„Wo ist eigentlich Ihre Dienstwaffe, Herr Lessing?“ Eva Kern (Nina Proll), die interne Sonderermittlerin, ist ein harter Hund, bei ihr läuft alles streng nach Vorschrift – und so sitzt der Hauptkmmissar (Christian Ulmen) wenig später in U-Haft. Er steht unter dringendem Mordverdacht. Unlängst hatte er den Schrottplatzbesitzer Harald Knopp (Heiko Pinkowski) 15 Jahre nach dessen Raubmord an einer Kunstsammlerin überführt und vor Gericht gebracht. Ausgerechnet der Neffe des Opfers (Jan Messutat) gab dem Mörder ein Alibi. Jetzt ist Knopp tot, erschossen mit Lessings Dienstwaffe. Die Kern übernimmt den Fall, Chef Stich (Thorsten Merten), ihr Ex, noch nie ein Ausbund an Entschlossenheit und Courage, sitzt zwischen den Stühlen, und Kira Dorn (Nora Tschirner) wird von den Ermittlungen abgezogen, befragt und recherchiert jedoch mit Streifenhörnchen Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) munter weiter. Die ganze Verwandtschaft des Toten steht auf dem Prüfstand: die esoterische Ehefrau (Julika Jenkins), die sich nach dem Prozess von ihrem Mann getrennt hat, Knopps Bruder (Marc Hosemann) und seine Frau (Katharina Marie Schubert), die beide am Theater arbeiten. Aber auch der ganz offensichtlich gekaufte Alibigeber wird von Lessings Liebster in die Mangel genommen. Eine kostbare Statue mit vermeintlich schwarzmagischen Kräften könnte das Motiv für den Mord sein. Aber bevor Dorn Beweise hat, gerät sie selbst in eine prekäre Lage.
Foto: MDR / Stephanie Kulbach
Kaum ein TV-Ermittler, der nicht im Laufe seiner Amtszeit mal auf der anderen Seite des Verhörtischs Platz nehmen muss. Beim Weimarer Duo Lessing/Dorn kommt es zu diesem „Ausnahmefall“, der mittlerweile eher zu einer Pflichtübung für jeden beliebten Fernseh-Kommissar geworden ist, bereits bei seinem neunten Einsatz. Um es vorwegzunehmen: „Die harte Kern“ ist nach dem etwas unrunden Start der Reihe mit „Die Fette Hoppe“ der bislang schwächste Film des krimikomödiantisch so famosen „Tatort“-Ablegers. Fast alles, was diesen grotesken Schnurren ihr Alleinstellungsmerkmal gab, wird durch das Kommissar-unter-Verdacht-Sujet ausgebremst und bleibt weitgehend auf der Strecke. Der beiläufige Witz, die verschiedenen Ironie-Ebenen und das schräge Um-die-Ecke-Denken der Hauptfiguren inklusive eines höchst elaborierten Sprachcodes sucht man über weite Strecken der 90 Minuten vergebens. Nach der Exposition wird das eingespielte Duo für 50 Filmminuten auseinandergerissen. Während die Hauptfigur Lessing, im Knast sitzend, der Handlung verloren geht und der Schauspieler derweil im Spätsommer 2018 lieber für die dritte „Jerks“-Staffel vor der Kamera stand, muss Dorn ihre ironischen Spitzen solo in Richtung der Befragten loslassen, wobei die Geschichte einer allzu lockere Gangart selbstredend im Weg steht. Tschirner stößt dabei an die Grenzen eines Drehbuchs, mit dem offenbar keiner etwas zu tun haben möchte. Sebastian Kutscher und Deniz Yildizr sind offensichtlich Pseudonyme. Und ob es überhaupt schon einmal einen 90-Minüter gegeben hat, bei dem Drehbuch- und Dialogautoren wie im Falle von „Die harte Kern“ gesondert aufgeführt werden, ist dem Kritiker nicht bekannt. Für die Dialoge verantwortlich waren Murmel Clausen und Andreas Pflüger, die die Reihe mitentwickelten und bislang alle Drehbücher gemeinsam geschrieben haben (nur für „Der kalte Fritte“ war Clausen allein verantwortlich). Der Plot hat auch an ihrer Kreativität in Sachen Sprachwitz genagt. In einem Film, in dem ein Schrottplatz(besitzer) eine Rolle spielt, taugen Sätze wie „Jetzt hör‘ doch mal auf mit dem Schrott“ oder „Hör‘ mal zu, Schnecke, das war ein Schrottwitz und damit kenn‘ ich mich aus“ nicht mal als Kalauer.
Foto: MDR / Stephanie Kulbach
Es spricht nichts dagegen, ein Konzept zu variieren, mal etwas anderes auszuprobieren, aber Lessing im Knast ist keine gute Wahl. Im Allgemeinen geht mit dem Ermittler-unter-Verdacht-Motiv längst kein Innovationsversprechen mehr einher. Und im Besonderen wird so nicht nur dem launigen Beziehungs-Gefrotzel des Duos die Grundlage entzogen, sondern die Geschichte bekommt gleichzeitig eine Wendung ins Emotionale, was mit dem bisherigen Konzept des „Tatort“ Weimar – zwei Kopfmenschen, coole Kommunikationsritualen, Distanz schaffende Komikprinzipien – nur schwer zu vereinbaren ist. Emotionen können wie in „Der treue Roy“ oder augenzwinkernd auch in „Der höllische Heinz“ aber durchaus auch bei zwei intellektuellen Ermittlern wie Dorn und Lessing funktionieren – auf der Zielgeraden, wenn sie kurz & plötzlich ins Spiel kommen, in Höhepunkten einer Handlungssequenz, nachdem die beiden 80 Minuten lang klug & obercool Sympathiepunkte gesammelt haben. In „Die harte Kern“ läuft der Hase anders. Da wird der Zuschauer zu Beginn des Films „überrumpelt“ und er muss allenfalls diese kleine „Schock“-Situation verarbeiten. Und was danach folgt, das bedient mehr die dramaturgischen Stereotypen dieses Sujets (der lange Zeit unsolidarische Chef, die Frau von der internen Abteilung als eisiges Aas, die Verdächtigen auf der Flucht) als dass es in der Lage wäre, ein wirklich emotionales Bedrohungsszenario aufzubauen.
Und so ist der neue „Tatort“ aus Weimar eine kleine Enttäuschung. Statt wie sonst eine Geschichte zu erzählen, prall gefüllt mit deutschen Mythen und Genremustern, mit spielerischen Verweisen und köstlichen Spinnereien, ist das Meiste in „Die harte Kern“ dramaturgisches Stückwerk. Der Plot bleibt vordergründig, und die Charaktere sind eindimensional: Die titelgebende Sonderermittlerin ist ein kaltherziges Miststück, Stich lange Zeit feige, Lessing abwesend und Dorn kommen die Tränen. Alles ist, was es ist, Geheimnisse in der Struktur der Erzählung gibt es keine, allenfalls esoterischer Budenzauber wird als statisches Erzählmotiv bemüht. Somit fehlt diesem Film das, was bisher eine der größten Qualitäten dieses Reihen-Ablegers war: ein stimmiger Erzählfluss, der die irren Wendungen, abstrusen Erfindungen und die mitunter absurd-komplizierte finale Auflösung des jeweiligen Falls zu einem systemischen Ganzen verband. Und viel zu selten hat man als Betrachter einen Wissensvorsprung; so ergibt sich kein lustvoller Gedankenfluss, kein Tanz der Thesen beim Zuschauen. Den Kommissaren beim Stieren auf die Fotowand oder der Archivrecherche zuzugucken ist nur bedingt sexy. Im Schlussdrittel dürfen Tschirner und Ulmen ein bisschen was vom Versäumten nachholen. Süß ist ihre nervöse Flucht im Mini-Car, aber die Aufklärung des Falls ist bis auf den telegenen Showdown auf dem Schrottplatz, bei dem erwartungsgemäß auch die Schrottpresse noch ihren Auftritt bekommt, in Informationsdialoge gepackt, kom-biniert mit der einen oder anderen Rückblende. Weil im Drehbuch der Flow fehlt, versucht die Regisseurin Helena Hufnagel, die mit „Einmal bitte alles“ 2017 ihr pfiffiges Langfilm-Debüt vorlegte, so gut es geht, zumindest filmisch Atmosphäre zu schaffen: mit der Location Schrottplatz und dem Look, in den ihn Kamerafrau Aline Laszlo taucht, mit einigen Nachtszenen und einem ganz vorzüglichen Soundtrack voller stimmungsvoller Songs.