Tatort – Borowski und das Glück der Anderen

Milberg, Bagriacik, Wichmann, Stadelmann, Hostettler, Arango, Kleinert. 7 Schüsse

Foto: NDR / Christine Schröder
Foto Rainer Tittelbach

In „Borowski und das Glück der Anderen“ (ARD / Nordfilm Kiel), dem 33. Milberg-„Tatort“, nehmen sich sich Autor Sascha Arango und Regisseur Andreas Kleinert den Neid-Faktor vor, jene Haltung von Missgunst, die sich hier so unheilvoll verselbstständigt, dass sie am Ende nicht nur ein Wohnzimmer, sondern ein ganzes Leben in Schutt und Asche zu legen vermag. Dieses selbstzerstörerische Prinzip ist eng gekoppelt an die ewige Suche nach dem Glück und an die rein materiellen Versprechungen, mit denen eine frustrierte Supermarkt-Kassiererin ihr latentes Gefühl der Kränkung zu heilen erhofft. Diese Frau von nebenan wird zur Mörderin. Es ist eine Kurzschlussreaktion. Ein Verbrechen ohne Vorsatz. Arango erzählt eine überspitzte, sehr wahrhaftige Geschichte, die sich nicht um Oberflächen-Realismus schert und aberwitzige Wendungen nimmt. Auch filmisch stimmt so gut wie alles: Der Kamerablick ist präzise, keine Einstellung überflüssig, die Montage generiert die Geschichte.

Glück haben immer nur die Anderen. Die Supermarktkassiererin Peggy Stresemann (Katrin Wichmann) ist im Gegensatz zu ihrem rundum zufriedenen Ehemann Micha (Aljoscha Stadelmann) der Meinung, dass sie jetzt endlich mal dran seien. Nachdem sie eines Abends mitansehen muss, wie das Ehepaar von gegenüber, Victoria (Sarah Hostettler) und Thomas Dell (Volkram Zschiesche), offenbar Lottomillionäre geworden sind, verschafft sie sich am nächsten Tag Zugang in deren Haus. Da der Lottoschein des Jackpots, satte 14,2 Millionen Euro, noch nicht eingelöst wurde, hofft Peggy, ihn dort irgendwo zu finden. Im verschlossenen Nachttisch liegt allerdings nicht der Schein zu den ersehnten „Ferien für immer“, sondern die Fahrkarte ins Verhängnis: Wenige Minuten später liegt der Hausbesitzer blutüberströmt auf dem Boden – sieben Schüsse in seiner Brust. Scharf geschossen wird derweil auch auf Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und seine junge Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik). In einem Hotel landen sie einen Zufallscoup, der ihnen sogar Glückwünsche von Scotland Yard einbringt. Im Fall Dell ist der Erfolg nicht so schnell zu haben – auch wenn das Sahin anders sieht: Für sie gibt es viele gute Gründe dafür, dass die gefühlskalt wirkende Victoria Dell ihren Mann getötet haben muss. Für Borowski aber liegt der Fall anders.

Tatort – Borowski und das Glück der AnderenFoto: NDR / Christine Schröder
Keine Gnade für Lottogewinner: Peggy Stresemann (Katrin Wichmann) mal wieder am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Der Zuschauer weiß in „Borowski und das Glück der Anderen“ weitaus mehr als die Kommissare. Er wird sogar Augenzeuge des brutalen Mordes, der aus einer Kurzschlussreaktion resultiert. Es ist ein Mord ohne Vorsatz, dem eine Kränkung vorausgeht. Das kommende Opfer macht die Kassiererin lächerlich („Sind Sie unsere neue Putzfrau?“), demütigt sie, trifft ihren wunden Punkt: Sie ist die Frau, die keiner sieht, die Frau, die im Supermarkt räumt, wischt, bedient, bitte und danke sagt, von der feinen Kundschaft wie jener Champagner kaufenden Nachbarin aber keines Blickes gewürdigt wird. In dem Moment, in dem sie die Waffe in der Hand hält, entzündet sich ihre angestaute Wut. Auch nach dem Mord steht diese Frau weiterhin unter Strom. Zu besänftigen weiß sie allenfalls Kommissar Borowski. Endlich wird sie einmal wahrgenommen. „Sie sind eine wichtige Zeugin“, sagt er. „Ich war noch nie wichtig“, entgegnet sie und ihr gesteigerter Selbstwert lässt sie sogar vergessen, dass dieser Mann Kommissar ist und sie eine Mörderin. So schlau sie sich auch immer wieder verhält – Peggy Stresemann ist „eine irrationale Persönlichkeit“, so Autor Sascha Arango („Blond Eva Blond“). Diese Frau hat eine krankhaft verzerrte Sicht auf die Welt, „Wahn und Normalität sind benachbart.“ Auch am Ende des Films ist es das Ich-stärkende Gefühl, eine wichtige Zeugin zu sein, welches sie in Borowskis Falle tappen lässt. Kurz zuvor noch war sie ganz am Boden. Die Szene, die nach 77 Filmminuten Peggys Tiefpunkt darstellt, wurde bereits – in variierter Form – als Eingangsszene dieser außergewöhnlichen 33. „Tatort“-Episode fulminant vorweggenommen: Eine Frau, völlig außer sich, „häckselt“ mit dem Rasenmäher die gesamte Wohnzimmereinrichtung kurz und klein.

Katrin Wichmann über den Zusammenhang von Figur und Szenenbild:
„Das Haus, in dem wir gedreht haben, erzählt unheimlich viel. Jede Fensterbank ist von Peggy liebevoll bestückt mit kleinem Krimskrams. Sie ist jemand, die sich viel Mühe gibt und versucht, aus allem etwas Besonderes zu machen. Nur wird das überhaupt nicht wahrgenommen und das lässt in ihr eine Missgunst wachsen.“

Tatort – Borowski und das Glück der AnderenFoto: NDR / Christine Schröder
Spaß bei der Arbeit. Borowski (Axel Milberg) auf Beobachtungsposten. Fehlen nur noch Blutspritzer auf der Zuckerwatte.

In „Borowski und das Glück der Anderen“ nimmt sich Autor Arango den Neid-Faktor vor, jene Haltung von Missgunst, die sich in diesem Fall so unheilvoll verselbstständigt, dass sie am Ende nicht nur ein Wohnzimmer, sondern problemlos ein ganzes Leben in Schutt und Asche zu legen vermag. Dieses selbstzerstörerische Prinzip ist eng gekoppelt an die ewige Suche nach dem Glück und an die rein materiellen Versprechungen, mit denen jene Peggy Stresemann ihr latentes Gefühl der Kränkung zu heilen erhofft. „Menschen sind soziale Wesen und gerade der Vergleich mit anderen, der ständige Drang nach mehr Geld, Macht, Wachstum und Konsum macht vor allem eins: unglücklich“, sagt der Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen im NDR-Presseheft. Dieser „Tatort“ führt einem das auf höchst unterhaltsame Art vor Augen. Dabei wird das große Wohnzimmerfenster der Dells zur Projektionsfläche. Zu Beginn des Films sieht die Supermarktkassiererin hinter dem Glas ihre wahnhafte Idee gespiegelt, dass das Nachbarehepaar den Jackpot gewonnen hat. Später schaut sie noch mehrfach aus diesem Fenster, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Beim ersten Mal ist es der vergleichende Blick (was haben die hier und was haben wir dort drüben?), der zuvor bereits zum Motor der Handlung wurde, und der beunruhigende Gedanke daran, was wohl die Anderen von ihnen und ihrem Haus denken könnten. Beim letzten Blick – es ist zugleich eine der letzten Einstellungen des Films – wird die ganze Tragik der Situation deutlich: Jetzt sieht sie tatsächlich auf das Glück der anderen und den eigenen Untergang.

Axel Milberg über den „Tatort – Borowski und das Glück der Anderen“:
„Wer gibt es aber zu, dass er neidisch ist? Die ganze kapitalistische Ordnung basiert auf Konsum und Wettkampf. Wie soll da nicht der Neid eine zentrale Rolle spielen? Die Glücksberater sagen, vergleiche dich nicht!“
„Sascha Arango bringt immer diesen eleganten Humor hinein, der zutiefst aus der Kenntnis der menschlichen Natur kommt.“

Tatort – Borowski und das Glück der AnderenFoto: NDR / Christine Schröder
Tobsuchtsanfall: Peggy (Katrin Wichmann) macht Kleinholz aus dem Wohnzimmer. Und plötzlich ist das Materielle, gerade noch Zeichen des Glücks, nichts mehr wert.

Zum zweiten Mal nach „Borowski und der Engel“ haben Arango und Andreas Kleinert bei einem Kiel-„Tatort“ zusammengearbeitet. Der Autor suche das Abgründige, das Böse, während der Regisseur den Mördern gern noch etwas menschlich Liebevolles mitgebe, betonen beide im NDR-Interview. Dieser ausbalancierte Gegensatz zeichnet „Borowski und das Glück der Anderen“ ebenso aus wie das Pendeln zwischen tiefer Tragik und absurder Komik. Mal ist die Empathie des Zuschauers gefragt, mal dessen analytischer Blick, mal dessen ästhetisches Lustempfinden. Arango durchdringt die Phänomene Neid und Glück und baut aus ihnen eine überspitzte, aber sehr wahrhaftige Geschichte, die sich nicht um Oberflächenrealismus schert und entsprechend irrwitzige Wendungen nimmt, darunter ein grotesker Rollenwechsel: Peggy shoppt, und „Tatortreinigerin“ Victoria schrubbt. Eine einzige (amouröse) Wendung gegen Ende, die hier nicht verraten werden darf, erscheint wenig erzähllogisch, passt aber vorzüglich zu den Charakteren und ihrem jeweiligen Verständnis vom Glück. Ansonsten aber stimmt in diesem Film so gut wie jedes Detail. Die Dialoge sind knapp und knackig, oft haben die Bilder das Sagen: Der Kamerablick ist präzise, keine Einstellung überflüssig, die Montage generiert die Geschichte. Die Nacht sorgt für Atmosphäre, Parallelmontagen und Szenen mit einer ausgefeilten Blickdramaturgie sorgen für Spannung und ein Schmunzeln, das gelegentlich auch ein bisschen wehtut.

„Es ist eben auch ein politischer Stoff in einer Zeit, in der die Vergleichbarkeit im Fokus steht. Viele Menschen posten Bilder auf Instagram von der Familie, tollen Inselurlauben. Wer nicht einen Karibikstrand zu bieten hat, muss sich schon als Loser fühlen … Diese Gesellschaft setzt so viele Normen, gibt vor, was schön und wertvoll ist. Es ist ein Wettbewerb um das Glücklichsein entstanden, der aber nur unser Konsumverhalten widerspiegelt …  Da werden Sehnsüchte geweckt, die sich nicht umsetzen lassen, und dadurch kommt die Unruhe in die Menschen. Alle wollen sich optimieren und dadurch rennen wir im ewigen Kreislauf dem vermeintlich besseren hinterher.“ (Andreas Kleinert, Regisseur)

Tatort – Borowski und das Glück der AnderenFoto: NDR / Christine Schröder
Gut gespielt, Frau Nachbarin! Mitleid: Nichts liegt Peggy (Katrin Wichmann) ferner. Ein Treffen mit vertauschten Rollen. Bizarre Szene. Sarah Hostettler als Victoria Dell

Als Zuschauer sieht man leicht skurrilen Menschen und einer völlig durchgeknallten Person dabei zu, wie sie seltsame Dinge tun. Selbst der Zauderer und Grübler Borowski hat etwas Unbeschwertes an sich. So stellt er mit Gerichtsmedizinerin Kroll (Anja Antonowicz) das Verbrechen aberwitzig nach: Sie, die hasserfüllte Ehefrau, er, das Objekt ihrer Wut – und am Ende erweist sich diese Mord-Simulation als unlogisch. Borowski ist auch locker und ungewohnt nachsichtig im Umgang mit seiner neuen jungen Kollegin. Bezauberte bei Mila Sahins Einstand der Tanz auf dem Parkdeck, bleibt diesmal in Erinnerung eine köstliche, kleine Szene, in der die beiden sich bei einer Wohnungsbesichtigung als ein Paar ausgeben, welches – weil’s der Sache dient – Zwillinge erwartet. Aber auch die Sorge um Sahins blaues Auge („geschlagen von privat“) oder die kurzen Momente im neuen Büro sind amüsante Miniaturen dieses sympathischen Jung-Alt-Duos. Diese Leichtigkeit des Seins macht sich besser als das auf Problem gebürstete Borowski/Brandt-Verhältnis. Gelungen sind auch die beiläufigen Witzigkeiten, die vielleicht gar nicht jedem als solche auffallen. „Wollen Sie auch ’n Bier?“, fragt Micha Stresemann; darauf Borowski: „Ja, gerne, aber nicht jetzt.“ Auch der Immobilienmakler ist mit seinen zwei, drei Sätzen und seinem „Twin-Peaks“-liken Happy-Winken im Schlussbild eine ganz eigene Marke. Wie er Victoria Dell als „eine Kaltfront von Person“ beschreibt, das ist nah am Kabarett („Mit wem ist die den verheiratet? Mit ‘nem Eisbär?“). Den schönsten Satz des Films, zugleich ein wunderbares Statement zum Thema, hat Arango Axel Milberg ins Textbuch geschrieben. „Sind Sie Junggeselle?“, will Peggy Stresemann wissen. Darauf Borowski schön doppeldeutig: „Mir fehlt zum Glück die Frau.“

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Reihe

NDR

Mit Axel Milberg, Almila Bagriacik, Katrin Wichmann, Aljoscha Stadelmann, Sarah Hostettler, Thomas Kügel, Anja Antonowicz, Volkram Zschiesche

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Dorle Bahlburg

Kostüm: Karin Lohr

Schnitt: Gisela Zick

Redaktion: Sabine Holtgreve

Produktionsfirma: Nordfilm Kiel

Produktion: Kerstin Ramcke

Drehbuch: Sascha Arango

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 7,72 Mio. Zuschauer (22% MA)

EA: 03.03.2019 20:15 Uhr | ARD

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