Die Wachmänner in der Münchner Vollzugsanstalt St. Adelheim sind in Alarmbereitschaft. Einsatzwagen rasen auf das Hochsicherheitsgelände. Der Strafgefangene Nic Schuster hat den Mithäftling Charly Bause als Geisel genommen – ein Schraubenzieher zittert an dessen Kehle. Batic und Leitmayr setzen auf Deeskalation. Dann sorgt ein Überraschungsschlag der SEK für ein unblutiges Ende. Der, der endlich raus wollte aus dem Knast, obwohl er ohnehin bald frei gekommen wäre, setzt sich wenige Stunden später einen tödlichen Schuss. „Der ist doch nicht blöd – und der hatte Angst, Todesangst“, mutmaßt Batic. Den Gefängnisgeruch werden die beiden Kommissare so schnell nicht mehr los. Sie müssen sich sogar ein Büro einrichten – in einer Arrestzelle, einem stinkigen Kellerloch. Der Grund: Schusters Zellengenosse ist ausgebrochen. Die Suche nach den Fluchthelfern beginnt. Es ist ein Stochern im sozialen Bodensatz. Bei ihren Ermittlungen berühren die Kommissare viele hochsensible Punkte des Knast-Systems und treten dadurch eine „Welle der Gewalt“ los.
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Das ist die eine Geschichte von Jobst Oetzmanns „Tatort – Die Heilige“. Die andere erzählt von der JVA-Beamtin Marie Hoflehner. Sie ist die entscheidende Fluchthelferin. Sie weiß, der Drogendealer Hassan hat Mist gebaut, ist in die falschen Kreise geraten, aber sie ist der Überzeugung, dass er eine zweite Chance verdient hat. Sie glaubt nicht, dass er nur „ein Krimineller mit schönen Augen“ ist. Doch ihr kommen Zweifel. Der, der immer von seiner Heimat Algerien und von der Wüste geschwärmt hat, der von Marie Geld, Pass und Flugticket bekommen hat, der hat es gar nicht mehr so eilig. Ihm fallen plötzlich die alten „Kollegen“ wieder ein – und er fragt sich, weshalb er so viel länger als die anderen sitzen musste.
„Die Heilige“ verfährt nicht nach dem üblichen „Tatort“-Muster. Es ist ein Film, der vom (Über-)Leben im Gefängnis erzählt, der zeigt, was das „System“ JVA aus Menschen, aus schwierigen Menschen, aus schuldigen Menschen, aus verunsicherten Menschen, machen kann. Da sind Schutzgelderpressung, Drogenhandel und die Suche nach dem geborenen Opfer noch die harmlosesten Spielarten. Und inmitten all dieses zwischenmenschlichen Unrats: Marie Hoflehner, die heilige Maria des Strafvollzugs. Anneke Kim Sarnau spielt sie herb, tough, energisch, mit großer Klappe, eine Frau, die nur wenig vom weichen Kern, den sie besitzt, herzeigt. Ein Mal ist sie auch Frau, liebt den schönen Kriminellen, aber sie bleibt eine moralische Instanz. Sie holt sich nicht den Mann zum Vögeln aus dem Knast, sie lebt ihre Überzeugung. Das hebt dieses vorzüglich inszenierte, fotografierte und geschnittene Krimi-Drama ins Existenzielle, gibt ihm einen fast philosophischen Unterboden, auf dem es sich für den Zuschauer wunderbar spannungsvoll durch die 90 Minuten schwingen lässt. Außerdem erzählt „Die Heilige“ von der großen Kraft der Hoffnung, vom Wünschen, und von der noch größeren Kraft, die man benötigt, um diese Phantasien am Ende tatsächlich zu leben.