Die Kollegen von Franz Markowitz sind entsetzt: Die polnische Polizei hat ein Foto seiner Leiche geschickt. Zur großen Erleichterung entpuppt sich die verblüffende Ähnlichkeit mit dem offenbar nach einem heftigen Sturz ums Leben gekommenen Mann als eine Laune der Natur, aber Markowitz will der Sache auf den Grund gehen. Seine Ermittlungen führen ihn die ehemals Ostberliner Oranienburger Straße. Dort hatten die Polen, die die Leiche auf ihrem Laster gefunden haben, Möbel aus einem zum Abriss vorgesehenen Haus abtransportiert. Der Tote war ein Tischler, der kurz zuvor viel Geld in die Modernisierung seines Betriebs investiert hatte, aber nun vor dem Bankrott stand, weil die Miete astronomisch erhöht worden ist.
Der 1993 erstmals ausgestrahlte Film behandelt mit der Gentrifizierung ein Thema, das heute so aktuell ist wie damals, auch wenn die Rahmenbedingungen zu Beginn der Neunzigerjahre natürlich völlig andere waren. „Berlin – beste Lage“ ist nach „Moebius“ die zweite Regiearbeit des mittlerweile mit den wichtigsten TV-Preisen gleich mehrfach geehrten Matti Geschonneck (Grimme-Preise für „Die Nachrichten“, „Liebesjahre“ und „Das Ende einer Nacht“). Heute würde er den Film vermutlich etwas straffer inszenieren, aber eine lange Einstellung zu Beginn, als er Lamprecht wie einen Tourist in aller Ruhe durch die trostlose Oranienburger Straße schlendern lässt, ist auf diese Weise zu einem Zeitdokument geworden, weil sich die Gegend in den letzten 25 Jahren komplett verändert hat; die Oranienburger Straße hat sich zu einer der beliebtesten Berliner Flaniermeilen gewandelt. Markowitz taucht tief in eines dieser typischen Berliner Hinterhofmilieus ein, wo sich ihm alle Türen öffnen, weil er dem toten Tischler wie ein Zwillingsbruder gleicht; allein diese Idee ist schon originell.
Ganz ausgezeichnet gelungen ist auch die Verknüpfung des Themas mit der Ermittlungsebene. Gerade in den Sonntagskrimis der ARD werden die Botschaften meist allzu ostentativ betont, weil sich die Protagonisten über die angeprangerten Missstände echauffieren. Geschonneck und sein Koautor Rainer Berg („Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“) bringen ihr Anliegen dagegen allenfalls beiläufig zur Sprache. Es genügt völlig, dass Markowitz – und mit ihm die Zuschauer – die Missstände als Beobachter zur Kenntnis nimmt. Dass den an ihren Zweireihern zu erkennenden „Wessis“ dabei die Rolle des Buhmanns zukommt, lässt sich kaum vermeiden: Printz, der Besitzer des Gebäude-Komplexes, hat sich mit einem Westberliner Immobilienhändler eingelassen, der die Häuser abreißen und stattdessen Einkaufspassagen und Büros errichten will; die alten Mieter müssen weichen. Am Ende gehört jedoch selbst der vermeintliche „Wende“-Gewinner Printz zu den Verlierern. Mit großer Eleganz führen Geschonneck und Berg schließlich ein weiteres, noch größeres Thema ein, als Markowitz herausfindet, dass der Komplex bis 1938 einer jüdischen Familie gehörte.
Mit Ausnahme zweier winziger Auftritte von Katrin Saß und Jenny Gröllmann ist die Besetzung aus heutiger Sicht weitgehend unbekannt, was aber gar nichts macht, weil der Film ohnehin auf Lamprecht zugeschnitten ist. Damals war es noch relativ einfach, einen neuen Kommissar-Typus zu entwickeln, aber der meist unrasierte Markowitz, bevorzugt mit Hut, Weste und Trenchcoat bekleidet und ein zelebrierender Genussraucher, wäre immer noch eine Marke. Volksschauspieler Lamprecht muss sich nicht verstellen, wenn Markowitz auf Augenhöhe mit einfachen Leuten spricht, was auch erklärt, warum die Menschen nicht nur in „Berlin – beste Lage“ rasch Vertrauen zu ihm fassen; aber natürlich kann der Hauptkommissar, dessen kleine Augen meist freundlich und manchmal verschmitzt blicken, auch anders. Lamprecht war schon in den früheren Markowitz-Episoden sehenswert, doch mit Geschonneck hatte er einen kongenialen Partner gefunden. Oft sind es die ganz kleinen Momente, die der Figur große Tiefe verleihen, etwa als Markowitz in der Tischlerei mit einem versonnenen Lächeln an einer Handvoll Sägemehl schnuppert. Noch größere Befriedigung verschafft ihm allerdings der Schluss, als es ihm gelingt, dem unsympathischen Immobilienhändler einen fetten Strich durch die Rechnung zu machen. Das letzte Bild zeigt einen Gedenkstein, vor dem Markowitz kurze innehält. Das Mahnmal erinnert an die Deportation der Juden; fünfzig Jahre früher wäre der Kommissar womöglich ein Gerechter unter den Völkern gewesen. Abgerundet wird Geschonnecks entspannte Inszenierung durch einen ausgesprochen lässigen Jazz von Ulrich Gumpert. (Text-Stand: 24.7.2017)