Drei moderne Frauen ermitteln in einer tödlich gut gelaunten Männerwelt
Die Schlagershow „Hier spielt die Musik“ steht unter keinem guten Stern. Bei den Proben zum Open-Air-Event vor dem Dresdner Zwinger liegt neben den branchenüblichen Schnapsleichen ein echter Toter in den Kulissen: Volksmusikant Toni Derlinger, der mit seiner Frau Tina (Alexandra Finder) seit Jahren nur noch die Hardcore-Schunkelgemeinde beglückt. Doch die Show muss weitergehen. Zum Leidwesen von Rollo Marquardt (Hilmar Eichhorn), dem Manager des Toten, ein Mann vom alten Schlag, der sichtlich erschüttert scheint, allerdings bald zu den Hauptverdächtigen zählt. Nicht weniger seltsam benehmen sich die feierfreudigen Volks-Rock’n’Roller von der Gruppe Herzensbrecher, inklusive ihres windigen Managers Maik Pschorrek (Andreas Guenther). Aber auch ein reichlich verpeilter Fan (Michael Specht) gehört bald zum Kreis der Verdächtigen. Kein leichter Fall für die zwei Oberkommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski), weil sie in einer ihnen doppelt fremden Welt ermitteln: Da sind die Schlagerfuzzis mit ihren Allüren, den falschen Biographien und dieser schrecklichen Musik und da ist eine Parallelwelt, in der nach außen ganz die Männer das Sagen haben – und Frauen nur hübsch lächeln dürfen. Dabei sind die beiden in Sachen Welt von gestern mit ihrem Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) doch schon genug gestraft. Ihre gelegentlich allzu forsch nach vorne preschende Polizeianwärterin Maria Magdalena Mohr (Jella Haase) ist ihnen nicht immer eine Hilfe, wenn es gilt, die überkommenen männlichen Vorurteile gegenüber Frauen am Arbeitsplatz auszuräumen. Zwar hat sie einen guten Riecher, bringt sich dadurch aber in große Gefahr.
Foto: MDR / Andreas Wünschirs
Zeitgemäßes weibliches Ermitteln & ein Chef der alten Schule als Bremsklotz
Zwei Kommissarinnen in vorderster Ermittlungsfront sind selten im deutschen Fernsehen: Es gab „Doppelter Einsatz“ (1994-2007) von RTL und im ZDF „Das Duo“ (2002-12). Jetzt dürfen Alwara Höfels („Sturköpfe“) und Karin Hanczewski („Meuchelbeck“) im neuen „Tatort“ aus Dresden den Männern zeigen, wie weibliches Ermitteln in den 2010er Jahren aussehen kann: geradlinig und selbstbewusst, schnell im Kopf und genauso schnell mit den Beinen. Die Akteure: zwei sympathische, „normale“ Frauen, ohne große Marotten, dafür die eine mit einem Freund auf Abruf und die andere mit einem halbwüchsigen Sohn. Erfreulicherweise geht es bereits in der Auftaktepisode „Auf einen Schlag“ ganz ohne Zickenkrieg ab. Die attraktiven Heldinnen, die eine impulsiv und gefühlsbetont, die andere eher kühl und etwas kantig, pflegen hingegen einen wohlwollenden, fast freundschaftlichen Umgang miteinander. Sie unterscheiden sich allenfalls in der Einschätzung von Polizei-Anwärterin MMM und in der jeweiligen Beurteilung des Privatlebens der anderen. Absolut einig sind sie sich dagegen, was ihren Chef betrifft: Vieles, was der sagt und denkt, geht für sie gar nicht; sie zeigen ihm das auch, machen daraus aber keine große feministische Welle. „Herr Schnabel, kommen Sie doch langsam mal in unserem Jahrhundert an, bitte“, wirft allenfalls mal Höfels Kommissarin ein. Im Vordergrund steht für beide Frauen das Ermitteln – und da sind sie ohnehin flinker als der Mann von gestern, der eher seinen PC schrottet, als dass er sachdienlich zum Fall beitragen könnte. Martin Brambach als politisch unkorrekter, deutlich isolierter Kommissariatsleiter („Neger im Kohlenkeller“) gibt wunderbare Miniaturen dieses Typus, der die gute alte Zeit herbeisehnt, als nur Männer im Team waren und als noch viel mehr gelacht wurde. Über Sätze wie „Frau Mohr kann den Neger noch ein bisschen heller ziehen“ hätten sich die Kollegen wahrscheinlich genauso kringelig gelacht wie Schnabel selbst, der damit vor allem die ernsthafte Ermittlungsarbeit der drei Frauen behindert (anhand eines Fotos wollen sie einen Tatverdächtigen feststellen), den Unterhaltungswert des Films indes beträchtlich steigert. Eine typische Brambach-Szene (sie erinnert an seine komische Nummer in „Schade um das schöne Geld“). Aber der Chef, der zu Kurzschlüssen neigt und eine gewisse Nähe zu jenen „Man-darf-doch-wohl-mal-sagen“-Zeitgenossen zeigt, kann auch anders: beispielsweise einem Tatverdächtigen wie von Sinnen an die Gurgel gehen. Ob als komischer Sidekick mit dem Handy-Klingelton „Ich hab die gute Laune im Gepäck“ oder als unberechenbarer Wutbürger: Schnabel/Brambach belebt das Dreimäderl-Kommissariat enorm.
Foto: MDR / Andreas Wünschirs
„Schlager und Volksmusik sind die letzten Bastionen, in denen die Welt noch friedlich ist, das Glück ewig und der Himmel schlicht blau und frei von Klimawandel. Hier kann man Probleme einfach wegjodeln.“ (Ralf Husmann)
Witz, Ironie, Gesellschaftskomödie versus Whodunit, Mord, Kriminalfilm
Das Milieu müsste dem rückständigen Chef Rückendeckung geben, aber auch in der Volksmusikszene, so wie sie Autor Ralf Husmann („Stromberg“ / „Dr. Psycho“ / „Vorsicht vor Leuten“) in diesem „Tatort“ darstellt, ist die Welt längst nicht mehr in Ordnung. Die vermeintliche Hochburg der (n)ostalgischen Glückseligkeit entpuppt sich als Mikrokosmos der Affären, Alkoholexzesse und einer gnadenlosen Geschäftemacherei. Die Szene der freudestrahlenden Sangesbrüder ist ein dankbarer Gegenstand für den Meister der Gesellschaftskomödie, der den Krimi allerdings nie vollständig in die Satire kippen lässt, der die Figuren überzeichnet, aber nicht zu Karikaturen macht. Die Stimmungen in der Schwebe zu lassen und den Krimi quasi durch Witz und Ironie zu beflügeln, ist eine größere Kunst, als komödiantisch lauthals Krach zu schlagen. So werden mit feiner Selbstironie Dresden und das „scheene“ Sachsenland in Bild und Ton („Die schönsten Mädchen kommen aus Sachsen“) bedacht. Ein Höhepunkt ist eine Verfolgungsjagd auf einem Elbdampfer während einer Stadtrundfahrt: Mörderjagd mit Touristeninfos über Dresden und dazwischen ahnungslose Ausflügler! Mit einem kräftigeren Pinselstrich überzogen wird dagegen das volkstümliche Schlagermilieu mit seinen falschen Versprechungen (desillusionierend versinnbildlicht im Vollplayback) und dem derben Treiben hinter den Kulissen. „Das ist Marco und er singt seinen größten Hit“, kommentiert ein Schlagersternchen mit wenig Stimme, dafür genrebedingt reichlich Holz vor der Hütt’n die Kotzgeräusche eines Kollegen. Die Schlagertexte hat Husmann eigens für den Film geschrieben; komponiert haben Francesco Wilking und Patrick Reising („Stromberg“), die einst guten Pop mit ihrer Band Tele („Mario“) machten. Die Songs sind weniger Parodie und könnten durchaus in einer der Volksmusiksendungen des MDR präsentiert werden. Es ist schon erstaunlich, wie viel Selbstironie der Sender aufbringt.
Foto: MDR / Andreas Wünschirs
„Ich hatte ein paar Mal Kontakt zur Schlager- und Volksmusikwelt und da ging’s am Wildesten zu, wurde am meisten gesoffen und war es am nächsten am Rock ‘n‘ Roll. Gleichzeitig gibt’s da auch unheimlich viele traurige Gestalten. Ich hoffe, dass das ein gutes Umfeld ist, um echte Brutalität zu erzählen, die vor dem Hintergrund einer heiteren Musik sofort skurril wirkt.“ (Ralf Husmann)
Die spielerische Note dominiert – doch der Wutbürger linst schon um die Ecke
Der „Tatort“ Dresden ist Ergebnis einer Ausschreibung. Dasselbe Prinzip hat dem Sender beim Jungspund-„Tatort“ aus Erfurt wenig Glück gebracht. „Auf einen Schlag“ gibt dagegen ein Versprechen, das bisher so noch kein „Tatort“ des Senders zum Start geben konnte. Die Konstellation der toughen Frauen mit einem verunsicherten Macho-Chef besitzt sehr viel mehr Potenzial als beispielsweise die Ausgangsidee von Keppler/Saalfeld alias Wuttke/Thomalla: ein Ex-Paar ermittelt gemeinsam. Das mag für eine Serie wie bei „Akte Ex“ oder „Letzte Spur Berlin“ taugen, für eine Reihe aber erwies sich die Idee als dramaturgische Sackgasse. Da ist „die Geschlechterdebatte“, wie MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi eine der Konzeptideen nennt, sehr viel gelungener. Auch WIE die Generationenfrage ins Spiel kommt, vor allem augenzwinkernd, das unterscheidet sich äußerst positiv vom „Polizeiruf 110“ der Onkels Schmücke & Schneider, denen man kurz vor der Pensionierung einen heißen Feger ins Kommissariat setzte. In dieser Konstellation spiegelt sich ein bisschen die Gratwanderung, die das ARD-Krimiflaggschiff vollbringen muss: Whodunit für die Älteren, Tempo und Ironie für die Jüngeren. Das Auffälligste im Gegensatz zu den „Tatort“-Vorgängern des Senders ist die leichte Hand, mit der Husmann und Regisseur Richard Huber („Tatort – Der Irre Iwan“) in „Auf einen Schlag“ zur Sache gehen. Die Lockerheit und Beiläufigkeit, mit der hier die verschiedenen Mentalitäten der Charaktere, die Dialoge und die Genre-Tonlagen verbunden werden, ist die große Qualität dieses „Tatorts“. Diese spielerische Note zieht sich durch alle Gewerke bis hin zu Höfels, Hanczewski, Haase und Brambach. Dieser Film macht Spaß und setzt das Genre nicht unter übersteigerten Realitätsdruck. Der Wutbürger bekommt zwar noch kein politisches Gesicht, aber indem Husmann die simplen Sehnsüchte reflektiert, linst der kleine Mann von der Straße schon mal um die Ecke. Von „Polizeistaatsmethoden“ ist schon die Rede; vielleicht heißt es ja bald „Lügenpolizei“. (Text-Stand: 20.2.2016)