Nach einem Ehestreit ist die Tochter von Nadine und Thies Nowak spurlos verschwunden. Die schwangere Mutter meldet das Mädchen als vermisst, wird vertröstet und in die Nacht entlassen, während ihr Mann in seinem Lokal über den Büchern hängt. Am nächsten Morgen wird die Kleine auf eine Fördefähre tot aufgefunden. Das Mädchen wurde mit seiner eigenen Jacke erstickt. Die Leiche weist außerdem Hämatome auf. Bei der Ermittlung ist besonderes Fingerspitzengefühl von Kommissar Borowski und Polizeipsychologin Jung gefragt, denn in der Ehe der Nowaks scheint es alles andere als zu stimmen. Der Mann ist ein Ex-Knacki, der seiner Frau immer wieder mit aggressiv-cholerischen Schüben gegenübertritt, und sie hängt dem Traum von der perfekten Familie nach, der zum Albtraum wird.
Foto: NDR / Marion von der Mehden
„Ein Beziehungsmuster, bei dem sich die neurotischen Dispositionen beider Partner perfekt ergänzen, nennt man Kollision“, klärt die Polizeipsychologin Frieda Jung den Herrn Kommissar über die Nowaks auf. „Ich dachte, das nennt man Liebe“, lächelt Borowski verschmitzt. Weitere Gründe zum Lächeln wird er nicht bekommen. Zwei Mal zieht es ihm besonders heftig die Beine weg. Zunächst muss er der völlig aufgelösten Mutter die Todesnachricht überbringen; später erfährt er zwischen Tür und Angel, dass Frieda Jung in die Schweiz wechseln will. Die fein gesponnene Doppelstruktur der beiden „Paare“ ist das Reizvollste an diesem „Tatort“ aus Kiel. Ähnlich wie die Nowaks jedes Gespräch über ihre Gefühle abblocken, so verweigern auch Borowski und Jung alles, was den Anschein von Sympathie zwischen sich erwecken könnte. Hinzu kommt, dass auch Borowski wie Thies Nowak nicht minder erschreckend aus der Haut fahren kann. Kein Wunder, dass er ihm den Mord am ehesten zutrauen würde.
Das sachte Spiel zwischen Nähe und Distanz, das ritualisierte Versteckspielen, gelang selten so gut wie in diesem 12. Krimi um Borowski und seine „bessere Hälfte“. Die Kamera ist ganz nah bei Axel Milberg – und der hat ein mimisches Repertoire drauf, dass es eine Freude ist, ihm zuzuschauen. Auch Maren Eggert zeigt einmal mehr, dass sie eine der ganz Großen ist. Blicke sind die treibende Kraft in „Borowski und die heile Welt“. Auch Kamera-Blicke. Regisseur Florian Froschmayer erzählt höchst visuell. Schon der Vorspann führt direkt in die Geschichte. Die Bilder sprechen zuerst, dann erst die Menschen. Der stimmungsvolle Film besticht als Familiendrama und als Psychostudie – nicht zuletzt wegen der ausdrucksstarken Leistungen von Katharina Wackernagel und Fabian Hinrichs. Die beiden Schauspieler sind die ideale Besetzung mit ihren breiten Wangen und den großen erwartungsvollen Kinderaugen. Den Autoren Elke Schuch und Marc Blöbaum gelingt die Kurve zum Krimi, obgleich dem Täter (wie dem Zuschauer) am Ende etwas zu viel aufgeladen wird. (Text-Stand: 3.5.2009)