Tatort – Borowski und der Schatten des Mondes

Milberg, Bagriacik, Brunken/Wenzel, Rohde. Als Jimi Hendrix nach Fehmarn kam

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

Vater und Sohn Milberg in einer spannenden Episode, in der Kommissar Borowski mit der Tragödie seiner Jugend konfrontiert wird: Im Januar 1970 wollten er und seine Freundin zum Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn trampen. Beide stritten sich, Susanne stieg in den falschen Wagen und wurde ermordet. Mehr als 50 Jahre später wird ihre Leiche gefunden. In der Folge „Borowski und der Schatten des Mondes“ (NDR / Nordfilm) verbinden Patrick Brunken und Torsten Wenzel geschickt die persönliche Geschichte des Kommissars mit einem „cold case“ und einer unheimlichen, zunehmend dramatischen Ermittlung. August Milberg schlägt sich als junger Borowski wacker. Herausragend das Spiel von Stefan Kurt und Lena Stolze. Der 38. Kiel-„Tatort“ mit dem großartigen Axel Milberg ist ein tragisches Krimi-Drama mit einem Hauch 70er-Nostalgie. Einer der persönlichsten Borowski-Filme.

Knapp zwei Wochen vor seinem Tod hatte Jimi Hendrix seinen letzten großen Auftritt beim Love-and-Peace-Festival auf der Insel Fehmarn. Und so beginnt die „Tatort“-Folge „Borowski und der Schatten des Mondes“ mit „Purple Haze“ und Archivbildern vom „deutschen Woodstock“ Anfang September 1970. Mehr als 50 Jahre später wird unter der Wurzel einer umgestürzten Eiche das Skelett einer weiblichen Leiche gefunden. Da ein Computerprogramm das Gesicht des Opfers erstaunlich genau rekonstruieren kann, erkennt der Kommissar seine damalige Freundin Susanne sofort wieder. Der 14-jährige Klaus Borowski (August Milberg) wollte mit Susanne (Mina Rueffer) am 5. September 1970 nach Fehmarn trampen, aber Klaus verliert im Regen die Lust – zum Ärger seiner Freundin. Von einer Telefonzelle aus sieht er, wie doch noch ein Fahrzeug anhält, das er später bei der Polizei als beigefarbenen Campingbus beschreibt. Fünf Jahrzehnte später bleibt Borowski vor der Haustür von Susannes Vater, gespielt von dem mittlerweile verstorbenen Peter Maertens, lieber im Auto sitzen und überlässt es seiner jungen Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik), dem alten Mann die Nachricht zu überbringen, dass die Leiche seiner Tochter nach so langer Zeit gefunden wurde.

Tatort – Borowski und der Schatten des MondesFoto: NDR / Christine Schroeder
Die Last der Vergangenheit. Was hat Michael Mertins (Stefan Kurt) mit dem tragischen Verschwinden des Teenagers 1970 zu tun? Oder ist er nur zufällig im Wald, als die Knochen des Mädchens von der Revierförsterin ausgegraben werden?

Axel Milberg spielt in einem der persönlichsten Fälle des langjährigen „Tatort“-Kommissars einen erschütterten, mit wiederkehrenden Schuldgefühlen ringenden Klaus Borowski. In einigen Szenen sieht man den erwachsenen Borowski auch in der eigenen Vergangenheit: an der Tankstelle, wo Susanne sich nach einem Streit von ihm abwandte. Er sei wütend gewesen, sagt er einmal. „Auf sie, auf mich. Weil ich nicht gekämpft habe.“ Als Teenager war er der wichtigste Zeuge in dem Mordfall, doch mit seiner Aussage führte er die Polizei unabsichtlich in die Irre. In Rückblicken rekonstruiert Regisseur Nicolai Rohde Borowskis Erinnerung – und nach und nach den wahren Ablauf. Milbergs Sohn August spielt die jugendliche Fernseh-Figur seines Vaters in den 1970er-Jahre-Szenen sehr beachtlich.

Gleichzeitig dürfte dem Publikum schnell klar sein, dass der Spaziergänger Michael Mertins (Stefan Kurt), der samt Dackel zufällig anwesend war, als die Revierförsterin Susannes Schädelknochen fand, auf irgendeine Weise in den Fall verwickelt ist. Das tut der Spannung aber keinen Abbruch, im Gegenteil: Mertins‘ scheinbar ganz normale Ehe mit seiner Frau Antje (Lena Stolze) in dem ordentlichen Einfamilienhaus trägt zur ungemütlichen Grundstimmung des Falls bei. Beide singen im Chor, und wenn sich Michael daheim ins Untergeschoss zurückzieht und Brahms‘ Deutsches Requiem („Denn wir haben hie keine bleibende Statt“) in voller Lautstärke auflegt, versinkt auch Antje ein Stockwerk darüber in der Musik. Überragend, wie Stefan Kurt und Lena Stolze diese Eheleute spielen und dabei die Last der Vergangenheit immer mitschwingen lassen.

Tatort – Borowski und der Schatten des MondesFoto: NDR / Christine Schroeder
Auf zu Jimi Hendrix nach Fehmarn. Doch es kommt anders. Mina Rueffer, August Milberg

Der Film bietet nicht nur musikalisch, sondern auch visuell einen spannenden Wechsel verschiedener Ebenen. Zum einen durch den zeitlichen Sprung aus den 1970ern in die Gegenwart, zum anderen durch die verschiedenen Schauplätze, den düsteren Wald als Ort der Jagd und des Todes sowie im Gegensatz dazu die wohl geordnete Welt des Ehepaars Mertins in ihrem Einfamilienhaus. Die sorgfältig komponierten Bilder von Kameramann Philipp Kirsamer („Eine mörderische Entscheidung“, „Meine Tochter Anne Frank“) sorgen für eine eindringliche, von Anfang an etwas unheimliche Atmosphäre. Spannend bleibt es freilich auch, weil die Ermittlungen in diesem lange zurückliegenden Verbrechen einige überraschende Wendungen zu bieten haben. Und weil die eigenwillige Art des sensiblen Einzelgängers Borowski in diesem Fall für besondere Spannungen sorgt. Erst verschweigt der Kommissar seiner Kollegin Sahin, dass er damals der wichtigste Zeuge war. Dann ignoriert er Sahins Aufforderung, seine persönliche Verwicklung in den „cold case“ seinem Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) zu offenbaren. Sahin gerät in ein Dilemma: Will sie sich korrekt und professionell verhalten, muss sie Borowski anschwärzen. Auch wenn das Duo Borowski/Sahin immer noch etwas zu fremdeln scheint, gelingt hier ein zwar konfliktreiches, aber auch berührendes Zusammenspiel zweier Figuren aus unterschiedlichen Generationen.

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Reihe

NDR

Mit Axel Milberg, Almila Bagriacik, Stefan Kurt, Lena Stolze, August Milberg, Thomas Kügel, Heide Simon, Bernd Tauber, Anja Antonowicz, Mina Rueffer, Karsten Antonio Mielke

Kamera: Philipp Kirsamer

Szenenbild: Alexander Scherer

Kostüm: Karin Lohr

Schnitt: Melanie Schütze

Musik: Johannes Kobilke

Soundtrack: Jimi Hendrix („Purple Haze“, „Foxy Lady“, Little Wing“)“

Redaktion: Sabine Holtgreve

Produktionsfirma: Nordfilm Kiel

Produktion: Kerstin Ramcke

Drehbuch: Patrick Brunken, Torsten Wenzel

Regie: Nicolai Rohde

Quote: 9,32 Mio. Zuschauer (29,8% MA)

EA: 10.04.2022 20:15 Uhr | ARD

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