Zwei Menschen wälzen sich im Staub der größten Baustelle der Welt. Um sie herum wird das neue Berlin errichtet. Doch sie lassen sich von der großen Geschichte weitaus weniger beeindrucken als von einer jungen Frau. Der Fernsehfilm “Stunde des Wolfs” erzählt von zwei ungleichen Brüdern, einer geheimnisvollen Georgierin und von zwei verhängnisvollen Affären. Ein tragischer Ausgang ist die logische Konsequenz eines Dramas, in dem Menschen zu Opfern ihrer Triebe und Leidenschaften werden. Der Schauspieler und (Bühnen-)Autor Klaus Pohl hat sich diese moderne Kain-und-Abel-Geschichte ausgedacht und Hermine Huntgeburth (“Der Hahn ist tot”) hat sie als kleines, schmutziges Schicksals-Stück in Szene gesetzt.
“Es gibt Momente, wo man genau weiß, was geschehen wird”, haucht die hübsche Georgierin Ketuta (Lea Mornar). Wenig später schläft sie mit Hans (Richy Müller), der ihr Tage zuvor das Leben gerettet hat. Und danach ist es um den braven Bauarbeiter und überzeugten Familienvater geschehen. Er genießt das süße Leben und die uferlose Liebe. Dabei entgleiten ihm aber nicht nur seine Ersparnisse, sondern auch sein Bruder Florian (Marek Harloff), der gerade erst aus dem Gefängnis entlassen wurde. Als der nach einer Affäre mit seiner Schwägerin (Corinna Harfouch) auch noch mit Hans’ neuer Geliebter anbandelt, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.
„Sorgfältig und unverkitscht verpackt Regisseurin Hermine Huntgeburth ihre lebensechten Figuren in kühle Bilder. Durchweg toll gespielt, begeistert vor allem Richy Müller. Sein moralischer wie sozialer Abstieg geht unter die Haut.
Fesselnde Chronologie einer Obsession“ (TV Today)
Ketuta ist kein blondes Gift, sie ist eine Femme fatale wider Willen. “Sie will eigentlich nichts zerstören, aber genau das passiert”, sagt deren Darstellerin, die 27-jährige Kroatin Lea Mornar, die in Detlev Bucks “Liebe Deine Nächste” ihr vielbeachtetes Debüt gab. “Sie handelt aus dem Bauch, nur nach ihrem Gefühl und meint es ernst mit ihrer Liebe.” Die Folge: ein pflichtbewusster (Ehe-)Mann verliert alles – seine Familie, sein Geld, seine Moral. “Er, der sich und sein Leben vermeintlich so gut im Griff hat, entdeckt eine ungeahnte Aggressivität in sich”, sagt Richy Müller (“Die Apothekerin”) über seine Rolle.
“Stunde des Wolfs” ist einer jener Filme, die sich quasi selbst erzählen. Alles kommt, wie es kommen muss. Die moderne Tragödie nimmt ihren Lauf. Das Besondere an der Dramaturgie sei, so Huntgeburth, “die Zuspitzung schicksalhafter Verstrickungen”. Das Archaische auf den Boden der Realität zu bringen war ihre Aufgabe. “Die Obsession, die in die Katastrophe führt, zeigen durch einfache und klare Menschen.” Menschen, die gefangen sind in ihren Gefühlen. Ob Gefängnis oder Baucontainer – es sind Käfig-Existenzen. “Niemand kann für irgendwas”, sagt der Held im Film. Treibende Kraft bei diesem Wechselspiel der Leidenschaften, die Regisseurin Huntgeburth physisch direkt zeigt, ohne dass die Sinnlichkeit aus chic-erotischen Bildern tropft, ist Florian, der kleine wilde Bruder des braven Hans’. Marek Harloff (“Skorpion”) spielt ihn gewohnt sprunghaft. “Flori bewegt sich zwischen jeder Moral”, so der 28-Jährige. “Er ist ziemlich egoistisch und macht Sachen, die er für richtig hält, ohne groß darüber nachzudenken, ob er jemanden verletzt.” (Text-Stand: 26.1.2000)