Die Besitzerin einer Landgaststätte liegt erwürgt in der Gaststube, wo sie am Morgen von ihrer Tochter (Barbara Prakopenka) gefunden wird. Vom Ehemann (Jörg Witte) fehlt jede Spur; wahrscheinlich hält der sich im Wald versteckt – denn für Kommissarin Ringelhahn (Dagmar Manzel) sieht alles nach einer Beziehungstat aus. Eine Überwachungskamera gibt weitere Aufschlüsse – und dann geht es mit Hundestaffeln durch den fränkischen Wald. Paula Ringelhahn, Kollege Voss (Fabian Hinrichs) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid), die Frau für die Recherche, sind derweil auf dem Weg nach Würzburg. Dort ist im Institut für Anatomie an der altehrwürdigen Universität bei den „Körperspenden“ etwas durcheinander gekommen. Die Aktion unterliegt strengster Geheimhaltung, nur die zuständige Professorin (Sibylle Canonica) weiß Bescheid. Ein Schädel passt nicht zum Skelett. Die Frage ist also: Wo ist der Körper dazu? Der Totenkopf gehört einem Mann mit Mitte 30. In Nürnberg vermisst eine Mutter (Tessie Tellmann) ihren 34jährigen Sohn – und sie fordert die Polizei auf, ihn zu suchen. Ein solcher Zufall wäre wohl doch zu groß, vermuten die Kommissare. Gebannt lauschen sie den Worten des Präparators Lando (Jan Krauter), der ihnen die Mazerations-Anlage erklärt, in der sich Leichen – bis auf die Knochen – auflösen lassen. Sie dient der Wissenschaft, aber eine solche Anlage scheint auch wie geschaffen für den perfekten Mord.
Eine tote Wirtin, eine sich sorgende Mutter, ein verschwundener Körper – „Das Recht, sich zu sorgen“ erzählt gleich drei Geschichten. Ob hinter jeder auch ein Fall, gar ein Mordfall steckt, das wird sich erst spät weisen – und gehört mit zur besonderen Note dieses zweiten Franken-„Tatorts“. Die Faszination dieses Krimis resultiert weniger aus der genreüblichen, filmisch angetriebenen Spannung, sondern es sind die Geschichten, die die Neugier wecken, die berühren und bewegen, und es ist deren lockere Verbindung miteinander, die diesem Film seinen unaufgeregten Erzählfluss gibt. Locations, Landschaft und Lokalkolorit spielen für die filmische Anmutung eine entscheidende Rolle. Nürnberg ist nicht München – außerdem sollen sich die Fälle nach und nach über das ganze Frankenland erstrecken und so ist der zweite „Tatort“-Ableger des BR von Konzept her eine Art „Heimatkrimi“. Einen Großteil seiner Geschlossenheit verdankt der Film von Andreas Senn („Verschollen am Kap“) nach dem lebensklugen Drehbuch von Beate Langmaack seiner Atmosphäre. Diese macht die Wechsel zwischen den Handlungssträngen bruchlos möglich. Immer wieder sind es Bildmotive oder Gesichtsausdrücke, die die Stimmungen vorgeben und die Szenenwechsel markieren: der wie ein Monstrum daliegende Gasthof, die Fenster wie tote Augen; die von Schuld und Ängsten geplagte Tochter der Toten; die verzweifelte Mutter, die vor dem Polizeipräsidium ihr Zelt aufschlägt („Bitte suchen Sie meinen Sohn“); der einsame, verwilderte Mann im Wald, vor dem sich die eigene Tochter fürchtet. Einsamkeit, Verzweiflung und die Sehnsucht danach, dass es noch etwas anderes geben muss, liegen über den Bildern. Das verbindet die Geschichten und macht sie schließlich zu einer, obwohl sie am Ende nicht zusammenlaufen.
Dieser beobachtenden und gleichsam einfühlenden Erzählhaltung entspricht die Art und Weise, mit der die Hauptkommissare miteinander, aber auch mit Opfern und Tatverdächtigen umgehen. Sie besitzen beide eine grundentspannte, dem Leben und den Menschen positiv zugewandte Einstellung, die nicht frei von Melancholie ist. Ringelhahn und Voss mögen sich, sie haben einen ähnlichen Humor und ein hohes Einfühlungsvermögen. Ähnlich wie bei Matthias Brandt im BR-„Polizeiruf 110“ (der ging im Übrigen auch einige Male raus aus der Großstadt) gibt es in den beiden ersten Franken-„Tatorten“ auch eine Engführung zwischen den Fällen und dem Wesen der Ermittler. Die Kommissare sind hier keine Handlanger der Handlung, vielmehr atmen die Schicksale in ihnen und sie sind es, die den Fällen eine – ihre – Perspektive geben. Sie klären nicht nur Fälle, sie scheinen sich auch selbst Gedanken machen zu wollen über grundsätzliche Fragen des Lebens, der Moral oder speziell ihres Berufs. „Dieser entscheidende Moment, dieser Augenblick, in dem man töten könnte und es dann nicht tut – kennst du das?“, fragt beispielsweise Ringelhahn ihren Kollegen, der darauf nicht antworten mag; was in Verbindung mit dem Blick seines Darstellers Antwort genug ist.
Geschichten mit Tiefgang und Hang zum Drama brauchen tiefe Charaktere. Und diese brauchen Schauspieler, die diese Tonlagen glaubwürdig vermitteln. Dagmar Manzel („Leben wäre schön“) und Fabian Hinrichs sind da ein ziemlich unschlagbares Duo. Das erklärt allerdings nicht unbedingt die über 12 Millionen Zuschauer, die ihr Einstand der ARD im Frühjahr 2015 bescherte. Ist es vielleicht die starke lokale Verortung, die dezente Provinzialität (ohne Comedy-Touch à la Münster), diese Überschaubarkeit, nach der sich viele Zuschauer sehnen? Was im Ländle oder im Saarland regelmäßig danebengeht, hier funktioniert es. Mundart hat in Nürnberg keine Alibifunktion, die „fränggischen“ Darsteller wirken authentisch, die Sprache klingt nicht schön, aber echt, und die ermittelnden Nebenfiguren sind bereits nach zwei Episoden stimmiger Bestandteil des Gesamtensembles, ja ihre leicht witzelnde Interaktion gehört ein Stück weit mit zur besagten Atmosphäre des Ganzen. Ist vielleicht auch die dezente Besetzung gegen das Image mit ein Grund für den Erfolg? Fabian Hinrichs mal nicht die obercoole Socke wie in „Unterm Radar“ und „Der Fall Barschel“ oder der völlige Spinner wie in „66/67 Fairplay war gestern“ oder als Gisbert im „Tatort – Der tiefe Schlaf“? Und Manzel zwar gelegentlich mit angedeuteter (Berliner) „Klappe“, aber insgesamt eher die verbindliche „Mutter“ des Teams. Oder ist es die Verbindung aus hoher filmischer Erzählkunst und dem Faktor Menschlichkeit (statt beispielsweise der intellektuellen Arroganz eines von Meuffels), die so vielen Zuschauern bei „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ gefiel?
Für „Das Recht, sich zu sorgen“ gilt das alles ebenso – und es gibt noch spezielle Gründe, weshalb auch dieser Film wieder viele Zuschauer verdient hätte. Der Film ist überaus konzentriert und mit Bedacht inszeniert: Anders als der Färberböcksche Flow im Auftaktfilm setzt Senn – im wahrsten Sinne des Wortes – auf die visuelle Ausleuchtung der Details, für die Bildgestalter Holly Fink und Oberbeleuchter Michael Röska hauptverantwortlich zeichnen. War es im „Himmel“-Film vor allem der Rhythmus, die brillante Form, ist es hier jede einzelne Szene, das von Langmaack im Drehbuch konkret Erzählte, die verschachtelten drei Geschichten, die der Regisseur kongenial in markante Bilder umgesetzt hat. Und wann gibt es schon mal einen Krimi, bei dem man was lernen (beispielsweise über eine Mazerations-Anlage oder die Anatomie) oder zumindest staunen kann über das Wunderwerk des menschlichen Körpers. Nachdem man den Film gesehen hat, sollte man sich noch einmal den einminütigen Vorspann anschauen. Auch das ein kleines ästhetisches Wunderwerk, das Filmsprache und Geschichte auf bemerkenswert atmosphärische Weise miteinander kurzschließt. In dieser Form bleiben die Franken auch weiterhin eine echte Bereicherung für den „Tatort“.