Die Frauen reißen sich um einen Mann und darum, ihm ein Alibi zu geben
Er ist ein Macher, ein Schmeichler, er ist ein Spieler, ein Lügner – Ist Thomas Jacobi (Martin Feifel) auch ein Mörder? Der wohl situierte Architekt nimmt es mit der Treue nicht so genau. Dabei hält er sich aber nicht an die gängige Praxis des Seitensprungs, sondern lebt mit mehreren Frauen in Parallelbeziehungen. Außer einer Psychotherapeutin (Anna Schäfer), die offene Mehrfachbindungen pflegt, weiß keine der Partnerinnen von Jacobis Doppelleben, das genau genommen ein „Fünffachleben“ ist. Eine von ihnen wurde nun schwanger und hat – so vermuten Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) – offensichtlich Stress gemacht. Jetzt ist sie tot. Eigentlich ein klarer Fall. Doch ein Schäferstündchen mit einer seiner anderen Frauen ist Jacobis Alibi. Da weiß Andrea Slowinski (Juliane Köhler) allerdings noch nicht, dass es da noch andere „Schatzis“ gibt. Wenig später ist auch sie tot. Das gleiche Muster: Sex, Streit, Mord. Für den zweiten Mord hat der Architekt gleich zwei Alibis – ein falsches von Nicole Büchner (Hanna Scheibe), einer Freundin der ersten Toten und einer Geliebten Jacobis, die sich aufs Abstellgleis gestellt fühlt, später eines von seiner Assistentin (Genija Rykova); dabei gehört diese nicht einmal zum erlauchten Kreis seiner Frauen.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Ohne Sex, Ironie & Beziehungsfallen geht in diesem Whodunit gar nichts
Die Kommissare kommen im „Tatort – Die Liebe, ein seltsames Spiel“ mit dem Zählen der Frauen des Tatverdächtigen gar nicht nach. Und das ausgerechnet jetzt, wo Batic die Höhen und Tiefen einer Affäre mit einer verheirateten Frau erleben muss und Leitmayr sexuell auf dem Trockenen sitzt, obwohl doch die Mutter vom Assistenten Kalli ein Auge auf ihn geworfen hat. Autorin Katrin Bühlig gelingt das Kunststück, aus einem an sich vermeintlich simplen Whodunit, einen äußerst unterhaltsamen Krimi mit allerhand beziehungstechnischem und ironischem Mehrwert zu machen. Die Silberlocken aus München dürfen nach äußerst ernsthaft existentiellen Fällen wie „Die Wahrheit“ oder „Der Tod ist unser ganzes Leben“ eine leichtere Gangart einlegen, dürfen witzeln, sich necken, und auch Jungspund Kalli darf mit seiner erfrischenden Naivität („Die Frau Maitz, hat die Wahnvorstellungen oder ist sie einfach nur alt?“) zur Erheiterung beitragen. Das Alter der Kommissare und das keineswegs nur ins Lächerliche gezogene Thema finden ein nachhaltiges Bild in einer Szene mit jener Psychotherapeutin, die polyamor lebt: Mit Hilfe eines Maßbandes macht sie dem Kroaten (und vielleicht auch manchem Zuschauer) deutlich, dass dessen „Restlaufzeit“ erschreckend kurz ist. „Also, was immer Sie tun, genießen Sie es; es muss für Sie gut sein, nicht für andere.“ Verkam das Frotzeln in früheren „Tatort“-Episoden aus München gern mal zum bloßen Ritual, bewegt sich das Augenzwinkern in diesem Film, der im Übrigen nicht den bekannten Sixties-Schlager von Connie Francis zum Titelsong macht, auf sehr viel höherem Niveau.
„Tatort“ als Spiel: Die Krimilogik setzt sich über die Realitätslogik hinweg
Dabei gerät der Krimi keineswegs in den Hintergrund, denn je mehr man Einblick in das Triebleben dieses geschlechtsreifen Großstädters nicht nur zur Paarungszeit erhält, umso mehr will man auch wissen, ob oder wie sich dieser gewohnt markig und markant von Martin Feifel gespielte egoistische Lustmolch aus seiner misslichen Lage wird befreien können. Dass er der Mörder ist, will der Krimikenner nicht recht glauben. Außerdem könnten Zuschauer dies als eine unterschwellige Diskriminierung seines Lebensstils verstehen. Das wiederum würde das durchaus bedenkenswerte Thema des Films, Polygamie in der nicht verlogenen Version, allerdings „verraten“ und zum reinen Gimmick machen. Dass sich die renommierte Krimi- und Drama-Autorin Katrin Bühlig mit einem klassischen Mord aus Eifersucht, der bei diesen amourösen Konstellationen naheliegend wäre, begnügen würde – auch das kann man nicht unbedingt annehmen. Vielleicht wird dann schon eher der Mörder aus dem Hut gezaubert, was zum Spielerischen des Films passen könnte. Oder vielleicht gibt es ja sogar zwei Mörder. Mit welchem Szenario am Ende die Morde erklärt werden, eines wird in diesem Fall & Film deutlich: Die Krimilogik wird sich am Ende über die Realitätslogik hinwegsetzen. Das Genre – das vergisst man hierzulande häufig – ist immer auch und in diesem „Tatort“ ganz besonders ein Spiel. Der Filmtitel macht dies deutlich und zielt auf eine gewisse Ironie, die sich durch die gesamten 90 Minuten zieht. Und das Schlussbild ist dann der passende Epilog zum wunderbaren Prolog (welcher den Münchner Casanova – in romantisches Weiß getaucht – beim Genießen zeigt). „Das Ganze mit der Liebe, wird das eigentlich schwieriger im Alter?“, will Kalli wissen. Darauf Batic: „Nein, normalerweise gibt’s für jeden von uns da draußen jemanden, aber irgendwie klappt’s nicht immer mit der Verteilung.“
Foto: BR / Hendrik Heiden
Eine Szenenfolge ohne jeden Leerlauf und ein Mann mit zu vielen Baustellen
„Die Liebe, ein seltsames Spiel“ ist ein Film, der sich unaufdringlich und entspannt dem Fall, dem Thema und dem Zuschauer nähert. Auf den ersten Blick wirkt Rainer Kaufmanns zweiter München-„Tatort“, was seine Inszenierung betrifft, bis auf einige ironische Parallelmontagen ausgesprochen unauffällig. Der Lebenswandel des unter Mordverdacht stehenden Architekten und sein Beruf sind zwar gut für einige verbale Metaphern („zu viele Baustellen“), auch sein Freiheitsdrang, der in dem doppeldeutigen Satz „Ich lass’ mich nicht einsperren, von niemandem“ gipfelt, findet eine Entsprechung in dem Tipp, den er seiner Assistentin für ihren Entwurf gibt („Illusion eines freien urbanen Raums“). Auf sinnliche Projektionen zwischen Innenwelt der Figur und sichtbarer Außenwelt verzichtet Kaufmann allerdings weitgehend. Allein der Glasklotz, in dem sich der polygame Architekt verschanzt, lässt sich als ein immer bedrohlicheres Gegenbild zu seinem Lebensprinzip „Ich lass mich nicht einsperren“ interpretieren. Selbst das Glas konnotiert eine Transparenz, die sich der Beziehungslügner nicht wünschen kann. Der Wert der Inszenierung, ist es, die Handlungsdichte, die vielen kurzen Szenen des Drehbuchs, in einen süffigen Erzählfluss zu bringen. Die konzentrierten Ermittlungen, immer wieder unterbrochen vom beiläufigem Geplauder der drei Ermittler, dazu das allgegenwärtige Beziehungsthema ziehen – auch ohne raffinierte Bildsprache – einen in die Geschichte hinein. Dieser „Tatort“ ist ein Film, der seine große Qualität hinter seiner verspielten Leichtigkeit versteckt und der seine Geschlossenheit und erzählerische Dichte erst auf den zweiten Blick preisgibt. (Text-Stand: 21.4.2017)