Tatort – Der Mann, der in den Dschungel fiel

Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Detlev Buck, Wettcke, Franzen. Das Hoffen auf einen Clou

Foto: WDR / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Ist das womöglich der Abschied von Axel Prahl aus dem „Tatort“? Man kann sich die erste Szene von „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ (ARD / Molina Film) auch noch ein zweites Mal anschauen: Man erkennt kein Zucken, kein Zwinkern, Thiel sieht mausetot aus. Der abstruse Fall, das Genre Krimikomödie und ein Unikum wie Detlev Buck in der Episoden-Hauptrolle legen allerdings nahe, dass sich das Ganze schon irgendwie zum Guten wenden dürfte. Aber wie nur? Selten tappten selbst in einer Krimikomödie die Kommissare so lange im Dunkeln wie in dieser höchst unterhaltsamen Räuberpistole. Die Geschichte ein Rätsel, die Gast-Hauptfigur, der Münsteraner Stadtschreiber, ein Filou und Abenteurer in Lebensgefahr, ein Rätsel, einige Rückblenden ein Rätsel – das sorgt für einen wachen Blick beim Zuschauer. Der kann dann auf dem Weg zum Clou auch noch ein paar Filmzitate aufsammeln.

Ein Tag, an dem keiner in Münster an Mord denkt. Es ist ein Ehrentag nicht nur für den neuen Stadtschreiber, sondern auch für Professor Boerne (Jan Josef Liefers), der die Laudatio auf diesen charismatischen Abenteurer halten darf: Der Autor ist bekannt geworden mit seinem autobiografischen Buch „Der Mann, der in den Dschungel fiel“; nach einem Flugzeugabsturz hat er fünfzehn Jahre in Paraguay bei einem indigenen Stamm gelebt. „Dass der mal ein Buch schreibt…“, wundert sich Kommissar Thiel (Axel Prahl), der jenen Stan Gold (Detlev Buck) noch aus seiner Schulzeit kennt, damals allerdings hieß er Hotte Koslowski und war eher der Klassenclown. Beinahe wäre nichts aus dem Stipendium für Hotte geworden, denn ein Bienen-Stich entpuppt sich als Mordversuch. Da Sabina Kupfer (Eva Verena Müller), die mehr als seine Managerin ist, das Notfallset für Allergiker vor Aufregung nicht findet, schreitet Boerne zur Tat und rettet mit einem Luftröhrenschnitt den Mann, dem er es bald gleichtun könnte. Golds Managerin Sabina hat jedenfalls Großes vor mit der forensischen Koryphäe. Und so muss – derweil Boerne an seinem True-Crime-Werk arbeitet – Haller (ChrisTine Urspruch) seinen Job machen, während Thiel für die Sicherheit seines alten Schulkameraden zuständig ist. Da das Stadtschreiberhaus nach einem Anschlag nicht mehr sicher ist, treffen sich bald alle, Kriminaler wie Kreative, in Boernes Schreibdomizil auf dem Land.

Tatort – Der Mann, der in den Dschungel fielFoto: WDR / Frank Dicks
Merkwürdig, diese Biene hat ja noch ihren Stachel. Der Bienen-Stich war also ein Mordanschlag. Weil sich Boerne (Liefers) zu Höherem berufen fühlt, einem True-Crime-Sachbuch über seine Arbeit, muss Haller (ChrisTine Urspruch) übernehmen.

Ist das womöglich der Abschied von Axel Prahl aus dem „Tatort“? Man kann sich die Eingangssequenz von „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ auch noch ein zweites Mal anschauen: Man erkennt kein Zucken, kein Zwinkern, der Mann sieht mausetot aus. Thiel stellte sich schützend vor das Zielobjekt, jenen auf Zeugenschutz hoffenden Bestsellerautor, der in Paraguay in krumme Geschäfte verwickelt war und die Rache eines Rebellenführers fürchtet. Ein vermummter Mann schießt – und es erwischt den Kommissar. „Es tut mir leid“, sind seine letzten Worte. Danach springt die Handlung vier Tage zurück. Der abstruse Fall, das Genre Krimi-komödie und ein Unikum wie Detlev Buck in der Episodenhauptrolle legen allerdings nahe, dass sich das Ganze schon irgendwie am Ende zum Guten wenden wird. Aber wie nur? Da schleicht, nachdem der Filmtitel ins kitschig rot unterlegte Bild knallte wie weiland auf die Leinwand die Schüsse und Buchstaben in den guten alten Edgar-Wallace-Filmen („Hallo, hier spricht…“), eine vermummte Person durchs nächtliche Münster. Augenscheinlich ein Killer. Allerdings so professionell und furchterregend wie einst die Psychopathenmörder in den deutschen Krimis von der Themse sieht der nicht unbedingt aus.

Tatort – Der Mann, der in den Dschungel fielFoto: WDR / Frank Dicks
„Dass der mal ein Buch schreibt.“ Kommissar Thiel (Axel Prahl) kann sich nur wundern. Stan Gold hieß mal Hotte Koslowski, ging in seine Klasse und war alles andere als ein Goldjunge. Jetzt muss Thiel für die Sicherheit des Autors sorgen.

Selten tappten selbst in einer Krimikomödie die Kommissare so lange im Dunkeln wie in dieser höchst unterhaltsamen Räuberpistole. Erst zehn Minuten vor dem Ende kommen sie hinter das Motiv. Die Geschichte bleibt ein Rätsel, so wie auch dieser Filou, diese Quasselstrippe, dieser Geschichtenerzähler ein Rätsel bleibt. Stan Gold liebt offensichtlich noch immer die Frau (Nicole Johannhanwahr), zu der er vor fünfzehn Jahren nicht zurückkehren konnte, die damals von ihm schwanger war und das Kind auch bekommen hat; einen Heiratsantrag macht er jedoch seiner Managerin. Die Szene, in der er gemeinsam mit seiner Ex und seiner Tochter Wacken-like die Heavy-Metal-Sau rauslässt, wirkt durchaus authentisch; auch die Kommunikation mit seiner Managerin wirkt mehr oder weniger „echt“ für Hottes Verhältnisse: Dieser Mann ist einfach immer drüber. Eine Paraderolle für Detlev Buck, der ja oft schon in Labertaschen- und Aufschneider-Rollen wie zuletzt in „German Genius“ brillierte. Mögliche Vermutungen, was die Psychologie des Falles angeht, führen ein ums andere Mal ins Leere. Natürlich versucht man als Zuschauer, auch den Sub-Plot um Professor Boerne und seine neue Karriere als Buchautor mit dem Krimifall in Beziehung zu setzen. Außerdem gibt es seltsame Rückblenden, in denen Koslowski mit einem Gewehr herumhantiert und auf einen hässlichen Hund schießt. Nach Südamerika sehen diese Bilder nicht aus. Dieser „Tatort“ ist nicht klassisch spannend, was auch nicht die Kernaufgabe der Krimikomödien aus Münster ist, aber er hält wach im besten Sinn.

Tatort – Der Mann, der in den Dschungel fielFoto: WDR / Frank Dicks
Rätselhaft: Wie kann es sein, dass Stan Gold (Detlev Buck) seine PR-Agentin Sabina Kupfer (Eva Verena Müller) in seiner Stadtschreiber-Dankesrede nicht erwähnt? Schließlich hat sie ihn doch erst zu dem Bestseller-Autor gemacht, der er heute ist.

Wäre „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ ein klassischerer Whodunit oder ein Krimithriller, würde man wohl als Zuschauer einige der dramaturgischen Eskapaden diesem „Tatort“ nicht verzeihen. Ein Krimi aber, der Genre und Geschichte nicht bierernst nimmt, der kann es sich sowohl leisten, nicht die üblichen Muster zu bedienen, als auch tief in die Trickkiste des schlechteren Krimigeschmacks Marke Edgar Wallace zu greifen. Die Kultkrimis mit den maskierten Bösewichtern sind im Übrigen nicht die einzigen Referenzen, die Autor Thorsten Wettcke (drei starke Münster-„Tatorte“) und Regisseur und „Tatort“-Novize Till Franzen („Nord bei Nordwest“, „Lauchhammer“) hübsch beiläufig herbeizitieren. Zunächst geben sie sich selbstreferentiell in eigener Sache: So wird explizit auf Boernes Luftröhrenschnitt angespielt, der Thiel in der Episode „Erkläre Chimäre“ (2015) das Leben gerettet hat. Erinnert wird auch an Schlagersänger Roman König alias Roland Kaiser, der in „Summ, Summ, Summ“ (2013) von einer Biene gestochen wurde. Und auch ein bisschen Film- und Kriminalromangeschichte wird in den neunzig Minuten zitiert. Ohne Spoiler-Gefahr ist de-Niros Spiegelszene aus „Taxi Driver“. Bei anderen müssen Namen und Titel genügen: Patricia Highsmith und „Der Clou“. Apropos: Auf einen feinen Clou werden sicherlich auch alle der 12 bis 13 Millionen Zuschauer hoffen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

WDR

Mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Detlev Buck, ChrisTine Urspruch, Eva Verena Müller, Björn Meyer, Mechthild Großmann, Nicole Johannhanwahr, Claus D. Clausnitzer, Ralf Drexler, Thomas Fehlen

Kamera: Timo Moritz

Szenenbild: Simon Schläger

Kostüm: Anne Jendritzko

Schnitt: Nils Landmark

Musik: Andreas Weidinger

Soundtrack: Adriano Celentano („Pregherò“, „Solo Da Un Quarto D’ora“)

Redaktion: Sophie Seitz

Produktionsfirma: Molina Film

Produktion: Jutta Müller

Drehbuch: Thorsten Wettcke

Regie: Till Franzen

Quote: 11,61 Mio. Zuschauer (37,7% MA)

EA: 10.12.2023 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach