Tatort – Der Inder

Richy Müller, Felix Klare, Thomas Thieme, Niki Stein. Sumpf aus Filz und Korruption

Foto: SWR / Alexander Kluge
Foto Tilmann P. Gangloff

Es ist ein heißes Eisen, dass der SWR mit diesem „Tatort“ über Stuttgart 21 anpackt: So konkret setzen sich die Sonntagskrimis selten mit aktuellen wirtschaftspolitischen Vorgängen auseinander. Das Bauprojekt steht zwar im Zentrum der Handlung, aber trotzdem ist Niki Steins kunstvoll konstruierter Film in erster Linie ein Krimi: Kurz nach seinem Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss wird ein für den Bahnhofsbau zuständiger früherer Staats-Sekretär ermordet; selbst der abgewählte Ministerpräsident gerät ins Visier der Ermittler.

Mit diesem Film beweist der SWR großen Mut; so unverblümt setzen sich sonst nur die ZDF-Reihe „Unter Verdacht“ und gelegentlich der Bayern-„Tatort“ mit unheiligen Allianzen aus Politik und Wirtschaft auseinander. Hinzu kommt, dass Niki Stein Ross und Reiter nennt. Sein „Tatort“ ist zwar nicht der erste Krimi aus Stuttgart, in dem es um Korruption bei großen Bauprojekten geht, aber „Der Inder“ behandelt konkret das Thema Stuttgart 21. Dennoch ist der Film in erster Linie ein Krimi: Nach der Ermordung eines früheren Staatssekretärs durch einen Profikiller gerät sogar der ehemalige Ministerpräsident ins Visier der Ermittler.

Mindestens so reizvoll wie der Stoff ist Steins komplexe Erzählstruktur. Als wäre die Story nicht ohnehin schon kompliziert genug, hüpft der Film fortwährend zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen hin und her, um auf diese Weise Stückchen für Stückchen das gesamte Bild entstehen zu lassen; auch wenn die Handlung dadurch zunächst eher noch unübersichtlicher wird. Vordergründig geht es für die beiden Kommissare Lannert und Bootz darum, herauszufinden, wer den Tod des Politikers in Auftrag gegeben hat; aber von nicht minder großer Bedeutung ist die Arbeit eines Untersuchungsausschusses, der versucht, den Sumpf aus Filz & Korruption, den die abgewählte Landesregierung hinterlassen hat, trockenzulegen.

Tatort – Der InderFoto: SWR / Johannes Krieg
Eine Bauprojektpleite brachte den Baulöwen Dillinger (Thomas Thieme) hinter Gitter. Es geraten auch andere hohe Tiere ins Visier der Ermittler.

Stein, der für den SWR unter anderem „Rommel“ sowie das Scientology-Drama „Bis nichts mehr bleibt“ gedreht hat, gehört seit über zwanzig Jahren zur „Tatort“-Familie. Er war als Autor Schöpfer der Kommissare aus Köln und hat 2002 mit einer herausragenden Trilogie das Frankfurter Team Dellwo/Sänger eingeführt. Sogar in seiner illustren Filmografie aber nimmt „Der Inder“ einen besonderen Stellenwert ein, zumal die Geschichte fast zu groß für die vergleichsweise bescheidenen Mittel eines Sonntagskrimis ist. Deshalb wartet der Film auch nicht mit wuchtigen Bildern auf, selbst wenn die narrative Struktur zur Folge hat, dass die Schauplätze ständig wechseln. Es gibt zwar durchaus Szenen, für die vermutlich ein gewisser logistischer Aufwand nötig war, darunter eine nächtliche Demo sowie das Finale am Bahnhof, aber neben dem Sujet liegt der Reiz dieses „Tatorts“ vor allem in der Dramaturgie.

Davon abgesehen sind Steins Filme stets auch deshalb sehenswert, weil er die Schauspieler zu essenziellen Leistungen führt: Abgesehen von Ulrich Gebauer, der als volksnaher Politiker schwäbeln und poltern darf, sind die Darbietungen extrem reduziert. Interessanteste Figur ist der Mann, der bei dem Wirtschaftsskandal neben einem vermeintlichen Investor aus Indien die zentrale Rolle gespielt hat. Bei einem anderen Darsteller hätte dieser keineswegs unsympathischer Architekt, der als Freigänger in Stammheim einsitzt, womöglich wie das Bauernopfer der Geschichte gewirkt. Verkörpert wird er allerdings von Thomas Thieme, der schon allein mit seiner eindrucksvollen physischen Präsenz verhindert, dass man diesen Busso von Mayer bloß für einen Mitläufer hält. Deshalb ist der Architekt nicht nur für die großen, sondern auch für kleinen Wahrheiten zuständig, die vielen Stuttgartern nicht gefallen werden.

Tatort – Der InderFoto: SWR / Alexander Kluge
Lannert (Richy Müller) gerät in eine Demo gegen Stuttgart 21. Ross und Reiter werden beim Namen genannt. Das ist eine der Stärken des „Tatort“ von Niki Stein.

Ähnlich durchdacht wie die Figuren ist die Bildgestaltung. Stein, dessen Filme sonst fast immer von Arthur W. Ahrweiler fotografiert werden, arbeitet hier erstmals mit Stefan Sommer zusammen. Die Bildsprache ist abwechslungsreich und steht ebenfalls im Dienst der Geschichte: Mal sorgt eine agile Handkamera dafür, dass man mitten im Geschehen ist, mal vermitteln gerissene Schwenks die aggressive Stimmung im Untersuchungsausschuss. Die Musik von Steins Stammkomponist Jacki Engelken ist stilistisch ebenso vielfältig und trägt ihren Teil dazu bei, die Ebenen kunstvoll miteinander zu verknüpfen.

Wohltuend ist zudem zur Abwechslung der komplette Verzicht auf das Privatleben der Polizisten. Zuletzt durfte der geschiedene Bootz ein bisschen viel in Selbstmitleid baden; dafür ist diesmal angesichts der Ermittlungen rund um die Uhr ohnehin keine Zeit. Trotzdem gibt es Muße für Beiläufigkeiten wie die Ibsen- und Heine-Zitate des Gerichtsmediziners oder die Zigarillos, die der Architekt vom Aufseher schnorrt. Für die Handlung sind sie nicht wichtig, für die Atmosphäre sehr wohl. Außerdem gibt es auf diese Weise keinerlei Leerräume; im Grunde müsste man den Film gleich noch mal von vorn anschauen, um neben dem großen Ganzen auch die Liebe zum Detail würdigen zu können. (Text-Stand: 28.5.2015)

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Reihe

SWR

Mit Richy Müller, Felix Klare, Thomas Thieme, Robert Schupp, Katja Bürkle, Gabriela Lindlova, Stephane Lalloz, Carolina Vera, Mimi Fiedler, Jürgen Hartmann, Ulrich Gebauer, Thomas Balou Martin

Kamera: Stefan Sommer

Szenenbild: Joachim Schäfer

Schnitt: Barbara Brückner

Musik: Jacki Engelken

Produktionsfirma: Maran Film

Drehbuch: Niki Stein

Regie: Niki Stein

Quote: 9,49 Mio. Zuschauer (28,3% MA)

EA: 21.06.2015 20:15 Uhr | ARD

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