Verwaschene Bilder, eine weinende Frau, eine männliche Stimme, die sie unter Druck setzt und ihre Schuld beschwört. Kurz nach dieser Eingangsszene stürzt sich Amira Hassan in den Tod. Eigentlich ist das kein Fall für Kommissarin Berlinger (Heike Makatsch). Wäre da nicht der dringende Verdacht, dass ein Stalker Amira Hassan in den Tod getrieben hat. Berlinger hört sich alles geduldig an. Die stammelnden Worte des Streifenpolizisten Engels (Andreas Döhler), der das Unglück hat kommen sehen, und die Vermutungen des ihr neu zugeteilten Kollegen Wagner (Ludwig Trepte), der Engels für verdächtig hält. Mit dem Personal ist das übliche Hierarchiegerangel zwischen Mordkommission und Streifendienst schon angelegt. Zum Glück reitet der „Tatort – Aus dem Dunkel“ nicht lang darauf herum. „Ihr Fall, ihr Sandkasten, ihre Förmchen“, bringt es Engels auf den Punkt. Einer dieser Sätze, die den etwas ungelenken Beamten sympathisch machen. Kurz und schmerzlos baut Jürgen Werner, Stammautor für die Teams in Köln und Dortmund, auch das Fehlen von Berlingers Partner Rascher (Sebastian Blomberg) ins Drehbuch ein. Rascher ist nicht aus dem Urlaub zurückgekommen und kommt scheinbar gar nicht zurück. Es gibt ein knappes Telefonat und ein letztes Glas Wein, mit dem Berlinger die Wut über den nahezu wortlosen Abgang hinunterschluckt. Dann ist der Kollege vergessen. Dieser „Tatort“ tauscht das männliche Personal so lautlos wie möglich aus. Im Zentrum bleibt Heike Makatsch alias Ellen Berlinger.
Foto: SWR / Peter Porst
Makatschs Figur ist im fünften und letzten Einsatz ausgelichtet. Während Berlingers Seelenleben und ihre inneren Nöte als alleinerziehende Mutter in den vorangegangenen Fällen („Tatort – Zeit der Frösche“, 2018, „Tatort – Blind Date“, 2021) eine gewichtige Rolle spielten, fallen diese Bezüge im aktuellen Fall weg. Kein Kind, keine Männer, nur zwei kurze Szenen mit Cousine Maja (Jule Böwe), die Berlingers private Bezugsperson in Mainz bleibt. Stärkste Figur neben Berlinger ist der von Andreas Döhler zurückhaltend gespielte Streifenpolizist Thomas Engels. Döhlers Spiel verwandelt den Part in eine Charakterstudie und lädt den Zuschauer ein, Gezeigtes und Verborgenes zu einem Leben zusammenzusetzen. Eine Einladung, die Berlinger sofort und ohne jedes Misstrauen annimmt. Der Unterschied spiegelt sich in Kameraeinstellungen. Während Berlinger und der neue Kollege in der Mordkommission offensichtlich nicht an einem Schreibtisch sitzen, stecken die Kommissarin und der Kollege vom Streifendienst beim Gespräch die Köpfe zusammen, wirken im informellen Austausch – oft draußen, an öffentlichen Orten – von Anfang an vertraut. Die Gegenbilder zu dieser, sich selbstverständlich entwickelnden Ermittlungsarbeit liefern Alleingänge in den Wohnungen des Opfers, eines Verdächtigen oder der aktuell von einem Stalker bedrohten Julia Ritter (Susanne Wuest). Hinter Gardinenverhangenen Fenstern und im Licht ihrer Stablampe kommt Berlinger dem IT-Mitarbeiter Daniel König (Matthias Lier) auf die Spur. Noch so einer aus der Mainzer Polizeitruppe, dessen verquere Männerpsyche Böses ahnen lässt. Der IT-Profi als krankes Mastermind, das passt zu den im Verlauf der Handlung eingestreuten Bildern, die aus der (Kamera-)Sicht eines geheimen Beobachters stammen.
Foto: SWR / Peter Porst
Besonders spannend ist dieser „Tatort“ dabei nicht. Wie nicht schwer zu erahnen, endet das Tappen im Dunkeln vor einer Fotowand, an der die bisherigen Opfer in schöner Übersichtlichkeit aufgereiht sind. Zu dumm, wo ihr Stalker das digitale Pendant auf dem Computer doch extra gelöscht hat. Und natürlich kommt Berlinger in letzter Minute auch auf den Ort, an dem Julia Ritter ihr Leben lassen soll. Das Tätertrauma weist den Weg. Überzeugend nachvollziehbar ist weder dieses Trauma noch die Tatsache, dass sich eine selbstständige Frau wie Julia Ritter durch Drohanrufe und eine tote Katze binnen Tagen in ein zitterndes Psycho-Wrack verwandelt.
Mit „Aus dem Dunkel“ verabschiedet sich der SWR vom „Tatort“ Mainz und von Heike Makatsch als Ermittlerin Ellen Berlinger. Es bleiben Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in Ludwigshafen, Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) in Stuttgart sowie Berg (Hans Jochen Wagner) und Tobler (Eva Löbau), die die Mordkommission in Freiburg und die Region Schwarzwald 2018 von Makatsch übernommen haben. Es bleibt also die „Klassikerin“, ein Team, das, sorgfältig von Drehbuchautor Holger-Karsten Schmidt ersonnen, auch auf der horizontalen Erzählebene überzeugt und zwei Kindsköpfe, die dem „Tatort“ einen Hauch von Independent-Kino verleihen können, wenn man sie lässt. Es ist nachvollziehbar, dass in dieser Melange die seltener ausgestrahlten und ungeschickterweise dann noch als „Event-Tatort“ (ist der mehr wert?) angekündigten Fälle mit Heike Makatsch ins Wanken gerieten. Die Regie im letzten Fall übernahm Jochen Alexander Freydank, der 2009 den Oscar für seinen Kurzfilm „Spielzeugland“ erhielt und mit dem Höhlendrama „Riesending – Jede Stunde zählt“ 2022 einen mitreißenden Zweiteiler schuf. In seinem dritten Tatort setzt Freydank die im Umbau befindlichen Räume des Kommissariats in Szene. Dicke Plastik-Plane begrenzen die Sicht und decken Hintergründe ab. Es wirkt, wie eine Reminiszenz daran, dass der Makatsch-„Tatort“ eine Baustelle war und bis zum Ende blieb. (Text-Stand: 11.9.2023)