Sieben Kommissare sollen helfen, die Morde an vier Kollegen aus NRW aufzuklären
Ausnahmezustand in NRW. Innerhalb nur weniger Wochen sind vier Kommissare getötet worden. „Die Morde gleichen sich in ihrer phantasievollen Grausamkeit, deswegen gehen wir davon aus, dass es sich um einen Serientäter handelt“, fasst der Polizeipräsident die Situation zusammen. Gerichtet sind diese Worte an eine Gruppe exzellenter Kommissare aus dem Land, die bei der Aufklärung der Morde helfen sollen. Da sind Martina Bönisch (Anna Schudt) und ihr Kollege Faber (Jörg Hartmann) aus Dortmund, da sind die ehemaligen Partner Franz Mitschowski (Nicholas Ofzcarek) und Marcus Rettenbach (Ben Becker), Trauma-Patient, derzeit nicht im Dienst. Aus Paderborn kommt Jungspund Sascha Ziesing (Friedrich Mücke), aus Düsseldorf Nadine Möller (Elena Uhlig), deren Mann das letzte Opfer der Serie ist, und schließlich Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) aus Münster. Sie muss leider auf ihren Kollegen Thiel verzichten: Auf den wurde am Morgen geschossen. Die sieben Kommissare wurden eingeladen in ein leerstehendes Hotel zu einem Ermittler-Workshop. Geleitet wird das teambildende Treffen von zwei international anerkannten Krisen-Coaches, den Brüdern Christoph (Charly Hübner) und Martin Scholz (Bjarne Mädel). Kühler kriminalistischer Sachverstand ist zunächst nicht gefragt, vielmehr sollen bei den Beteiligten Emotionen freigesetzt und für die Ermittlungsarbeit genutzt werden. So könne man vielleicht das Potenzial dieser sieben exzellenten, aber eigensinnigen Kriminalisten besser ausschöpfen. Und dieser Gruppen-Spirit könne, so hofft der Polizeipräsident, womöglich den Täter irritieren. Irritiert aber sind erst einmal die Kommissare ob dieses „Emotionspsychogeschiss‘“.
Foto: WDR / Tom Trambow
„Die Schauspieler kannten ihre Rollenprofile. Mehr aber auch nicht. Als sie zum Set fuhren, war ihnen erzählt worden, sie hätten einen Brief von der Polizei bekommen, eine Einladung für ein Zusammentreffen. Es sei ernst und dringend. Doch wer oder was sie dort erwartet, war ihnen nicht bekannt.“ (Produzentin Sophia Aldenhoven)
Die Schauspieler sollen sich auf ihre „menschlichen Ermittlungsfähigkeiten“ besinnen
Nur ein einziger Schauplatz, vier, fünf Räume, Flure, eine Küche, die Toilette und ein Schwimmbad mit leerem Becken. Als ob das nicht schon ungewöhnlich genug wäre – Autor-Regisseur Jan Georg Schütte hat für „Das Team“ auch noch seine erfolgreich erprobte Methode des Impro-Fernsehfilms von der (Tragi-)Komödie auf den Krimi und da gleich auf das Flaggschiff der ARD, den „Tatort“, übertragen. Bei Filmen wie dem Grimme-Preis-gekrönten „Altersglühen – Speed-Dating für Senioren“ (2014) oder zuletzt „Klassentreffen“ (2019) ließ er 1A-Mimen und exzellente Komödianten aufeinander los: Jeder hatte sein Rollenprofil und eine Vorstellung davon, welche Grundsituation in zwei Tagen mit über 30 Kameras durchgespielt würde. Bei einem Krimi nun ist es ungleich schwerer, ein Spiel in Gang zu bekommen. Es reicht nicht, ein paar dichte, gut verkörperte Charaktere zu haben, selbst mittels der Rollenprofile angelegte Beziehungskonstellationen sind nur bedingt zielführend. Am Ende muss es ja eine Auflösung geben, ein Täter muss überführt werden. Aber wie macht man das ohne vom Drehbuch allwissend gemachte Kommissare? Für Schütte gab es da nur einen Weg: „Die Schauspieler müssen auf ihre menschlichen Ermittlungs-Fähigkeiten zurückgreifen.“ Dabei spielt die Verunsicherung offenbar eine wichtige Rolle. Von daher hat es einen guten Grund, weshalb Schütte noch vor dem Schlussdrittel in die bunte Impro-Runde eine dramatische Wende einbaut, durch die sich die Bedrohungssituation erhöht. Fühlen sich vor allem die Macker-Typen wie die von Ben Becker und Nicholas Ofczarek gespielten Hauptkommissare bisher allenfalls für dumm verkauft, so könnte es jetzt ans Eingemachte gehen. Die Figuren werden im Idealfall auf diese Weise gezwungen, sich von ihrem Rollenprofil zu lösen und als Menschen ins aktive Ermitteln einzusteigen.
Foto: WDR / Tom Trambow
„Wenn ich als Regisseur die Schauspieler in eine Situation schmeiße, in der sie merken, verdammter Mist, irgendetwas läuft hier komplett falsch, irgendetwas geht mir auch an die Substanz und bedroht mich, ich muss herausfinden, was es ist, dann hab ich eine Chance, eine wirkliche Ermittlungsarbeit in Gang zu setzen – ohne natürlich das Allwissen der Kommissare.“ (Jan Georg Schütte, Autor und Regisseur)
Da die Krimihandlung wenig stringent ist, wird man als Zuschauer zum Beobachter
Doch erst einmal geht es nicht um Ermittlungsarbeit, sondern um das gegenseitige Kennenlernen, um gruppendynamische Prozesse und bei dem einen oder anderen auch um die eigene Selbstdarstellung. Da werden Wut und Hass auf den Täter in Aktionen am Gegenüber spielerisch ausgelebt, da werden vertrauensbildende Maßnahmen eingeübt und da muss jeder mal auf dem „Heißen Stuhl“ Platz nehmen, wo er den provokanten Fragen der Kollegen ausgesetzt ist. In der Mittagspause wissen die Kommissare immer noch nicht recht, was Sache ist. Die Coachs jedoch sind fürs Erste sehr zufrieden. Weshalb, das erschließt sich in der ersten Filmhälfte auch dem Zuschauer noch nicht. Auch wenn die Montage nachträglich versucht zu verdichten und mögliche Sinnzusammenhänge herzustellen, so zählt in diesem Film vor allem eines: der Augenblick. Was weitgehend fehlt, ist die für einen Krimi so wichtige Finalität. Team-Bildung allein kann des Pudels Kern in einem „Tatort“ ja nicht sein. Und so spielt man als Zuschauer selbst Kommissar – guckt und hört genau hin und versucht sich, einen Reim zu machen auf dieses Aufeinandertreffen von Erwachsenen, die sich teilweise wie Kinder aufführen. Impulse, Emotionen, Affekte, allem darf nachgegangen werden, da vergisst manch einer seine gute Kinderstube. Natürlich hat man nach bereits 15 Minuten auch die Vermutung von Faber nicht überhört: „Ihr wollt kein Team aus uns machen. Ihr glaubt, dass es einer von uns war. Deshalb sind wir ausgewählt.“ Oder die Anmerkung von Ofczareks Mitschowski, dem obercoolen Schweiger: „Ihr wisst, dass Ihr gefilmt werdet. Ihr redet zu viel.“
Foto: WDR / Tom Trambow
„Das Wichtige am Improvisieren ist, erstmal, dass man ziemlich ‚leer‘ reingeht, sich nichts vornimmt und die Partner akzeptiert. Ich weiß aus meiner Theaterimprovisationszeit, dass die Gefahr, zu viel zu quatschen, und des Originell-Sein-Wollens sehr groß sind.“ (Nicholas Ofczarek)
Ein von der Phantasie der Schauspieler & der Sprache getragenes Krimikammerspiel
Wer mit den Erwartungen eines klassischen „Tatort“ an diese 90 Minuten herangeht, der wird nicht viel finden, was er aus anderen Krimis kennt. Statt auf einer Handlung, wie sie im Genre üblich ist, liegt der Schwerpunkt in „Das Team“ auf dem Psychodrama der Charaktere. Wir sehen Menschen unter Strom, die sich in ihrem Innersten angegriffen, ja vorgeführt fühlen und sich nicht immer unter Kontrolle haben. Auch ästhetisch will das Ganze nicht großes Kino sein, sondern ein von der spontanen Phantasie der Schauspieler getragenes Kammerspiel, in dem die (Körper-)Sprache eine Hauptrolle spielt. Und durch den Impro-Charakter fehlen sichtbare Zeichen einer narrativen Logik – wodurch das Mörderraten des Zuschauers einem Glücksspiel gleicht. Auch die Sache mit der psychischen Bedrohung der Protagonisten und dem daraus entstehenden Druck, selber zu ermitteln, klingt zwar plausibel, geht für den Zuschauer aber nur bedingt auf: Selbst bei diesen großartigen Schauspielern wirkt die Anspannung im Schlussdrittel gespielt, da die Illusion, einem Krimi beizuwohnen, nicht gegeben ist. Im Grunde hat man immer den Eindruck, man schaue Schauspielern beim Spielen zu oder – wer es weiß – beim Improvisieren. Irgendwie mehr Brecht als „Tatort“.
Foto: WDR / Tom Trambow
„Improvisieren ist die schönste Form des Spielens. Doch hier hast du die Vorgabe Krimi, es geht auch um Tote. Das ist eine andere Ernsthaftigkeit, es ist nicht parodiert. Du musst in irgendeiner Art dramaturgisch zum Ziel kommen: Plot Impro nicht Character Impro.“ (Charly Hübner)
Improvisationskunst, Psycho-Dynamik und die Lust am spielerischen Momentum
Jan Georg Schütte weiß, dass es der Film beim Durchschnittszuschauer schwer haben wird. „Wer aber offen für Neues ist, der kann hier viel Spannendes entdecken“, sagt er. Und Recht hat er. Wer die Dynamik goutieren vermag, die sich aus Gruppen- oder Zweier-Interaktionen ergibt, wer sich auf das Spielerische einlässt, auf die vermeintlichen Unverschämtheiten, die die Protagonisten aushalten müssen, wem das alles reicht als „Geschichte“, wer es liebt, sich im Film und in der Ästhetik dem Momentum hinzugeben, wer die Sehgewohnheiten gern mal auf den Prüfstand stellt (die Chance dazu bekommt er ja nur selten im deutschen Fernsehen), wer seine Irritation aufschieben kann, in der Hoffnung, später belohnt zu werden, und wer ohnehin findet, dass es zu viele (herkömmliche) Krimis im Fernsehen gibt, wer großen Schauspielern gern bei der Arbeit zuschaut und dabei Vergleiche ziehen möchte, wer gern ins Theater geht, aber auch die Möglichkeiten der (Fernseh-)Kamera schätzt, die einem hier wie bei einem Live-Rock-Event oder Jazz-Konzert künstlerisches Können, eine Improvisation, ein Solo, in Großaufnahme präsentiert – der müsste diesem TV-Experiment einiges abgewinnen können. Dem Kritiker ist es jedenfalls so ergangen. Nach einer kurzen Phase des Einsehens und der Gewöhnung machte ihm „Das Team“ großen Spaß. (Text-Stand: 15.12.2019)