Austausch zwischen Mann und Frau“, darüber lässt sich Voss von seiner Kollegin Goldwasser aufklären: „Alles bisschen distanzierter. Weniger Gefühl. Mehr Lust, mehr Freude. Und gern auch mal die Möglichkeit, eine Beziehung sofort zu beenden.“ Menschen, die sich auf dem digitalen Marktplatz der Lust und des alltäglichen Narzissmus‘ tummeln und es möglicherweise zu ernst meinen, können da schneller enttäuscht werden, als ihnen lieb ist. „Ghosting“ nennt sich das Phänomen, es ist das urplötzliche Kappen einer Verbindung, als habe es sie nie gegeben. Könnte das in „Die Nacht gehört dir“ eine Rolle spielen, gar Tötungsmotiv sein? Ein Mann, der mehr von ihr wollte (Max Hopp), charakterisiert die Tote folgendermaßen: „Ich glaube, dass sie gern zu jemandem gehören wollte, aber am Ende war es ihr immer zu viel.“ Ein moderner Menschentypus? Schnell begeistert, aber ebenso schnell gelangweilt? „Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr“, hört man jene Babs Sprenger zur Halbzeit des Films säuseln.

Tatort – Die Nacht gehört dirFoto: BR / Hendrik Heiden
Rückblende: Kannten sich Babs Sprenger (Anna Tenta) und Theresa Hein (Anja Schneider) doch näher. Die Tote war verzweifelt und hatte eine Bitte an die Kollegin.

Die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe und die Unmöglichkeit, glücklich zu werden, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Filme von Max Färberböck. Diese Themen schwingen immer irgendwie mit. In den „Tatorten“ aus München „Am Ende des Flurs“ und „Mia san jetz da wo’s weh tut“ und jetzt in „Die Nacht gehört dir“ rücken sie dagegen ins Zentrum der Geschichte. Sie werden allerdings nicht wie in einem Themen-Krimi offen verhandelt, sondern fließen in die komplexe Narration ein, bei der einer der letzten Primetime-Fernsehen machenden deutschen Autorenfilmer stets darauf achtet, dass Informationsvergabe und filmische Atmosphäre in ein harmonisches Gleichgewicht gesetzt werden. Aber nicht nur die typische dramaturgische Feinmechanik, sondern auch die filmästhetische Umsetzung, die mal wieder ein Leckerbissen für Arthouse-Liebhaber ist, lässt diesen Film herausstechen aus dem ARD-Sonntagskrimi-Angebot, und das, obwohl in den letzten Jahren deutlich filmästhetisch reifer und sehr viel wagemutiger auf diesem Sendeplatz von (Kino-)Regisseuren wie Dominik Graf, Dietrich Brüggemann, Florian Schwarz oder Sebastian Marka erzählt wird.

Es ist neben der narrativen Konzentration auf das Wesentliche der durch die bereits erwähnte Qualität der Montage entstehende besondere Flow, der Färberböcks Filme auszeichnet. In seinen Bildern wird der fluide Austausch von Gefühl und Verstand sichtbar, vereint von einem tiefen Sinn für Form und Ästhetik. Wie gemalt für diese stilvolle Cadrage sind die klugen Schauspielerköpfe Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel und deren auf der Intelligenzskala deutscher Kommissare weit oben rangierenden Voss und Ringelhahn. Wie sie miteinander im Auto palavern (zum Beispiel darüber, wie viele Nürnberger wohl gerade Sex haben) oder wie sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen (Voss wütet gegen den Dreck der Welt), lässt mal – angenehm beiläufig – tief blicken und mal macht es einfach Laune. Und wie der schnell zu Euphorie neigende Voss seiner Kollegin die herzallerliebste Honigverkäuferin schwärmerisch beschreibt, das ist pures Glück, auch für den Zuschauer. „Sie lacht und sie spricht, allein wie sie spricht, und wie sie riecht … Das ist Leben.“ Was im Film darauf folgt ist der Tod.

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Reihe

BR

Mit Fabian Hinrichs, Dagmar Manzel, Anja Schneider, Anna Tenta, Lukas B. Amberger, Eli Wasserscheid, Arne Kertesz, Andreas Leopold Schadt, Matthias Egersdörfer, Maryam Zaree, Götz Schubert, Max Hopp, Maja Beckmann

Kamera: Willy Dettmeyer

Szenenbild: Anette Ingerl

Kostüm: Ingrid Leibezeder

Schnitt: Mona Bräuer

Soundtrack: Fever Ray („Keep The Stunts Empty For Me“), Charles Loyd & The Marvels & Lucinda Williams („Angel“), Nina Simone („Don’t Let Me Be Missunderstood“ / „I Love My Baby“)

Redaktion: Stephanie Heckner

Produktionsfirma: Hager Moss Film

Produktion: Kirsten Hager

Drehbuch: Max Färberböck, Catharina Schuchmann

Regie: Max Färberböck

Quote: 8,29 Mio. Zuschauer (23,1% MA)

EA: 01.03.2020 20:15 Uhr | ARD

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