Ein toter Stadtstreicher am Pleiße-Ufer. Ertrunken? Selbstmord? Oder hat da jemand nachgeholfen? Der Stadtteil, in dem der Tote gefunden wurde, gehört zu den Vorzeigevierteln von Leipzig. Alles sauber. Keine Obdachlosen auf den Straßen. Nur ehrenwerte Bürger. In dieser scheinheiligen Atmosphäre zu ermitteln ist nicht ganz leicht für Ehrlicher und Kain im heutigen “Tatort“. Da kann man durchaus schon mal “Außer Kontrolle” geraten.
Besonders Kain hat guten Grund dazu. Der Tote war ein Schulfreund von ihm. Sie hatten sich aus den Augen verloren. Der Polizist wusste aber, dass es seinem “Eddie” in letzter Zeit nicht allzu gut ging. Kains Wut richtet sich also nicht nur gegen die braven Spießbürger, die seinen Kumpel, wie er meint, auf dem Gewissen haben, sondern auch gegen sich selbst. Ein übersensibler Kommissar und ein Viertel, in dem das Leben eines Stadtstreichers nicht viel zählt – das sind keine idealen Voraussetzungen für eine Ermittlung. Und so findet Ehrlicher Ermittlungshilfe im Archiv. Der undurchsichtige Streifenpolizist Lohner, “ein richtiger Held der Arbeit”, gerät ins Zwielicht. Er ist der neue Lebenspartner der Frau des Toten.
Einen Krimi über ehrbare Bürger, die von Verantwortung reden und daraus das Recht zur Selbstjustiz ableiten, hat Drehbuchautor Stefan Kolditz geschrieben. Der übermotivierte Kain, der am Ende sogar selbst in Lebensgefahr gerät, ist das Herzstück dieses politisch korrekten “Tatorts”. Seine Gefühle übertragen sich auf den Zuschauer. Da muss der klarsichtige Ehrlicher eingreifen und auch für die maßvollen Saubermänner Verständnis zeigen. “Ach, irgendwie kann ich ihn schon verstehen”, kommentiert dieser den Traum eines Apothekers vom sauberen Viertel. Will man jene Saubermänner nicht als Zuschauer vergraulen?
Ein Viertel, ein Thema, viel Emotion und ein großes Finale – “Außer Kontrolle” ist ein dicht erzählter Krimi geworden, der auf vielen Ebenen Spannung verspricht. Gemäßigt modern erzählt von Olaf Kreinsen und stimmig besetzt mit Schauspielern wie Oliver Stritzel, Anne-Marie Bubke oder Maximilian Pfaff ist es ein “Tatort”, der es nicht nur gut meint, sondern der auch recht gut gemacht ist. (Text-Stand: 11.5.2003)