„Bei mir geht’s eher weiter, aber nicht bergauf.“ Frank (Michael A. Grimm), gerade 50 geworden, ist keiner jener Männer, die Karriere machen. Die Midlife-Krise kommt aber auch ohne das große Geld. Außerdem sorgen Ehefrau Katrin (Eva Meckbach) und die ihn ständig triezende Schwiegermutter (Gaby Dohm) dafür, dass es Frank nach einem Herzinfarkt nicht gerade besser geht. Und dann ist da ja noch ein weiterer Problemfall in der Familie: die aggressiv pubertierende Tochter Paula (Lilith Kampffmeyer). Gegen all das ist die Arbeit geradezu Gold; obgleich sich der gelernte Bankkaufmann derzeit als Pförtner in einem Theater durchschlagen muss. Als dort eine Tangotanzgruppe probt, entdeckt der auf Diät gesetzte Brotzeitfan plötzlich die Faszination, die von diesem fremdartigen Tanz, der magischen Musik, den coolen Tänzern und schönen Tänzerinnen ausgeht. Er sieht zwar nicht gerade aus wie ein rassiger Tangero, aber was soll’s!? So nimmt er heimlich Unterricht bei Tangolehrerin Maresa (Kara Wenham). Und Frank hat Talent. Je besser er wird, umso mehr erliegt er dem Zauber dieses Tanzes. Der Tango verändert ihn. Die Körperhaltung schlägt auf sein Inneres durch. Dumm nur, dass seine bessere Hälfte diese neue Leidenschaft als unvernünftigen Egotrip abtut. „Vielleicht willst du ja einen letzten Tanz tanzen und dann sterben.“
Foto: BR / Hendrik Heiden
Midlifecrisis hin oder her – Der Fernsehfilm „Tanze Tango mit mir“ übernimmt in Bezug auf „die neue Liebe“ des lange Zeit stoisch alles ertragenden (Anti-)Helden nicht die pragmatisch-kleinmütige Haltung von Freunden und Familie. Gut ist, was guttut. Und dieser Tanz und sein Ambiente tut diesem Mann, der es bisher allen immer nur recht machen wollte, richtig gut. Endlich was Eigenes. Es muss ja nicht das Loriotsche „Jodeldiplom“ sein. Aber etwas, was den Erfordernissen des Alltags enthoben ist. Denn im Gegensatz zur Schwere, die auf Franks Leben und dem seiner Familie lastet, herrscht in der Welt des Tangos eine spielerische Leichtigkeit. Im Tanz wird der Held für Minuten zum Entscheider, zum Ästheten, zu einem Meister. Vier Schritte, der Rest liegt ganz bei einem selbst. „Die Königin wurde geführt und berührt“, heißt es im Film. Dabei geht es nur bedingt um Erotik, allenfalls um die Erotik der Bewegung. Die Sinnlichkeit des Tangos kommt filmisch durch ästhetische Einstellungen von Blicken, Beinen, Bewegungen und rasanten Schnitt zwar wirkungsvoll zum Ausdruck, aber für die Geschichte dominiert die Sinnhaftigkeit. Der Tango ist nur eine Möglichkeit, aus den eingefahrenen Bahnen des Berufs- und Familienlebens auszubrechen. Eine Metapher für ein Anders-Leben-Wollen der Hauptfigur. Dabei wird der Tango behandelt wie eine Geliebte oder eine neue Liebe. „Ich weiß auch nicht, wie’s passiert ist“, gesteht Frank zur Halbzeit des Films noch kleinlaut. Andere beschreiben häufig mit diesen Worten den Beginn einer Affäre.
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Tanze Tango mit mir“ wandelt erfreulicherweise nicht auf allzu ausgetretenen dramaturgischen Spuren. Weder tanzt sich hier einer banal und selbstfindungsgeschwängert aus der Krise, noch wird der „Herzkasper“ in der Handlung ein zweites Mal bemüht. Der Verzicht auf eine tragische 08/15-Wendung, obwohl doch immer wieder betont wird, dass sich der übergewichtige Frank nicht überanstrengen darf, ist vielleicht das größte Verdienst des Drehbuchs von Peter Güde („Jürgen – Heute wird gelebt“) und Matthias Fischer. Gefeiert wird dafür umso mehr der Eigen-Sinn der Hauptfigur. Gesundheit und Freude müssen sich – allen ärztlichen Prognosen zum Trotz – eben nicht unbedingt ausschließen. Der Alltag ist die Erzählfolie für diesen märchenhaften Aufbruch eines kleinen Mannes, der eher etwas träge in den Hüften ist. Gerade das aber macht besonders Laune. Und so wird aus dem leicht verunsicherten Gatten ein Mann, der über eine veränderte Körpersprache ein neues Selbstverständnis erlangt, im Tangoschritt quasi ein Mann mit Format wird. Nur seine Katrin merkt es erst spät. Wenn schon alle von ihm genervt sind, dann könne er gleich das machen, worauf er Lust habe, sagt er sich. Dabei verkennt er allerdings, dass es durchaus eine Steigerung von Genervt-Sein geben kann – und so fliegt er zwischenzeitlich zuhause raus.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Die dezenten Brüche in der Geschichte setzen sich in der Besetzung fort: Michael A. Grimm, früh von allen Verantwortlichen als Hauptdarsteller gesetzt, drehte in den letzten zwanzig Jahren viel, sehr viel: über zehn Jahre „Rosenheim Cops“ und „Soko Kitzbühel“ oder 400 Fol-gen der bayerischen Daily „Dohoam is Dahoam“. Die Rollen meist klein, doch Grimm ist einer, der einem dennoch in Erinnerung bleibt: markantes Gesicht, wuchtiger Körper, bayerischer Zungenschlag – und ein paar größere Rollen in Klasse-Filmen wie „In aller Stille“ (2010), „Die Seelen im Feuer“ (2014) oder „Schwartz & Schwartz – Der Tod im Haus“ (2019) waren auch dabei. Wunderbar, wie er seine Pfunde elegant im Rhythmus der Musik schwingt und seine Hüften wiegt. Auch Eva Meckbach („Der König von Köln“) überzeugt mit trocken-burschikoser Art, schön gebrochen komödiantisch gespielt, jenseits banaler Psychologismen. Und Gaby Dohm, zuletzt eher in klischeehaften Altersrollen besetzt, hier als miesepetrig dauerpampige Schwiegermutter hat man lange nicht mehr so gut und anders gesehen.
Die Inszenierung ist leicht und locker. Erzählt wird ausschnitthaft, in kurzen, oft komisch verdichteten, aber nie überzogen pointierten Szenen aus dem Alltagstrott sowie der Tango-Gegenwelt. Auch wenn sich der Held „in einer neuen, farbigen, feinen, leidenschaftlichen Welt, wo die Schönheit regiert“, befindet, so setzt doch Regisseur Filipos Tsitos diesen Tanz der (Ver-)Führung, „dieses körperliche Zwiegespräch“, nicht vornehmlich als „erotisches Gewürz“ ein, wie Grimm betont. Und so ist „Tanze Tango mit mir“ keine schicke Dramödie in knalliger HD-Optik geworden, sondern eine charakterstarke Komödie des Lebens, die die Herzen frei macht und im Rhythmus des Tangos schlagen lässt, ohne ins Menschelnde oder gar Kitschige wegzugleiten. Es ist ein Film, der einen von Minute zu Minute mehr in seine fürs deutsche Fernsehen ungewöhnliche Geschichte mitnimmt. Dabei spielt erwartungsgemäß die temperamentvolle Musik – sie kommt von Bandonegro, einer Band aus Posen – eine wichtige Rolle. Besonders auch im Finale. Eine großartige Szene, in der Gesten, Bewegungen und (liebenswerte) Blicke ein konventionelles Happy End ersetzen. (Text-Stand: 14.2.2021)