Ein Frauenmörder ist ausgebrochen und hinterlässt tödliche Spuren
Was im Laufe von 24 Stunden nicht alles passieren kann! Eine Krankenschwester wird während ihrer Nachtschicht erwürgt, dann geht die bettlägerige Frau des Chefarztes, nachdem es auch ihr an den Kragen ging, in Flammen auf und wenig später haucht noch eine weitere junge Dame ihr unerfülltes Leben aus. Der, der mit all diesen Taten in Verbindung gebracht werden muss, ist Gotthilf Bigamiluschvatokovtschvili (Jürgen Vogel), genannt Gobi, ein georgischer Bademeister, der fünf Jahre nach seiner Verurteilung als „Würger von Weimar“, jetzt aus der forensischen Psychiatrie ausgebrochen ist. Der Mann kennt sich in der Kanalisation der Stadt so gut aus wie kein zweiter und kann deshalb lange Zeit nicht dingfest gemacht werden. Außerdem hat er mit seiner Geliebten, der Harfenistin Mimi Kalkbrenner (Jeanette Hain), eine Verbündete, die alles für ihn tun würde. Also knöpfen sich Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) erst einmal den Chef-Psychiater vor: Jener Elmar Eisler (Ernst Stötzner) sieht in Gobi offenbar (s)eine Lebensaufgabe, was eine Überführung in den Regelvollzug gerade erst verhindert hat. Eine „kleine Gehirnoperation“ hat der Chefarzt fürs Nächste geplant. Das war wohl der Grund für den Ausbruch. Aber dass Gobi dafür eine seiner Lieblingskrankenschwestern tötet?! Dieser Mann ein Würger? Beim Sex, okay – aber meucheln? Die von ihm beglückten Schwestern wollen es nicht glauben.
Foto: MDR / Anke Neugebauer
Er wird „der Würger von Weimar“ genannt – und er bestrickt sie alle
Dieser Mann muss verborgene Qualitäten haben. Nora Tschirners Kommissarin Dorn, Schnelldenkerin mit Jugendsprech, ahnt früh, was Sache ist: „Pudding im Nischel, aber Stahl in der Hose.“ Dieser Mann ist ein Lustmolch, hätte wohl noch Kommissar Haferkamp gesagt. So erklärt sich denn auch der Titel: Zur Halbzeit erkennt man, dass „Der wüste Gobi“ mehr als ein Sprachwitz ist. „Und wenn wir nun schon mal dabei sind…“, muss sich das Autoren-Duo Murmel Clausen und Andreas Pflüger bei ihrem fünften Ulmen/Tschirner-„Tatort“ gedacht haben, kann man Dorn und Lessing doch auch gleich etwas Sex verordnen und – Kontrast zu Gobi – damit scheitern lassen. Weil nämlich in der Wohnung der beiden die Heizung ausgefallen ist, bleibt der Vollzug trotz Reizwäsche stets im Ansatz stecken. Im aufgewärmten Dienstwagen klappt es wegen der Zuschauer auch nicht besser, da bleibt am Ende nur noch die Gefängniszelle. Selbst Chef und Partylöwe Stich, den Thorsten Merten wie immer erfrischend beflissen und ernsthaft komödiantisch gibt, scheint endlich mal einen Stich zu kriegen. Aber das ist alles kein Vergleich zu Gobi, dem männlichen Urviech, das die Theorie vom starken Geschlecht, das seinen Samen in die Welt streut, lustvoll bestätigt. „Das waren die schönsten 15 Minuten meines Lebens“, schwärmt später eine von ihm beglückte Zufallsbekanntschaft – und dem Zuschauer schwant, dass die latent erotische Idee, diesen Womanizer der anderen Art Dessous für die gesamte weibliche Belegschaft und für seine Liebste draußen stricken zu lassen, nicht zuletzt einem Sprachspiel geschuldet ist: Was klingt ähnlich wie „stricken“ und beginnt mit „f“? 20.15 Uhr macht erfinderisch.
Die Komik: konzeptionell klug konzipiert, clever im Detail, cool gespielt
An den komödiantischen Momenten und der Drehbuch-Logistik zwischen A-Plot um Gobis Mordgeschichten und dem B-Plötchen, dem Sexleben der Kommissare, gibt es nicht viel herumzumäkeln. Dorn bleibt fix, Lessing ein Klugscheißer – und ein Teil ihrer Kommunikation findet nach wie vor in einer Art Geheimcode statt. Den verstehen die meisten in der Handlung Herumstehenden nicht – und der Zuschauer auch nur dann, wenn er aufmerksam zuhört und die Lücken füllt. „Mitdenken macht doch auch Spaß, wenn man selber auf die Idee kommt“, versucht einmal im Film Lessing einen der trägen Polizisten zu motivieren. Genau so funktioniert in den besten Fällen dramaturgisch die Komik von Clausen & Pflüger. Die Ironie kann mal in nur einen Satz verpackt sein (Dorn zur Harfenistin: „Wenn Sie Schauspielerin wären, würden Sie verhungern“), mal ist es eine kurze Handlungssequenz und mal auch eine längere: Da gefällt sich ein Psychiater darin, seinen Chef zwischenmenschlich als absoluten Widerling zu beschreiben – bis sich herausstellt, dass der Herr Doktor in Wahrheit ein Patient ist. Das ist nicht neu, aber immer wieder für komisches Déjà-Vus gut (zuletzt in „Der mit dem Schlag“). Neu ist aber, dass nun der richtige Doktor mit ganz ähnlichen Vokabeln über den Klinikchef herzieht, sodass ihn Dorn irgendwann freundlich mit den Worten „Dürfte ich mal Ihren Ausweis sehen?“ unterbricht. Hübsch sind auch die Gags mit Langzeitwirkung: Die arroganten LKA-Beamen bekommen Weimarer Spezialkaffee; da wandert der Rotz der Kollegen in den Kaffeefilter und in die rote Kanne. Die Komik ist also konzeptionell klug konzipiert, clever im Detail, mal beiläufig spritzig (Tschirner), mal verzwirbelt kompliziert (Ulmen), mal versteckt und mit mimischen Understatement (Hain & Vogel) präsentiert: Das ist und bleibt um Längen besser als der „Tatort“ aus Münster mit seinen Pingpong-Dialogen.
Foto: MDR / Anke Neugebauer
Meckern auf hohem Niveau: Die letzten drei Filme waren einfach besser!
Doch die Komik – so vortrefflich sie in „Der wüste Gobi“ teilweise auch sein mag – besitzt einen dramaturgischen Haken. Das komödiantische Element schafft immer auch Distanz, reißt den Zuschauer gewissermaßen aus dem Fluss – in diesem Fall – der Krimihandlung. Und da diese ohnehin schon keineswegs so „mitreißend“ und schön schräg überladen ist, wie die Plots der letzten drei „Tatort“-Episoden aus Weimar, kommt trotz der vorzüglichen Besetzung überhaupt kein Handlungsflow beim Zuschauen auf. Das liegt sicherlich auch am Grundentwurf der Geschichten: Ein Rummelplatz mit Geisterbahn und fahrendem Volk wie in „Der Irre Iwan“, ein Puff auf Rädern, Plattenbauten im schönen Weimar und ein tödliche Schlacke produzierendes Stahlwerk wie in „Der treue Roy“ oder eine stattliche Burg, eine Porzellan-Manufaktur & das bizarre Refugium eines Kollegen-Sonderlings wie in „Der scheidende Schupo“ boten ein ganz anderes narratives Ambiente als eine Psychiatrie (entsprechend wenig wird sie szenisch ausgespielt); und die „Magie“ der Kanalisation kommt leider nur im Finale – leicht Edgar-Wallace-like – zum Tragen. In den vorherigen drei Weimarer „Tatorten“ entstanden ungewöhnliche, verspielte Mikrokosmen und skurrile Verdichtungen der Handlungen. Jeder hatte mit jedem irgendwie zu tun. Das ist zwar auch im „Gobi“-Film der Fall, aber die Zusammenhänge werden erst am Ende – wenig elegant – aufgedröselt. Die Jokes in den Vorgängerfilmen, bis auf „Die Fette Hoppe“ (da mussten alle noch üben), sorgten freilich auch für eine gewisse Distanz, aber das konnten diese aus dem Vollen schöpfenden Geschichten mit ihren komplexen, mal auch etwas komplizierten, aber retrospektiv immer logischen Erzählkonstruktionen verkraften. Bei diesen Filmen galt ausnahmsweise mal nicht: Weniger ist mehr (beim neuen Film müsste es heißen: Weniger wirkt leer). Waren die (verbalen) Spielchen der Kommissare in diesen drei Fünf-Sterne-Krimikomödien eine köstliche Zugabe, der Barolo zum Hauptgericht quasi, kann nun der 1A-Wein die Mängel bei der Zubereitung der Hauptspeise nicht verdecken. Im Gegenteil. Der Gaumen wird nicht verwöhnt. Man ist allenfalls ein bisschen angetrunken. Auf die Filmrezeption übertragen: Während es den anderen Krimikomödien aus Weimar sogar zwischenzeitlich gelang, echte Spannung und wahre emotionale Momente zu etablieren, lässt einen die Rumpelhandlung von „Der wüste Gobi“ mit seinem filmisch ruckeligen Anti-Flow ziemlich kalt. Dieses Todschlagargument ist unbrauchbar, um einen Film für mittelmäßig oder schlecht zu erklären, aber als Argument dafür, weshalb dieser „Tatort“ eben nur etwas mehr als gut ist und eben nicht zu den Kronjuwelen der TV-Krimikomödie der 2010er Jahre gehört, dafür taugt es schon. Und Spaß macht der Film ja sowieso. (Text-Stand: 1.12.2017)