Kommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) muss erst mal alleine zum Tatort, denn seine Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau) wird von einem „kleinen Familien-Notfall“ aufgehalten, wie sie sagt. Ihre Nichte Vanessa (Lola Höller), von Tobler liebevoll-ironisch „Nessie“ gerufen, was wohl nicht von ungefähr an ein Ungeheuer in einem schottischen See erinnert, taucht plötzlich auf und will bei ihrer Tante wohnen, denn: „Meine Eltern sind so scheiße gerade.“ Um das Verhältnis der Generationen dreht sich diese „Tatort“-Episode, die diesmal nicht in einem Dorf irgendwo im Schwarzwald, sondern in der Universitätsstadt Freiburg spielt. Die Leiche eines jungen Mannes wird in einem Rhein-Wehr gefunden. Eine Kopfverletzung deutet auf einen gewaltsamen Tod hin.
Christopher Gnabri, das Opfer, lebte noch bei seiner alleinerziehenden, im Rollstuhl sitzenden Mutter Eileen (Dalila Abdallah). „Ein guter Junge“, sagt Eileen, die allerdings einiges nicht weiß vom „geheimen Leben“ ihres Sohnes, der angeblich eine Ausbildung in einer Autowerkstatt absolvierte. Christopher hatte dort jedoch schon vor vier Wochen gekündigt und arbeitete nun als Drogenkurier. Außerdem hatte er ein Verhältnis mit Basketball-Trainer Marius Ulrichs (Max Woelky). Die klassische Ermittlungsarbeit wird durch einen zweiten – interessanteren – Handlungsstrang ergänzt, der von Christophers bestem Freund Benno Schenk (Aniol Kirberg) und dessen Patchwork-Familie erzählt. Das Publikum ist hier den Fernsehkommissaren immer ein Stück voraus. So findet Bennos Stiefvater Paul Wolf (Christian Schmidt) zu Beginn einen mit Blut verschmierten Hoodie seines Stiefsohns in der Wäsche. Der Klavierlehrer ist der neue Partner von Bennos Mutter Miriam Schenk (Susanne Bormann) und brachte wiederum seine Tochter Zoé mit in die Beziehung ein. Kurios: Zoé-Darstellerin Caroline Cousin spielte schon im Kieler „Tatort – Borowski und die große Wut“, der eine Woche zuvor erstausgestrahlt wurde, die jugendliche Hauptdarstellerin.
Foto: SWR / Benoit Linder
Es entwickelt sich ein dynamisches Katz-und-Maus-Spiel zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, denn Benno und Zoé haben eigene, große Pläne, geraten ins Visier der Drogen-Mafia und entziehen sich möglichst der Auseinandersetzung mit Eltern und Polizei. Regisseur Kai Wessel setzt gelegentlich Splitscreens ein, als wären die verschiedenen Generationen nebeneinander her existierende Parallelwelten. Wie jedoch bereits der Episoden-Titel andeutet, nimmt der Film vornehmlich die Erwachsenen-Perspektive ein, in der sich das geschönte Bild der Eltern von ihren Kindern als naiver Trugschluss herausstellt. Auch haben die Erwachsenen genug eigene Probleme und „geheime Leben“ wie Patchwork-Vater Paul, der sich mit seiner Geliebten in einem Hotelzimmer trifft, aber ausgesprochen eifersüchtig auf Bennos leiblichen Vater Oliver Schenk (Kai Ivo Baulitz) reagiert. „Was wissen wir denn schon von unseren Kindern? Oder von uns selbst?“, fragt Miriam sich selbst – und uns Zuschauer:innen.
Überzeugend erzählt Drehbuch-Autorin Astrid Ströher von der Kluft zwischen den Generationen, von der Selbsttäuschung, Verlogenheit und auch der Hilflosigkeit der Eltern. Aber sich von der Erwachsenen-Perspektive zu lösen, gelingt dem Film nicht so gut. Und weil Ströher ein nicht sehr schmeichelhaftes Bild von der Jugend und der zwischen 1995 und 2010 geborenen Generation Z zeichnet, wirkt es teilweise etwas abfällig, wie hier aus Erwachsenen-Sicht auf die Jugend geblickt wird. Benno, Zoé und auch Toblers Nichte Vanessa sind ziemlich kaltblütige Figuren, die wenig Empathie, aber umso mehr Eigensinn ausstrahlen. Immerhin verweist eine Lehrerin auf die Pandemie, unter der die junge Generation aufgrund der Isolation stark gelitten hat. Dass die Klimakatastrophe die Lebenspläne beeinflusst, wird ohne belehrende Dialoge oder angestrengt konstruierte aktuelle Bezüge erzählt. Weltflucht statt Klimastreik oder Verkehrsblockade – hier ist eine „letzte Generation“ zu erleben, die „noch mal die Welt sehen will, bevor sie untergeht“, wie Benno sagt, um seinen Vater Oliver zu einem 15.000-Euro-Kredit zu überreden.
Foto: SWR / Benoit Linder
Natürlich zücken die „digital natives“ bei jeder Gelegenheit ihre Smartphones. Während Benno und Zoé zunehmend entsetzt die Kurs-Entwicklung der (real existierenden) Kryptowährung Elysium beobachten, dreht Vanessa halsbrecherische Videos, mit denen sie im Netz Aufmerksamkeit erregen will. Abgesehen von ihrem Mut, wirkt insbesondere Toblers Nichte wie die klischeehafte Karikatur eines weiblichen Teenagers. „Nessie“ träumt von einer Karriere als Youtuberin, spannt gerne andere Leute ein, scheut übermäßige Anstrengung und kann als Veganerin sehr ungehalten werden, wenn die Tante Pizza mit Käse-Belag serviert. In der privaten, zum Thema des Krimis hineinkonstruierten Nebenhandlung fehlt es an Zwischentönen und Humor. Lustig wird es nur, wenn Tobler ihrer Nichte mit schwäbischer Ordnungsliebe kommt und sie zur Ausarbeitung eines Businessplans drängt.
Die Kommissarin ist persönlich enttäuscht, weil sie für Nessie nicht mehr die „coole Tante“ ist – auch eine treffende Beobachtung der Generationen-Kluft. Ansonsten könnte man auf die Frage, welche pädagogische Kompetenz Fernsehkommissare entwickeln können, gerne verzichten. Vermutlich kommt es bei einem Teil des Publikums gut an, wenn Berg durchblicken lässt, dass er einen autoritären Erziehungsstil bevorzugt. So liefert der Schwarzwald-„Tatort“ einen eher zwiespältigen Diskussionsbeitrag zum Verhältnis der Generationen. Der Kriminalfall wird dann eher unspektakulär gelöst, während es zu einem abstrusen, aber im nächtlichen Regen schön düster gefilmten Showdown kommt. Nicht nur das Verhalten der Kinder, sondern auch der Eltern erscheint bisweilen unerklärlich.