“Ich möchte von Ihnen lernen… Diese ekelhaften, diese stinkenden, diese widerlichen, missgünstigen Typen, denen man morgens in der U-Bahn begegnet, diese ganze vollgefressene, nörgelnde Masse Mensch – ich möchte lernen, sie zu lieben.” Ein Mann, ein Banker, der sich im Zustand totaler Abstumpfung befindet, macht sich vor einer Frau zum Kind, zum Bedürftigen. Er will errettet werden. Von ihr, der Kommissarin Charlotte Sänger.
Auch der dritte HR-“Tatort” mit Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf fällt erneut aus dem Rahmen des gewohnten “Tatort”-Schemas. Nachdem die ersten beiden Krimis von Niki Stein zum Sozialdrama und zum Thriller mutierten, entwirft der Autor und Regisseur in “Das Böse” das Psychogramm eines Mörders. Ulrich Tukur spielt ihn in unnachahmlicher Art. Ein Mann mit übersteigertem Selbstwertgefühl, dem die Macht die Sinne geraubt hat. Er tötet aus Langeweile, weil er so ein letztes Bisschen Thrill erleben kann.
Der Zuschauer ahnt es von Anfang an, bald weiß er es: dieser Petzold ist das “Böse”. Die Kommissare hinken hinterher, können es nicht glauben, dass ein Banker einen serbischen Klein-Dealer vor die U-Bahn schubbst oder Prostituierte krankenhausreif prügelt. Auch die krankhafte Zuneigung zu Charlotte Sänger können sie anfangs nicht einordnen. Und so stochern die beiden in der Drogen- und Prostituierten-Szene, die mit einer Alzheimer-kranken Mutter und einem störrischen Vater geschlagene Kommissarin trainiert weiterhin fleißig Formationstanz, und Dellwo amüsiert sich bei Hardrock mit der Gerichtsmedizinerin.
Foto: HR / Bettina Müller
Die Fallhöhe ist groß in diesem “Tatort”. Vom Olymp in die Gosse, vom Gott zum Wurm. Aber auch die Kommissare haben ihre privaten Päckchen zu tragen – das und der Beruf geht auf die Psyche. “Nach den Problemen der Polizisten fragt niemand“, so Niki Stein. “Auch wir Zuschauer gucken da gerne weg, wir erwarten nur, dass diese Leute uns die Welt wieder zurecht rücken und erklärbar machen.” Deshalb legte Stein in den ersten drei Hessen-”Tatorten” die Finger in diese Wunde. Auf die Idee zu “Das Böse” kam er durch einen realen Fall, der sich in Paris ereignet hat: Ein Mann in bester gesellschaftlicher Position stößt mehrere Clochards und Junkies vor die Metro. Sowas geht an die Nieren. Da brauchte Stein keine Effekte. Die Morde werden elegant ausgespart und die Leichenfunde bleiben dezent.