Der Münchner „Tatort“ ist in den letzten Jahren gegenüber dem „Polizeiruf“ aus der Bayern-Metropole etwas ins Hintertreffen geraten. 17 Jahre sind Batic und Leitmayr im Amt, da schleicht sich gelegentlich Routine ein. Für seinen insgesamt 75. „Tatort“ seit 1972 hat sich der BR nun ein ganz besonderes Schmankerl ausgedacht. Aufgeklärt werden müssen zwei Morde aus dem Rotlicht-Milieu, an dem sich schon die Kollegen versucht haben – vor 42 Jahren. Erst jetzt wurde die Tatwaffe gefunden. Augrund moderner forensischer Techniken kann der Fall wieder aufgerollt werden. Auch wenn den Kommissaren nicht wohl dabei ist.
„Der hat Puffgeschichte g’schrieben“, klärt die beiden das Polizei-Urgestein „Opa Sirsch“ über den Hauptverdächtigen auf. „In Puffgeschichte bin ich ganz schlecht“, kontert Leitmayr, dem dieser ganze Fall besonders gegen den Strich geht. Erst dieser „oide Depp“, der ihnen zuarbeiten soll, der aber nicht einmal einen Computer bedienen, geschweige denn E-Mails oder wie er sagt „Emils“ öffnen kann. Dann auch noch dieser zynische Halbwelt-König Esslinger, der beim ersten Besuch seine mannshohe Dogge auf die Kommissare hetzt. Bei diesem Bordell-Pionier arbeiteten in den Sechzigern die beiden Opfer. In dessen Oldtimer fand man nun die Mordwaffe. Für Leitmayr ist der Fall klar. Doch der Polizeipräsident blockt ab.
„Der oide Depp“ beginnt in Schwarzweiß. Einige Szenen aus der Serie „Funkstreife Isar 12“ versetzen den Zuschauer in die 60er Jahre. Ein flaschengrüner BMW 501, der so genannte „Barockengel“, rast durch die ziemlich aufgeräumten Münchner Straßen. Auch später findet die Handlung immer wieder zurück ins Jahr 1965 und sucht nach Spuren für die Gegenwart. Dabei wird deutlich, wie unzuverlässig das Gedächtnis oft funktioniert. Oder haben vielleicht alle, die sich im Film erinnern, gute Gründe, sich nur bruchstückhaft zu erinnern? Das Zeit-Hopping jedenfalls macht den größten Reiz dieses Krimis aus. Auch ästhetisch. „Da wir für eine deutliche visuelle Orientierung sorgen mussten, haben wir uns in den 1965er Szenen für Schwarzweiß entschieden“, so Regisseur Michael Gutmann. Eine gute Entscheidung.
Eine glückliche Hand auch beim Casting: Markante Gesichter wie Christoph Bach und Muriel Roth fand man für die Vergangenheit, drei bayerische Urgesteine für die Gegenwart: Dieter Kirchlechner als melancholischer Polizist a.D., Jörg Hube, der Selge als Kommissar im „Polizeiruf“ beerben wird, als wuchtiger Instinkt- und Machtmensch und Fred Stillkrauth als Schlüsselfigur zu diesem verzwickten Fall um Liebe & Leidenschaft aus der Zeit vor Oswald Kolle. Allein um diesen Schauspielern eine Plattform zu geben, hätte sich der Film gelohnt.
Dieser „Tatort“ zeigt, dass die erwünschte Aufmerksamkeit am Sonntagabend sich nicht nur mit gesteigerter Brutalität und sozialen Reizthemen erzielen lässt, sondern auch mit Intelligenz, Einfallsreichtum und Rück-Sicht. Dass „Der oide Depp“ ein echtes TV-Schmuckstück geworden ist, überrascht kaum. Regisseur Gutmann, alles andere als ein Fernsehkrimi-Routinier, schrieb die Bücher zu den Kino-Erfolgen „Nach fünf im Urwald“, „Crazy“ und „Lichter“. Auch Alexander Adolph ist ein verdienter Kollege – mit zwei Grimme-Preisen und einem Deutschen Fernsehpreis innerhalb der letzten fünf Jahre. (Text-Stand: 27.4.2008)