Die Westernstadt El Doroda, vor den Toren Weimars gelegen, ist mehr als ein gewöhnlicher Freizeitpark. Ihre Bewohner haben hier ein neues Zuhause gefunden. Sie lieben ihren wilden Osten und leben hier ein Gegenmodell zur modernen Leistungsgesellschaft. Eines Nachts aber übertreiben sie es mit ihrer Mimikry. Nachdem sie zuerst dem Geschäftsführer Heinz Knapps (Peter Kurth) fachmännisch eine Schlinge um den Hals gelegt haben, geht es wenig später zum Besitzer von El Doroda, bei dem es zu einer echten Lynchparty gekommen sein könnte. Am nächsten Tag jedenfalls wird jener Häuptling Einsamer Wolf tot aus der Ilm gefischt. Grund für die große Wut: Der Mann, der einst ihre Träume beflügelte, wollte offenbar den Pächtern dieser pittoresken Geisterstadt kündigen, darunter der Saloon-Chefin (Lina Wendel), ihrem Sohn, Cowboy Tom (Christoph Letkowski) sowie Goldwäscher Odi (Hans-Uwe Bauer). Aber wem dieser der Realität entrückten „Hobbyisten“ ist ein Mord zuzutrauen? Und wer hat Knapps den blutigen Kopf seines Lieblings Eddy, einem Longhorn-Rind, ins Bett gelegt? Seriöses Ermitteln ist so gut wie unmöglich in diesem Kuhkaff, für das Weimar Feindesland ist, verkörpert von der äußerst rabiaten Tiefbauunternehmerin und Immobilienmillionärin Ellen Kircher (Marie-Lou Sellem). Der schnieke Lessing (Christian Ulmen) verschafft sich bei den Western- und Indianerfans zwar einigermaßen Respekt, weil er dem Kircher-Sohn (Martin Baden), der mit seiner Gang den Ort terrorisiert, eine Lektion erteilt. In der Westernstadt erfolgreicher aber schnüffelt Kira Dorn (Nora Tschirner), die hier als Cowgirl anheuert.
Wer hätte gedacht, dass der seit Jahrzehnten vor sich hinsiechende Western in einem deutschen Krimi Widerauferstehung feiern würde?! Anleihen bei einem der traditionsreichsten US-Genres gab es indirekt ja schon öfter, indem beispielsweise Autor Holger Karsten Schmidt die norddeutsche Krimi-Provinz (von „Mörder auf Amrum“ bis „13 Uhr mittags“) immer wieder mit Western-Codes ausstaffierte, und leicht verrückte Cowboy-Communities sind hierzulande im TV auch keine Seltenheit, von „Der letzte Bulle – Mord auf Distanz“ (2011) über den Frankenkrimi „Bamberger Reiter“ (2012) bis zum „Polizeiruf 110 – Vor aller Augen“ (2013). Murmel Clausen und Andreas Pflüger, das verdiente Autorenduo, das den Weimarer-„Tatort“-Komödien seit 2013 mehr und mehr eine ganz eigne Handschrift gegeben hat, und der 32-jährige Dustin Loose („Tatort – „Déjà-vu“) hübschen die Mär vom „Höllischen Heinz“ nicht bloß im Western-Style auf, sondern haben so viel wie möglich von der Zeichensprache des Genres übernommen und auch die Geschichte sehr konsequent mit Western-Motiven erzählt. Dass sie dabei über die Realität hinausschießen müssen, versteht sich von selbst, und das ist in Zeiten, in denen eine US-Serie wie „Westworld“ erfolgreich der „glaubwürdigen“ Wirklichkeit den Marsch bläst oder die Coen-Brüder eine schräge Western-Anthologie als Netflix-Spielfilm vorlegen, ein wohltuender Ansatz. Gleich der Einstieg ist eine grandios verkürzte und unvollendete Lynchsequenz, wie sie zum Repertoire vieler Edelwestern gehört: Ein einsamer Mann, der aussieht wie John Wayne und sich genauso cool eine Zigarette anzündet, nachts in einer Westernstadt. Die Stille vor dem Aufruhr. Aus dem Dunkel nähert sich unheilvoll der Mob. Beschwichtigen sind sinnlos. Mit Pferd und Lasso wird der Fliehende eingefangen und durch den Sand geschleift, bevor man den Mann mit einer Schlinge um den Hals wiedersieht. Der John-Wayne-Typ hat Glück – und bekommt eine Galgenfrist.
Weil der Weimarer „Tatort“ seit jeher genauso viel Komödie ist wie Krimi, lässt sich das Western-Genre problemlos in den Ermittler-Mikrokosmos um Dorn & Lessing integrieren. Die komödiantische Rahmung macht es möglich, dass selbst die deutlich inszenierte Western-Ikonografie nicht aufgesetzt wirkt, sondern als eine ins Narrative verlängerte Ironisierung sogar noch besser funktioniert als der anspielungsreiche, komische Schlagabtausch zwischen dem verbandelten Ermittlerduo, der die bisherigen Episoden dominierte. Dieser Verbalnonsens zwischen Kalauer, höherem Blödsinn & gelegentlich tieferer Bedeutung wird in „Der höllische Heinz“ zurückgefahren. Der Grund liegt im Handlungsverlauf begründet: Dorn ermittelt Undercover – deshalb haben die Hauptdarsteller weniger gemeinsame Szenen als gewohnt. Dafür darf Nora Tschirner singen, reiten und Dorn dem Liebsten gleich mal einen Schlag in die Weichteile verpassen, um so bei den Dorfbewohnern nötige Sympathiepunkte zu sammeln. Überdies werden ihr von Clausen & Pflüger noch coole Sätze wie „Ich reite alles, was kein Fall hat“ oder „Ich schlaf nicht mit Männern, die ich nicht mindestens 16 Stunden kenne“ in den Mund gelegt. Und gekalauert wird mal wieder in Reimform: „Liebes Gottchen, bewahre unser Lottchen vor Hunger, Not und Sturm und dem bösen Hosenwurm“.
Auch wenn möglicherweise mal die eine oder andere Begrifflichkeit aus der Fäkalsprache (was im Übrigen zum Western-Milieu ja prima passt) oder eindeutige Zweideutigkeiten („Ellen Kirchers Loch“) am „guten Geschmack“ des Publikums vorbeigehen mögen, kein Problem, der nächste treffende Witz lässt nicht lange auf sich warten. In diesem „Tatort“ gibt es – wie immer in Weimar – viel zu entdecken. Abwechslung ist Trumpf. Vieles ist möglich in diesem Format. Da tauscht Polizist Lupo seinen Kakao gegen Whiskey ein, kehrt ein zunächst alberner Gag mit einem defekten Türgriff am Ende als Clou mit Knalleffekt zurück, und da überrascht es auch nicht, dass im letzten Bild die Kommissare gemeinsam auf einem Pferd davonreiten, bevor die nostalgische Lochblende aufs „Tatort“-Fadenkreuz überleitet; der Film hat schließlich fast 90 Minuten lang alle erdenklich Western-Elemente lässig herbeizitiert. Besonders gelungen ist dabei die Genre-typische Politik der (Kamera-)Blicke, wenn beispielsweise „die Fremde“, Kira alias Lotta, in El Doroda einläuft. Alle Augen sind auf sie gerichtet. Aber auch der bereits erwähnte Filmbeginn ist eine Western-Sequenz in größter Perfektion. Nicht fehlen darf der Schwenk von den Cowboystiefeln über die Taille, wo normalerweise der Colt locker hängt, bis zum Stetson als Westerner-Markenzeichen. Auch das bildfüllende Italo-Western-typische Augenpaar taucht auf. Und nicht vergessen wird bei alldem, dass dieser „Tatort“ auch Komödie ist: Vor dem Schlagabtausch zwischen Lessing und dem Kircher-Sohn nimmt der Sargmacher beim Kommissar schon mal Maß, bevor dieser mit einer zirkusreifen Pistolero-Nummer und einem anschließenden Backpfeifen-Slapstick Terence Hill Konkurrenz machen könnte. Später fällt Lessing während einer Observation in eine Teertonne, was eher an Peter Sellers‘ Inspektor Clouseau erinnert als an irgendeinen Western, und am Ende muss er sich diesmal – ausgleichende Gender-Gerechtigkeit – von seiner allerliebsten Kira als fesch gewandetes Cowgirl hoch zu Ross retten lassen.
Fazit: Trotz der ähnlich bleibenden Tonlage machen Tschirner & Ulmen noch immer Riesenspaß und bleiben eine willkommene Abwechslung zu den Krimis und Crime-Dramen, in „Der höllische Heinz“ begünstigt durch die klare Western-Signatur. Dass der Genre-Mix so prächtig funktioniert, liegt neben dem Spielwitz eines bis in die kleinsten Rollen bestens besetzten Ensembles vor allem daran, dass die Autoren, der Regisseur und der Kameramann (Clemens Baumeister) versuchen, das Genre Plot-technisch, thematisch und bildlich zu durchdringen, statt sich an ihm nur oberflächlich zu bedienen.