Aktenberge, wohin das Auge blickt. Dazwischen versucht sich Franziska Tobler (Eva Löbau) zu konzentrieren. Was sie am Tatort vorfindet, lässt nur einen Schluss zu: Der Anwalt Tobias Benzinger (Jan Liem) wurde mit einem gezielten Kopfschuss hingerichtet. Toblers Kollege Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) ist schon unterwegs und folgt einem Verdacht. Wie in den bisherigen Freiburg-Fällen etabliert, ignoriert der impulsive Berg die Vorschriften dort, wo Eile geboten ist. Das ruft auch diesmal das LKA auf den Plan, führt in Freiburg aber nicht zu endlosen Streitereien zwischen den Ermittlern. Tobler und Berg sind sich schnell wieder einig. Auch das Finale von „Ad Acta“ bestätigt: Die beiden sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Im Schwarzwald ermittelt man bodenständig, folgt festen Vorstellungen von Recht und Unrecht und spricht, wo es sinnvoll ist, Dialekt.
Rainer Benzinger (August Zirner) bevorzugt amtsdeutsch. Als Kanzleichef und Stiefvater des Mordopfers steht auch er unter Verdacht. Mit leicht schleppendem Gang, Pokerface und Otto-Schily-Frisur, die der Figur etwas Mönchhaftes verleiht, gibt August Zirner („Ein ganzes Leben“, ab 1.10. im Vierteiler „Herrhausen – der Herr des Geldes“) einen sehr verschlossenen Charakter. Offensichtlich verfolgte der ermordete Tobias Benzinger eine andere Strategie. Er wollte reden. Während sich der alte Benzinger während der Ermittlungen gegen jede Anschuldigung sperrt, erweist sich Franziska Toblers Vater (Michael Hanemann) als hilfreich. Viele Fälle und erwirkte Urteilssprüche der Kanzlei sind ihm aus seiner aktiven Zeit als Polizist bekannt. Milde Urteile, schwer nachvollziehbare Freisprüche, aber nichts wirklich Kriminelles, so sein Kommentar.
Im Lauf der Ermittlungen taucht „Tatort – Ad acta“ in die unterschiedlichen Lebenswelten der Akteure ein. Ockergelb und vom Sonnenlicht abgeschirmt das Wohnzimmer des an Krebs erkrankten Bruno Tobler, (gift)grün die septische Umgebung in der Kanzlei, in warmen Rottönen dagegen eine Szene, die in der Rückblende an das private Glück zwischen Tobias Benzinger und seinem Mann erinnert. Neben der sorgfältig austarierten Farbdramaturgie unterlaufen manche Bildtechniken den Realismus des Darsteller-Duos Tobler und Berg. Wie schon im Stuttgarter Fall „Videobeweis“ (2022) arbeiten Regisseur Rudi Gaul und Kameramann Stefan Sommer mit Parallelmontagen, Spiegelungen und Überblendungen. Auf der Soundspur übernimmt bei drohender Gefahr das Experimentelle. Während zweier Anschlagsversuche auf Benzinger-Senior schlägt eine Kakophonie aus Streichern und Synthie-Klängen akustisch Alarm.
Autor Bernd Lange („Das Verschwinden“, „Das Netz – Spiel am Abgrund“) schrieb schon die hochgelobte Freiburger Auftaktfolge „Goldbach“ (2017). Sein aktuelles Drehbuch thematisiert Tricks und Fallstricke im juristischen Prozess. An der Seite von Franziska Tobler führt „Tatort – Ad acta“ vor, mit welcher kalten Routine juristische Zweifel aus dem Weg geräumt werden, um einen Fall abzuschließen. Damit reflektiert der Film grundlegende Fragen zu Moral und juristischer Verantwortung in Zeiten des Personal- und Geldmangels. Mit den Worten von Richterin Stefanie Wirtz (Theresa Berlage) gesagt: Es geht nicht um Gerechtigkeit, sondern um Schadensausgleich. Die Folgen eines Fehlurteils tragen die Angehörigen und – wenn´s schlecht läuft – die Polizei. Autor Lange packt das Dilemma in zwei zentrale Sätze. Ermittler Bergs Stoßseufzer „Wir kommen einfach immer zu spät“ und Bruno Toblers Lehre aus einem langen Polizistenleben: „Man verliert doppelt, wenn der Täter ein Opfer ist.“ Die Moral von der aktuellen Geschichte: Einigkeit vorausgesetzt, können Ermittler ein Stück Gerechtigkeit zurückerobern. Blinde Flecken gibt’s eben auch bei der Kripo. Zumindest im „Tatort“.