Vier Kollegen der Wasserschutzpolizei Bremerhaven stecken in einer Krisensituation. Ihnen ist bei einer Operation im Mittelmeer im Auftrag der europäischen Agentur Frontex ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen, der 14 Menschen das Leben gekostet hat. Plötzlich sind diese Vier, mehr noch als bei ihrem Einsatz zum Schutze der EU-Grenzen, zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Verliert einer die Nerven, können auch die anderen ihre Karriere vergessen. Extrem labil ist Klaus. Robert indes gibt sich innerlich aufgeräumt. Noch eine Spur cooler ist Elena, die Leiterin der missglückten Aktion. Sie will sich ihre Aufstiegsmöglichkeiten nicht nehmen lassen. Und der Vierte ist wahrscheinlich tot. Peer hatte seine alte Freundschaft zu Stedefreund wieder aufleben lassen. Gemeinsam sind sie völlig versackt mit einer schönen schwarzen Frau, bis Ko-Tropfen den Kommissar niederstrecken. Als dieser am nächsten Tag erwacht, ist sein Freund spurlos verschwunden – und überall Blut. Jene Schöne der Nacht war die einzige Überlebende jener „Operation Goldenes Vlies“. Sie hat ihr Kind verloren. Jetzt will sie offenbar Rache – und das Trio ist doppelt in Aufruhr.
Die komplexe Weltpolitik zieht mal wieder ins überschaubare Bremen ein. Themen wie die Flüchtlingsproblematik und die Abschottungspolitik der EU werden in „Der illegale Tod“ geschickt integriert in eine Krimihandlung, die lange Zeit ohne Leiche auskommt und die die blutige Racheengel-Spur, die zu Beginn gelegt wird und die einen klassischen Thriller erwarten lässt, nicht so zielgerichtet weiterverfolgt, wie zunächst angenommen. Umso erstaunlicher ist, wie es Drehbuchautor Christian Jeltsch („Tatort: Wie einst Lilly“) gelingt, diverse Erzählstränge, das Vergangene und das Gegenwärtige, die verschiedenen Motivationen, Wissensstände und Befindlichkeiten in eine Dramaturgie zu weben, die mehrschichtig, feinteilig, multiperspektivisch ist und die die Bereitschaft des Zuschauers, sich auf diesen etwas anders erzählten „Tatort“ einzulassen, nicht über die Maßen strapaziert. Der Film ist eine gelungene Kombination aus offenem Erzählen, klarer Informationsvergabe und Hitchcockschem Suspense (jemand will Rache nehmen), die Jeltsch bewusst nicht ausreizt, um so das Thema vor lauter (Mehrwissen-)Spannung nicht zweitrangig werden zu lassen.
Autor Christian Jeltsch über das Flüchtlingsproblem:
„Durch lokale Konflikte, Hunger, die weltweite Rohstoffgier und verfehlte Agrar- und Entwicklungspolitik wird sich das Problem verschärfen. Die Industrienationen verhalten sich wie kleine Kinder beim Versteckenspielen: Hand vor die Augen und glauben, man sieht sie nicht. Aber sie haben durch ihre einseitige Politik eine klare Verantwortung für diese Entwicklung des Flüchtlingsproblems.“Jeltsch über die „Ideologisierung“ der Figuren:
„Mir war es wichtig, nicht einseitig zu erzählen. Ich wollte auch den Figuren, die als Verantwortliche der aktuellen europäischen Flüchtlingspolitik auftreten, Argumente geben, denen man sich als Zuschauer nicht so leicht entziehen kann.“
Der Drehbuchautor findet in Regisseur Florian Baxmeyer („Wie ein Licht in der Nacht“) seinen Meister. Besonders die erste halbe Stunde ist ungemein flüssig, dicht und atmosphärisch erzählt. Wird der Film hier noch vom Thriller-Motor angetrieben, sind es im weiteren Verlauf die Charaktere, die für „Spannung“ sorgen. Da ist das übrig gebliebene Polizeitrio (sehr überzeugend: Ulrike Tscharre), das sich immer tiefer in seine Schuld verstrickt. Da sind Stedefreund, Lürsen und Lürsen junior, die mal offen, mal unterschwellig einen Disput führen über die „richtige“ Berufsauffassung. „Bei euch ist einfach die Fähigkeit zur Empörung abhanden gekommen“, raunzt die erfahrene Kommissarin ihre Tochter an, die mittlerweile ihre Vorgesetzte ist.
Inga Lürsen ist dafür bekannt, dass sie politisch Klartext redet. Nicht immer ist es so angebracht wie in „Der illegale Tod“. Und nicht immer wird ihre Haltung so variantenreich und nachhaltig in Szene gesetzt wie in diesem „Tatort“. Denn hier sind es nicht die immergleichen Lippenbekenntnisse, die dem Zuschauer sonst meist nur ein müdes Gähnen abringen, sondern Lürsen gerät in Wut, der sauertöpfisch dreinblickende und verbal kritisierende Kopfmensch explodiert. Dabei geht einiges zu Bruch, auch die Nase eines Politikers. Dieser kopflose Aktionismus imponiert. In solchen Augenblicken wird Lürsen Mensch, befreit sich aus den Fesseln ihrer „Tatort“-Rolle und wird für den Zuschauer plötzlich zum Stellvertreter eigener Ohnmachtserfahrungen. (Text-Stand: 15.5.2011)