Wenig Leiche: rätselhafter Tod in der Schlackegrube
Die Hochofenschlacke eines Weimarer Stahlwerks birgt DNA-Spuren von Roy Weischlitz (Florian Lukas). Kein schöner Tod. Selbstmord dürfte wohl ausgeschlossen werden. Der Tote war zuletzt ein sehr trauriger Mann. Lange Jahre verband ihn ein inniges Verhältnis zu seiner Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt) – bis ein tragischer Unfall die Geschwisterliebe auf eine harte Probe stellte: Die Folgen des Junggesellenabschieds von Roys bestem Freund Karsten (Thomas Wodianka) – Siegrid und er wollten heiraten – kosteten diesem nicht nur ein Bein, sondern auch sein Glück. Der Mann, der fortan nur noch „Flamingo“ hieß, ergab sich dem Suff und wollte nichts mehr von seiner Braut wissen. Roy, der schuld an dem Unfall war, wurde darüber immer depressiver. Also doch Selbstmord? Oder die späte Rache des Freundes? Denn dessen Leben hat jetzt erst seinen Tiefpunkt erreicht. Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) müssen ganz schön ihre grauen Zellen anstrengen. Weshalb schrieb Roy sein Tagebuch spiegelverkehrt auf die Quittungen seiner Lottoscheine? Lotto – Könnte sich dahinter nicht das wahre Mordmotiv verstecken? Und haben nicht vielleicht die Prostituierte „Irina“ (Nadine Boske) und ihr Zuhälter (Sebastian Hülk) was damit zu tun? Am Ende ist nichts so, wie es scheint – und Kira spürt den Hauch des Todes.
Regisseur Gregor Schnitzler über das Thema des Films:
„Für mich geht es um ‚Illusionen’. Menschen geben sich Illusionen hin und sehen oftmals nicht, was wirklich in ihrem Leben passiert. Menschen laufen Illusionen hinterher und tun Dinge, die sie nicht reflektieren können oder wollen. Dadurch entstehen gefährliche Situationen, die sie an den Rand ihrer Existenz bringen.“
Foto: MDR / Anke Neugebauer
Viel Spaß: Präzision & Kalauer beflügeln die Komödie
Christian Ulmen und Nora Tschirner kultivieren mit ihrem dritten „Tatort“ den ganz eignen Stil zwischen Komödie und Krimi, den sie bei ihrem zweiten Streich, „Der Irre Iwan“, gefunden haben. Dabei legen die Autoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger den beiden köstlich lapidare Pingpong-Dialoge in den Mund und verordnen ihren Weimarer Kommissaren einen Ermittlungsstil, der teilweise so sachlich und trocken ist, dass er – angereichert mit einigen beiläufigen Gag-Einwürfen – an eine Parodie grenzt. Der Krimi kommt dabei nicht zu kurz, doch die Narration von „Der treue Roy“ fußt eindeutig auf dem Struktur-Prinzip der Komödie – und tonlagentechnisch gewinnt in den 90 Minuten zunehmend das Absurde die Oberhand. Das zeigt sich im Detail, aber auch in der Konstruktion der Krimihandlung. Realistisch sind nur die Plattenbauten. Alles andere ist sorgfältig erdacht & fein gedrechselt, Präzisionsarbeit, vom sinnstiftenden Kostüm (Haberlandts Retro-Look) bis zum kleinsten Augenaufschlag, von den vermeintlich Weimar-untypischen Locations (ein Puff auf Rädern im Schatten der Plattenbauten) bis zum exzellenten Timing in und zwischen den Szenen. Ungewöhnlich sind auch die Dialogwechsel: die wohl kürzesten, die man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen jemals gehört hat (Kira frühmorgens am Telefon: „Was? Wie? Wo?“ Lessing sitzt am PC. Sie: „Porno?“ Er: „Arbeit?“). Und zwischendurch kalauert es erfrischend. Lessing: „Wer sitzt denn da im Schrank?“ Karsten: „Frank.“ Kira: „Krank.“ Oder: „Vielleicht sollte ich mir die Beine wachsen lassen“, sinniert die schöne Kommissarin. Darauf Lessing: „Oh ja, 5cm wäre toll.“ Auch das Weimarer Denglisch sorgt für Belustigung: „That’s our Flugzeug in die Freiheit, Baby, aber we must before noch was erledigen.“ Oder: „I am in einer Stunde bei you.“
Gregor Schnitzler über das visuelle Konzept:
„Mit Kameramann Ralf Noack habe ich eine Bildsprache entwickelt, die nicht hektisch den Schauspielern hinterher läuft, um ihr Spiel einzufangen, sondern es ging darum, spannungsgeladene Bildausschnitte zu setzen, die das Skurrile der Story unterstreichen und den Schauspielern Platz zum Wirken lassen.“
Foto: MDR / Anke Neugebauer
Voller Ironie: Coen-Brüder kommen aus der Deckung
Besonders gelungen ist die Verzahnung der Genres – Krimi und Beziehungskomödie. Da ermittelt die Frau im Schmuddelparka in den zugigen Gängen des Stahlwerks, während der Mann mit Sakko und Weste die Überwachungskameravideos vom Vorabend kontrolliert. Dabei entgeht ihm auf einem anderen Monitor Kiras verfängliche Befragung des Hochofen-Casanovas nicht. Die Komik dieser Situation wird verstärkt durch die virtuosen Dialoge zwischen Kira und ihrem Ex-One-Night-Stand. Der beantwortet zwar folgsam jede Frage, findet aber in jeder Replik sogleich zurück zum Thema Sex („Sag deinem Mann doch einfach, du hast Nachtschicht“). Was die Handlung angeht, zielt der Film von Gregor Schnitzler in der zweiten Hälfte deutlich in Richtung auf die auch hierzulande beliebte Coen-Brüder-Ironie: Skurril und aberwitzig verknäulen die Autoren die Handlung um Lügen, Liebe & Lotto zu einer Tragödie, die sich als Farce um einen lächerlichen Mann entpuppt, dem es nicht vergönnt ist zu sterben. Die sechs Richtigen, die tschechische Prostituierte, die in Wahrheit ein Weimarer Mädchen („Der Schwanz ist gelutscht“) ist, oder die finanzielle Absicherung für Roys Schwester – überall öffnet sich bei näherem Hinschauen ein doppelter Boden. Darin unterscheidet sich „Der treue Roy“ grundlegend von den vielen schlecht erzählten Krimis, in denen eine Überraschung die nächste jagt und am Ende die Lösung ernsthaft aus dem Ärmel geschüttelt wird. In Weimar – anders als in Münster – hat die Krimikomödie System. Die beiden Genres motivieren sich hier gegenseitig. „Für mich ging es darum, nicht Figuren zu präsentieren, die permanent Lacher wegen des Lachers servieren, sondern eine Welt zu zeigen, die glaubhaft ist und in ihrer Verstiegenheit höchst komisch wirkt“, so Regisseur Schnitzler. Und die Geschichte: ein Desaster aus Liebe. Die Dramaturgie: dichter geht’s kaum. Die Filmsprache: mal großartig bildfüllend, mal klein & alltagsnah – aber immer stilsicher und mit so mancher Referenzspur. Die Schauspieler: Könner des komisch Komischen (Ulmen, Tschirner, Matschke) und des verzweifelt Komischen (Haberlandt, Lukas). Nur wer zum Lachen in den Keller geht oder nicht akzeptieren kann, dass es bei über 40 neuen „Tatort“-Episoden und rund 100 Reihen-Krimis pro Jahr auch mal einen Krimi gibt, der aus dem Geist der Komödie kommt, kann hier etwas zu mäkeln haben. (Text-Srand: 29.3.2016)