Tatort – Borowski und das Fest des Nordens

Maticevic, Milberg, Kekilli, Busch, Jan Bonny. „Zerrissen / analytisch / tiefgehend“

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

„Borowski und das Fest des Nordens“ bietet keine klassische Tätersuche, sondern die Tragödie eines unbeherrschten Mannes, den die Trennung von seinen Kindern aus der Bahn geworfen hat und der sich in eine immer aussichtslosere Lage bringt. Misel Maticevic gibt hier eine absolut preiswürdige Vorstellung, in seiner enormen physischen Präsenz ebenso wie in seinem präzisen Spiel. Kommissar Borowski scheint auf eine metaphysische Art mit der Täterfigur verbunden zu sein. Regisseur Jan Bonny inszeniert rau, sprunghaft, ungeheuer intensiv. Und bezieht die triste soziale Realität Kiels ebenso mit ein wie den rauschhaften Ausnahmezustand während der Kieler Woche. In dieser herausragenden, ungeschönten „Tatort“-Folge erfasst der Gender-Krieg auch das Ermittler-Gespann. Es kracht im letzten Film mit Sibel Kekilli gewaltig, der allerdings gar nicht als Abschieds-Folge geplant war.

Ein Ringkampf zwischen Mann & Frau endet tödlich
Roman Eggers (Misel Maticevic) war ein halbes Jahr von der Bildfläche verschwunden. Jetzt steht er plötzlich in der Wohnung seiner früheren Familie, umarmt seine beiden Kinder, gerät mit seiner geschiedenen Frau Tamara (Franziska Hartmann) aneinander. Beide schreien sich wutentbrannt an. Dann sieht man Roman in einer leeren Wohnung. Maren (Maureen Havelna) klingelt, wirft sich Roman sofort in die Arme, als der die Tür öffnet. Aus den hervor gepressten, geflüsterten oder gebrüllten Sätzen erfährt man, dass sie ihm Geld besorgt hatte. Doch nun ist nichts mehr da, und Roman ist in Sorge, dass noch jemand außer Maren von seinem Versteck weiß. Der Ringkampf endet tödlich, Maren klammert, verbeißt sich geradezu in Roman, der irgendwann die Kontrolle verliert und mit einem Rohr auf sie einschlägt. Später beginnen auch die Kommissare am Tatort zu streiten. Klaus Borowski (Axel Milberg) analysiert kühl: „Sie hat ihn genervt.“ Was Sarah Brandt (Sibel Kekilli) ziemlich gefühllos findet angesichts der Tatsache, dass da eine Frau erschlagen wurde.

Tatort – Borowski und das Fest des NordensFoto: NDR / Christine Schroeder
Alles nur gespielt? Zwischen Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) kracht es dieses Mal gewaltig. Das passt nicht schlecht zu Kekillis Ausstieg aus dem „Tatort“.

Aus dem verschlafenen Kiel wird eine Dauerkirmes
Die „Borowski“-Filme zählen seit Jahren zum Besten, was die „Tatort“-Reihe zu bieten hat. „Borowski und das Fest des Nordens“, der leider letzte Film mit Sibel Kekilli, ist dafür ein eindrucksvoller Beleg, von hoher Intensität, sprunghaft, ambitioniert, schauspielerisch überragend. Es geht nicht um eine klassische Tätersuche, sondern um das letzte Aufbäumen eines verzweifelten Mannes, um das Scheitern einer tragischen Figur, auch um Gender-Konflikte, um die Aggressionen zwischen Männern und Frauen. Regisseur Jan Bonny bezieht wie im WDR-Drama „Über Barbarossaplatz“, das in Köln spielte, die Atmosphäre der Stadt mit ein. Aus dem sonst eher verschlafenen Kiel wird angesichts des Volks- und Segelfestes Kieler Woche eine Dauerkirmes. Gedränge zwischen den Buden, grölende Trupps von Betrunkenen – das „Fest des Nordens“ ist immer präsent, mal als Hintergrundrauschen auf der Tonspur, mal als Anlass für humorvolle Gender-Attacken. Einmal jagt Brandt eine lärmende Männerhorde mit dem Golfschläger vor sich her, ein anderes Mal kippt sie einen Eimer Wasser aus dem Fenster. Eine Stadt im Rausch, Kiel ist laut und hässlich, und auf schöne Bilder von der Windjammer-Parade wartet man auch vergebens. Nur Borowski steht am Hafen und behauptet – dank Milbergs verschroben-melancholischer Art durchaus glaubwürdig: „Einmal im Jahr will ich auf Schiffe gucken.“

Tatort – Borowski und das Fest des NordensFoto: NDR / Christine Schroeder
Metaphysische Verbundenheit zwischen Protagonist und Antagonist. Der Mörder scheint Borowski (Axel Milberg) vorm sicheren Erstickungstod gerettet zu haben.

Vier Männer, ein Baby und ein Gewaltakt in sechs Minuten
Bonny inszeniert physisch rau und ungeheuer intensiv wie in der Szene von Marens Tod. Oder wie in einer besonders langen Einstellung, als Roman seinen Gläubiger aufsucht und versucht, weiteres Geld zu leihen. Ein verzweifelter, demütigender Akt ist das, der beinahe zwangsläufig in Gewalt mündet. In Rolfs (Ronald Kukulies) Wohnung befinden sich noch zwei junge Männer und ein Baby. Komik & Entsetzen liegen nahe beieinander, die Handkamera von Jakob Beurle fängt das Geschehen unmittelbar und ungeschönt ein. Die Länge (mehr als sechs Minuten) und Intensität der Szene sprengt die üblichen Grenzen. Sie ist schockierend, wird aber nicht des Effektes willen erzählt. Bonny nennt die Gewalt in seinem Film zu Recht ein „legitimes Mittel“. Sie diene „der Fortführung der Geschichte, der Auseinandersetzung der Figuren miteinander. Wenn es nur um den Schauwert geht, ist es blöd“.

Dominik Graf lobt Jan Bonnys „deutschen Dogma-Stil“
Ungewöhnlich: Dominik Graf, der große Stücke auf Jan Bonny hält, schrieb einen Gast-Beitrag fürs ARD-Presseheft zum Film. Darin erklärt er unter anderem, Bonny habe einen deutschen Dogma-Stil entwickelt. Graf attestiert ihm eine „sprunghafte, zerrissen-analytisch-tiefgehende Art“. Und insbesondere diese „Borowski“-Folge wird vom zehnfachen Grimme-Preisträger Graf mit vielen Vorschusslorbeeren ins Rennen geschickt: „Am ,Tatort‘ wird pausenlos herumgebastelt, die Reihe ist in ihrer Häufigkeit und ihrer Schauplatz-Inflation längst aus den Fugen geraten wie ein Mammut-Zirkus. Aber in seinem Kern gelingt ihm eben ab und an genau das, was kaum noch irgendwo im sonstigen Fernsehen und im deutschen Kino hinzukriegen ist, nämlich die mitreißende Freiheit des Genre-Erzählens. Und dies zur besten Sendezeit, das ist natürlich das Entscheidende. Man muss sich diese Freiheit jedoch auch nehmen. Die verantwortlichen Redakteure und Jan Bonny und Markus Busch haben das begeisternd, inspirierend getan.“

Tatort – Borowski und das Fest des NordensFoto: NDR / Christine Schroeder
Ein ungewöhnlicher Mord erfordert ungewöhnliche Methoden (und Positionen). Borowski (Axel Milberg) will es von Gerichtsmedizinerin Dr. Kroll (Anja Antonowicz) genau wissen.

Borowski spürt die Verzweiflung des Täters intuitiv
Wie in den beiden außergewöhnlichen Filmen mit Lars Eidinger („Borowski und der stille Gast“, „Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“) gibt es mit Roman Egger einen männlichen Antagonisten, der auf eine metaphysische Art mit dem Kommissar verbunden zu sein scheint. Borowski spürt die Verzweiflung des Täters intuitiv, scheint auch das Ende vorauszusehen. Außerdem ist der Kommissar selbst leicht neben der Spur, haust ebenfalls in einer halbleeren Wohnung, verhält sich grob und provozierend. Und trinkt zuviel. Hier sind die Anschlüsse in der Reihe etwas verrutscht. Das „Fest des Nordens“ sollte eigentlich nach der „Rückkehr des stillen Gastes“ ausgestrahlt werden, einer Folge, die Borowski existenziell forderte. Aus Gründen der „thematischen Aktualität“ (NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve) und weil das „Fest des Nordens“ im Umfeld der Kieler Woche im Juni gezeigt werden sollte, wurden aber zwei andere Folgen vorgezogen, so dass Borowskis ruppige Verhaltensweise weniger plausibel wirkt. Aber serielle Logik ist wohl nur für Hardcore-Fans von Bedeutung, und eine veränderte Reihenfolge mindert die Qualität des Films keineswegs.

Der Schnitt setzt Andeutungen und lässt Fragen offen
Zumal Bonny ohnehin nicht darauf aus ist, die Handlungsweisen und Motive der Figuren bis ins letzte Detail zu erklären. Eggers und Borowski seien „zwei Seiten einer Figur. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen den beiden Männern, doch wird sie nicht bis ins Letzte ausgedeutet. Ich halte es allgemein für Kokolores, dass die Figuren immer so eindeutig sein sollen“, sagt der Regisseur. Durch den Schnitt werden bisweilen nicht mehr als Andeutungen gesetzt, etwa in dem Flirt zwischen Ronny und Katrin, bei der er vorübergehend ein Zimmer gemietet hat. Einmal droht Borowski in einer brennenden Wohnung zu ersticken. Er bricht zusammen, aber nach dem nächsten Schnitt liegt er wundersamer Weise im Freien. Der Kommissar glaubt, Roman habe ihn gerettet. Dies erscheint wahrscheinlich, aber es gibt auch sonst keine Auflösung, die alle Fragen, die sich im Verlauf der Geschichte ergeben, beantworten würde. Was trieb Roman in den vergangenen Monaten? Wofür brauchte er die 40.000 Euro, die Maren für ihn organisierte? Wieso sind sie futsch? Was wollte er mit dem Sprengstoff, den er bei seiner alten Arbeitsstelle mitgehen ließ?

Tatort – Borowski und das Fest des NordensFoto: NDR / Christine Schroeder
Mal wieder ein ganz starker Antagonist in Kiel: Roman Eggers (Misel Maticevic)

Ein „Gespenst“ in einer gespenstischen Wirklichkeit
Damit bleiben zwar Lücken und Auslassungen, was viele diesem „Tatort“ mit seiner sprunghaften Dramaturgie womöglich verübeln werden. Dafür konzentriert sich der Film umso überzeugender aufs Wesentliche, auf die Tragödie eines unbeherrschten Mannes, den die Trennung von seinen Kindern aus der Bahn geworfen hat, der weiß, dass er gescheitert ist und sich in eine immer aussichtslosere Lage bringt. „Kiel ist zweigeteilt, in einen wohlhabenden und in einen ärmeren Teil, wo die Leute im Verborgenen vor sich hin leben und sich dem Blick von außen entziehen. Aus diesem Geistermilieu der gegenwärtigen neuen Armut entspringt unsere Täterfigur Roman Eggers. Er ist kein Gangster im klassischen Sinn, sondern ein einsamer Mann, geschieden, verschuldet, ohne feste Adresse, ein Gespenst“, erläutert Bonny. Ein „Gespenst“, das in eine authentisch wie gespenstisch inszenierte Realität gesetzt wird – mit leer stehenden Geschäfts- und Wohnkomplexen, die wie abgekoppelt wirken vom Trubel der Kieler Woche. Misel Maticevic gibt hier eine absolut preiswürdige Vorstellung, in seiner enormen physischen Präsenz ebenso wie in seinem präzisen Spiel. Bedrückend die unkontrollierten Ausbrüche von Gewalt, berührend die Begegnungen mit den Kindern, vor allem mit Romans ältester Tochter Luisa aus einer anderen Beziehung.

Ein Männer-Quartett erzählt vom männlichen Scheitern
Borowski ist ebenfalls einsam und „genauso beziehungsgestört“, wie Brandt ihm vorwirft. „Was wissen Sie über Geister?“, fragt der angeheiterte Kommissar zu Beginn etwas überraschend eine Kellnerin, der er auf eine unangenehme Art den Hof macht und mit der er dann einen feuchtfröhlichen Abend auf dem Rummel feiert. Eine wunderbar tragikomische Szene über die Sehnsucht eines älteren Mannes, erst knapp, dann meilenweit am Fremd-Schämen vorbeiinszeniert. Ungewöhnliche, scheinbar nebensächliche Episoden wie diese sind es, mit denen Bonny und Autor Markus Busch die Handlung und die Horizonte der Figuren erweitern. Das Drehbuch beruht nicht zum ersten Mal auf einer Vorlage von Henning Mankell, die wiederum von Nils Willbrandt bearbeitet worden war. Ein Männer-Quartett also, das in diesem Film ziemlich schonungslos vom männlichen Scheitern erzählt. Dazu zählen ja auch das Selbstmitleid und die Neigung, die Schuld vor allem bei den Frauen zu suchen. Borowski benimmt sich gegenüber Tamara wie der persönliche Anwalt ihres Ex-Mannes Roman.

Tatort – Borowski und das Fest des NordensFoto: NDR / Christine Schroeder
Kieler Woche – das Segelfest ist zur Dauerkirmes geworden. Selbst der distanzierte Borowski (Axel Milberg) blüht regelrecht auf. Völlig losgelöst. Und der Wein fließt flaschenweise.

Sarah Brandt wird einfach nicht mehr da sein – leider
Sibel Kekilli spielt das weibliche Gegengewicht im Kieler Gender-Krieg ebenfalls leicht reizbar. Aber Brandt ist auch die akribische, zupackende Ermittlerin, die den Fall voranbringt und zum Beispiel gegen Borowskis Willen eine Großfahndung nach Roman durchsetzt. Es kracht gewaltig in dem Gespann, ein letztes Mal. Man rempelt sich an, beschimpft sich („blöde Kuh“, „ich mach Sie fertig“, „verschwinden Sie aus meinem Leben“). Das wirkt kalkuliert, aber eigentlich sollte diese Folge ja gar nicht die letzte sein mit Sibel Kekilli. Die Schauspielerin wollte keine „Abschieds-Folge“, Brandt wird im nächsten Film einfach nicht mehr da sein. Nach diesem Finale wirkt das sogar plausibel. (Text-Stand: 30.5.2017)

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Reihe

NDR

Mit Misel Maticevic, Axel Milberg, Sibel Kekilli, Franziska Hartmann, Ronald Kukulies, Maureen Havelna, Thomas Kügel, Anja Antonowicz, Pit Bukowski, Lilly Barshy, Katja Danowski

Kamera: Jakob Beurle

Szenenbild: Christine Caspari

Schnitt: Andreas Menn

Musik: Antonia de Luca, Caroline Kox, Lukas Croon

Produktionsfirma: Nordfilm Kiel

Drehbuch: Markus Busch – nach einer Vorlage von Henning Mankell in Bearbeitung von Nils Willbrandt

Regie: Jan Bonny

Quote: 6,11 Mio. Zuschauer (22,2% MA)

EA: 18.06.2017 20:15 Uhr | ARD

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