Ein Tag, an dem keiner in Münster an Mord denkt. Es ist ein Ehrentag nicht nur für den neuen Stadtschreiber, sondern auch für Professor Boerne (Jan Josef Liefers), der die Laudatio auf diesen charismatischen Abenteurer halten darf: Der Autor ist bekannt geworden mit seinem autobiografischen Buch „Der Mann, der in den Dschungel fiel“; nach einem Flugzeugabsturz hat er fünfzehn Jahre in Paraguay bei einem indigenen Stamm gelebt. „Dass der mal ein Buch schreibt…“, wundert sich Kommissar Thiel (Axel Prahl), der jenen Stan Gold (Detlev Buck) noch aus seiner Schulzeit kennt, damals allerdings hieß er Hotte Koslowski und war eher der Klassenclown. Beinahe wäre nichts aus dem Stipendium für Hotte geworden, denn ein Bienen-Stich entpuppt sich als Mordversuch. Da Sabina Kupfer (Eva Verena Müller), die mehr als seine Managerin ist, das Notfallset für Allergiker vor Aufregung nicht findet, schreitet Boerne zur Tat und rettet mit einem Luftröhrenschnitt den Mann, dem er es bald gleichtun könnte. Golds Managerin Sabina hat jedenfalls Großes vor mit der forensischen Koryphäe. Und so muss – derweil Boerne an seinem True-Crime-Werk arbeitet – Haller (ChrisTine Urspruch) seinen Job machen, während Thiel für die Sicherheit seines alten Schulkameraden zuständig ist. Da das Stadtschreiberhaus nach einem Anschlag nicht mehr sicher ist, treffen sich bald alle, Kriminaler wie Kreative, in Boernes Schreibdomizil auf dem Land.
Foto: WDR / Frank Dicks
Ist das womöglich der Abschied von Axel Prahl aus dem „Tatort“? Man kann sich die Eingangssequenz von „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ auch noch ein zweites Mal anschauen: Man erkennt kein Zucken, kein Zwinkern, der Mann sieht mausetot aus. Thiel stellte sich schützend vor das Zielobjekt, jenen auf Zeugenschutz hoffenden Bestsellerautor, der in Paraguay in krumme Geschäfte verwickelt war und die Rache eines Rebellenführers fürchtet. Ein vermummter Mann schießt – und es erwischt den Kommissar. „Es tut mir leid“, sind seine letzten Worte. Danach springt die Handlung vier Tage zurück. Der abstruse Fall, das Genre Krimi-komödie und ein Unikum wie Detlev Buck in der Episodenhauptrolle legen allerdings nahe, dass sich das Ganze schon irgendwie am Ende zum Guten wenden wird. Aber wie nur? Da schleicht, nachdem der Filmtitel ins kitschig rot unterlegte Bild knallte wie weiland auf die Leinwand die Schüsse und Buchstaben in den guten alten Edgar-Wallace-Filmen („Hallo, hier spricht…“), eine vermummte Person durchs nächtliche Münster. Augenscheinlich ein Killer. Allerdings so professionell und furchterregend wie einst die Psychopathenmörder in den deutschen Krimis von der Themse sieht der nicht unbedingt aus.
Foto: WDR / Frank Dicks
Selten tappten selbst in einer Krimikomödie die Kommissare so lange im Dunkeln wie in dieser höchst unterhaltsamen Räuberpistole. Erst zehn Minuten vor dem Ende kommen sie hinter das Motiv. Die Geschichte bleibt ein Rätsel, so wie auch dieser Filou, diese Quasselstrippe, dieser Geschichtenerzähler ein Rätsel bleibt. Stan Gold liebt offensichtlich noch immer die Frau (Nicole Johannhanwahr), zu der er vor fünfzehn Jahren nicht zurückkehren konnte, die damals von ihm schwanger war und das Kind auch bekommen hat; einen Heiratsantrag macht er jedoch seiner Managerin. Die Szene, in der er gemeinsam mit seiner Ex und seiner Tochter Wacken-like die Heavy-Metal-Sau rauslässt, wirkt durchaus authentisch; auch die Kommunikation mit seiner Managerin wirkt mehr oder weniger „echt“ für Hottes Verhältnisse: Dieser Mann ist einfach immer drüber. Eine Paraderolle für Detlev Buck, der ja oft schon in Labertaschen- und Aufschneider-Rollen wie zuletzt in „German Genius“ brillierte. Mögliche Vermutungen, was die Psychologie des Falles angeht, führen ein ums andere Mal ins Leere. Natürlich versucht man als Zuschauer, auch den Sub-Plot um Professor Boerne und seine neue Karriere als Buchautor mit dem Krimifall in Beziehung zu setzen. Außerdem gibt es seltsame Rückblenden, in denen Koslowski mit einem Gewehr herumhantiert und auf einen hässlichen Hund schießt. Nach Südamerika sehen diese Bilder nicht aus. Dieser „Tatort“ ist nicht klassisch spannend, was auch nicht die Kernaufgabe der Krimikomödien aus Münster ist, aber er hält wach im besten Sinn.
Foto: WDR / Frank Dicks
Wäre „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ ein klassischerer Whodunit oder ein Krimithriller, würde man wohl als Zuschauer einige der dramaturgischen Eskapaden diesem „Tatort“ nicht verzeihen. Ein Krimi aber, der Genre und Geschichte nicht bierernst nimmt, der kann es sich sowohl leisten, nicht die üblichen Muster zu bedienen, als auch tief in die Trickkiste des schlechteren Krimigeschmacks Marke Edgar Wallace zu greifen. Die Kultkrimis mit den maskierten Bösewichtern sind im Übrigen nicht die einzigen Referenzen, die Autor Thorsten Wettcke (drei starke Münster-„Tatorte“) und Regisseur und „Tatort“-Novize Till Franzen („Nord bei Nordwest“, „Lauchhammer“) hübsch beiläufig herbeizitieren. Zunächst geben sie sich selbstreferentiell in eigener Sache: So wird explizit auf Boernes Luftröhrenschnitt angespielt, der Thiel in der Episode „Erkläre Chimäre“ (2015) das Leben gerettet hat. Erinnert wird auch an Schlagersänger Roman König alias Roland Kaiser, der in „Summ, Summ, Summ“ (2013) von einer Biene gestochen wurde. Und auch ein bisschen Film- und Kriminalromangeschichte wird in den neunzig Minuten zitiert. Ohne Spoiler-Gefahr ist de-Niros Spiegelszene aus „Taxi Driver“. Bei anderen müssen Namen und Titel genügen: Patricia Highsmith und „Der Clou“. Apropos: Auf einen feinen Clou werden sicherlich auch alle der 12 bis 13 Millionen Zuschauer hoffen.