Tatort – Borowski und die Angst der weißen Männer

Milberg, Bagriacik, Bundschuh, Probst/Nocke, Weegmann. Ein beachtliches Zeichen

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

Der „Tatort“ in seinem Element: Mit der Episode „Borowski und die Angst der weißen Männer“ (NDR / Nordfilm Kiel) setzt die ARD am Vorabend des Weltfrauentags ein klares Statement gegen Hass und Gewalt. Die weibliche Disco-Bekanntschaft eines jungen Einzelgängers, der sich in Internet-Foren von Frauen-Hassern tummelt, wird tot aufgefunden. Auch die Büroleiterin einer angefeindeten Politikerin wird überfallen. Der Film von Nicole Weegmann greift das besorgniserregende Phänomen der sogenannten „Incels“ auf. Das sind – zum Teil rechtsextreme, rassistische – Männer, die insbesondere die Frauen-Emanzipation für ihr „unfreiwilliges Zölibat“ (engl.: „involuntary celibat“) verantwortlich machen und sich im Netz gegenseitig aufstacheln. Trotz einiger Schwächen gelingt es diesem Themenfilm, eine differenzierte und im Schlussdrittel auch enorm spannende Geschichte zu erzählen. Das Ermittlungs-Team zeigt Einigkeit und Haltung, die aufrüttelnde Botschaft hallt nach.

Mario spricht mit gesenktem Blick, in halben Sätzen und mit leiser Stimme, seine Bewegungen wirken ungelenk. Joseph Bundschuh spielt den Schlaks in bewundernswerter Unerschrockenheit als eine ebenso Mitleid erregende wie beängstigende Erscheinung:  Lächeln scheint Mario verlernt zu haben. Er ist ein gehemmter Einzelgänger, der sich immerhin Hilfe von außen sucht – aber leider die falsche. In der Disco bemüht sich Mario, die zweifelhaften Empfehlungen („Sei dominant und du gewinnst“) von Buch-Autor Massmann (Arnd Klawitter) zu befolgen. „Du hast echt Glück“, sagt er zu einer jungen Frau. „Warum?“ „Weil du mich kennenlernen darfst.“ Sein Auftreten hat etwas Tragikomisches, allerdings wird am nächsten Tag die Leiche der Frau in der Nähe der Disco gefunden. Jemand hatte ihr K.o.-Tropfen verabreicht, außerdem war sie mit Schlägen und Tritten malträtiert worden.

Tatort – Borowski und die Angst der weißen MännerFoto: NDR / Christine Schroeder
Mitleid erregend und beängstigend zugleich: Mario (stark: Joseph Bundschuh)

„Borowski und die Angst der weißen Männer“ handelt von einem besorgniserregenden Phänomen: Männer, die die Frauen-Emanzipation dafür verantwortlich machen, dass sie bisher keinen Sex erlebt haben, versammeln sich in Internet-Foren, um ihrem Hass und ihren Gewalt-Phantasien freien Lauf zu lassen – im Film wird daraus ein Chor aus Frauen verachtenden Stimmen. Ob die plakative Botschaft des Films („Wir sind viele“) tatsächlich zutrifft, ist vielleicht zweifelhaft, aber im Grunde nebensächlich. Denn wie gefährlich die aus den USA stammende „Incel“-Bewegung (steht für „involuntary celibat“, dt.: „unfreiwilliges Zölibat“) ist, belegen die Attentate von Oslo, Christchurch, Halle und Hanau, die alle von weißen Männern begangen wurden, die in ihren Aussagen und Pamphleten neben rassistischen und antisemitischen Einstellungen auch offenen Frauen-Hass zur Schau trugen und ebenfalls in einschlägigen Netzwerken aktiv waren. Die Sorge, dass sich Männer durch die permanente Hetze in den eigenen Echokammern radikalisieren, hat sich längst bewahrheitet.

Das erste Opfer im Film ist Duschanka Tomi (Vidina Popov), die Büroleiterin der Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel). Nach Feierabend wird sie in der Tiefgarage von drei, in weißen Schutzanzügen gekleideten Männern überfallen. Die doppeldeutige Kennzeichnung als „weiße Männer“ ist offenkundig, wobei rassistische Motive ansonsten eigentlich keine Rolle spielen, außer dass sich am Tatort des Disco-Opfers ein rechtsextremer Code, die Zahl 14, findet. Und was bezweckt die Inszenierung mit der Analogie zu den weißen Anzügen der Spurensicherer? Etwa: „Incels“ sind überall, auch bei der Polizei? Die Andeutungen zur Verknüpfung von Frauen-Hass und Rassismus bleiben bis zum Schluss spekulativ und unausgegoren.

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„Sei dominant und du gewinnst.“ Hank Massmann (Arnd Klawitter) folgt seiner eigenen Logik zum Thema Mann-Frau-Beziehung. Borowski sieht das ganz anders.

Vorerst folgt die Inszenierung zwei unterschiedlichen Perspektiven: der ermittelnden Polizei und des scheuen Mario, der in der Pförtnerloge eines Parkhauses arbeitet. Regisseurin Nicole Weegmann hat einige Erfahrung mit dramatischen Stoffen, hat Grimme-Preise für „Ein Teil von uns“ und „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ erhalten. Im engeren Krimi-Format gelingt die differenzierte Darstellung nicht ganz so gut, dennoch ist die Hauptfigur alles andere als ein eindimensionaler Charakter. Da es keine Rechtfertigung für den Hass auf Frauen gibt, verzichtet der Film klugerweise auf den Versuch, psychologische Ursachen in seiner Sozialisation zu suchen. Marios Vergangenheit spielt keine Rolle. Er ist, was er ist: ein junger Mann, der mit seiner Identität hadert und als scheuer Einzelgänger häufige Kränkungen verkraften muss – auch im Incel-Forum („Kannst du woanders nerven?“). Oder im Parkhaus, wo ihn die Chefin zusammenstaucht, obwohl Mario nur hilfsbereit war. Die Kamera bemüht sich, seine Wahrnehmung der Realität für die Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Seltsam allerdings: Dass Mario eine Frau kennenlernt, weil die beim Ausparken Probleme hat, wäre ohnehin eine altertümliche Idee – aber in einem Film, in dem Geschlechter-Stereotype eine Rolle spielen, erst recht. Vicky (Mathilde Bundschuh) lässt sich trotz anfänglichen Zögerns gleich auf ein Date bei Mario zuhause ein. Das wirkt zwar unglaubwürdig, sorgt aber für einen spannenden, ambivalenten Wendepunkt. Als Zuschauer hofft man vielleicht, dass Mario mit Vickys Hilfe doch noch die Kurve bekommen könnte. Zugleich ist man im Wissen um Marios verborgenen Hass um Vicky besorgt. Da ist es ein zwiespältiges Gefühl, dass Kommissar Borowski (Axel Milberg) und Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) ausgerechnet bei diesem Rendezvous das erste Mal vor Marios Tür stehen und das Date platzen lassen.

Die zweite männliche Schlüsselfigur des Films ist Autor Hank Massmann, der ein „Zurück zum Mann“ propagiert. In Weegmanns Inszenierung hat sich Massmanns Stimme quasi in Marios Kopf eingenistet – nun träufelt sie ungehindert Gift ins Hirn des labilen Einzelgängers. Die Figur Massmann steht für den Typ gebildeter Saubermann, der den „intellektuellen“ Überbau für den Hass liefert. Er ist politisch nicht verortet, das „Wir werden sie jagen“-Zitat aus dem Off rückt ihn aber assoziativ in die Nähe der AfD. Denn da klingt er wie AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der nach der Bundestagswahl 2017 erklärte, „Angela Merkel oder wen auch immer“ jagen zu wollen. Im Film wird Massmann als mindestens ebenso einflussreich erzählt wie die vielstimmigen Dreckschleudern im Netz. Er provoziert Birte Reimers in einer Talkshow, hält Vorträge und gibt „Seminare“, die wie eine Zusammenkunft von Verschwörern an einem geheimen Ort wirken. Borowski schleicht sich undercover ein, indem er sich als Journalist ausgibt. Vor einer brüllenden Meute in einem finsteren Raum lässt Massmann die Maske fallen und hetzt die Männer mit Tiraden gegen die vermeintliche Herrschaft der „Schlampen“ auf. Die hasserfüllte Atmosphäre wird eindringlich inszeniert, aber der Buch-Autor als Einpeitscher, das passt nicht mehr so gut zusammen.

Tatort – Borowski und die Angst der weißen MännerFoto: NDR / Christine Schroeder
Sahin (Almila Bagriacik) schützt Birte Reimers (Jördis Triebel). Die Büroleiterin der Politikerin war das erste Opfer. Der Täter hat es offensichtlich auch auf sie abgesehen.

Was sehr gut zusammenpasst: Borowski und Sahin, die auf Augenhöhe zusammenarbeiten und auch keine zusätzlichen Geschlechterdebatten führen müssen. Das Ermittler-Duo als moralischer Kompass – in manchen Krimis aufgesetzt und unglaubwürdig – gelingt in dieser „Tatort“-Episode ausgesprochen gut. Sahin lässt sich von all dem Hass nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht von dem Berliner Staatsschützer Nils Balde (Patrick Heinrich), der sie permanent von oben herab behandelt und mit „Liebste“ anspricht. Bade steht für die subtilere Form von Frauenverachtung, ist allerdings auch eine typische Klischee-Figur, die gefühlt in jedem zweiten Krimi zu sehen ist. Almila Bagriacik ist hier jedenfalls in ihrer „Tatort“-Rolle richtig angekommen: zupackend und intelligent. Und so wenig wie Bagriacik alias Sahin das Vorurteil der hysterischen Frau bedient, so wenig entspricht Milberg alias Borowski dem Bild des alten weißen Mannes, der den Schuss nicht gehört hat. Für humorvolle Entlastung sorgt außerdem „Cybercop“ Paulig (Jan-Peter Kampwirth). Der Kollege aus der IT-Abteilung ist mit seinen ironischen Bemerkungen („Ein Mann spürt, wenn er losziehen muss“) ebenfalls eine Art Gegenentwurf zu den aggressiven Jammerlappen, die wieder „echte Männer“ sein wollen.

Nach einer guten Stunde, in der neben der üblichen Ermittlungsarbeit Marios Entwicklung und die Aufklärung über „Incels“ im Vordergrund stand, wird aus dem Krimidrama ein hochspannender Thriller mit Verschwörungs-Elementen. Dann geht es verstärkt auch um die Bedrohung von Politikerinnen. Der „Tatort“ ist mit diesem aufrüttelnden Film über das noch zu wenig beachtete Phänomen der „Incels“ in seinem Element. Nicht alles erscheint stimmig, aber als diskussionswürdiger Impuls, der ziemlich sicher ein großes Millionen-Publikum erreicht, setzt er am Vorabend des Weltfrauentags ein beachtliches Zeichen.

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Reihe

NDR

Mit Axel Milberg, Almila Bagriacik, Joseph Bundschuh, Arnd Klawitter, Jördis Triebel, Jan-Peter Kampwirth, Mathilde Bundschuh, Patrick Heinrich, Vidina Popov, Thomas Kügel, Anja Antonowicz

Kamera: Willy Dettmeyer

Szenenbild: Sabine Pawlik, Iris Trescher-Lorenz

Kostüm: Karin Lohr

Schnitt: Andrea Mertens

Musik: Morian van Volxem, Sven Rossenbach

Redaktion: Sabine Holtgreve

Produktionsfirma: Nordfilm Kiel

Produktion: Kerstin Ramcke

Drehbuch: Peter Probst, Daniel Nocke

Regie: Nicole Weegmann

Quote: 9,16 Mio. Zuschauer (26% MA); Wh. (2023): 5,32 Mio. (21,6% MA)

EA: 07.03.2021 20:15 Uhr | ARD

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