Tom und seine Band hat es auf der Suche nach neuen Sounds nach Marokko verschlagen. Freundin Pia, die während ihres Aufenthalts in Tanger überprüfen möchte, ob ihre Beziehung noch zu retten ist, kommt sich zunehmend wie das fünfte Rad am Wagen vor. In einem Club lernt sie Amira kennen. Die schöne Marokkanerin träumt davon, bei MTV Arabia eine Karriere als Tänzerin zu starten. Ihre Freundinnen haben keine Ideale mehr: Sie bieten Touristen ihre Körper an, immer in der Hoffnung, den Prinzen zu finden, der ihnen ein Visum für Europa besorgt. Auch Amira träumt von Deutschland – und sie hat ein Auge auf Tom geworfen.
„Tangerine“ führt in zwei Parallelwelten, in denen Liebe und Lügen, Freundschaft und Treue, Besitz oder Beziehung etwas völlig anderes bedeuten. Die Marokkanerin kann nicht verstehen, dass Pia auf einen wie Tom als Freund freiwillig verzichten will. Für sie kann es nur einen Grund geben: „Schlägt er dich?“ Dieser multiperspektivische Blick, der beide Kulturen gleichermaßen in den Fokus rückt, ist das Besondere an Irene von Albertis Film. Man hat nie den Eindruck, dass sich die Filmemacherin der fremden Kultur bedient, um das „Eigene“ ästhetisch aufzuwerten. Zwar lebt der Film vom Zauber der Stadt, der exotischen Locations, der fremdländischen Charaktere, aber man spürt kein Kalkül dahinter.
Foto: ZDF / Irene von Alberti
Marokko-Kennerin Irene von Biberti über Prostitution im Islam:
„Prostitution ist wie in den meisten islamischen Ländern bei schwerer Strafe verboten, wird aber in Tanger in gewissen Rahmen toleriert. Viele junge Männer können mangels Geld nicht heiraten und außereheliche Beziehungen werden streng verfolgt. Die Prostitution floriert und bietet der Polizei eine willkommene Einnahmequelle für Schmiergelder.“
Kulturelle Inspiration ja, Missbrauch nein. Als Europäer erfährt man einiges von den Lebens- und Sichtweisen der arabischen Kultur (in der es offiziell keine Prostitution gibt), von den Nöten, Ängsten und Hoffnungen marokkanischer Frauen, die nicht in einem Ehekäfig oder als Dienstmädchen enden wollen. Der herausragend in magischen Bildern inszenierte und mit Sabrina Ouazani, Nora von Waldstätten und Alexander Scheer perfekt besetzte Film zeichnet ein facettenreiches, nie voyeuristisches Bild von der Prostitution in einem arabischen Land. Es ist ein Film, der betört, der traurig und nachdenklich macht, der die Sinne anspricht, der stilsicher ist, mal kühl wirkt und dann wieder mitreißt in seiner wilden „Natürlichkeit“.