Du musst lernen loszulassen, belehrt die Kriminaltechnikerin ihren Lebensgefährten, als Stubbe misstrauisch und etwas eifersüchtig den neuen Freund seiner Tochter beäugt. Das sieht der Pensionär aber gar nicht ein: Was man liebt, will man doch festhalten. So geht es dem Publikum natürlich auch, weshalb zum Beispiel Thomas Gottschalk selbst mit über siebzig noch den vermeintlich jugendlichen „Wetten, dass..?“-Moderator geben darf. TV-Kommissare sind in diesem Alter zwar längst in Rente, weil alles andere unrealistisch wirken würde, aber das ZDF hat einen sympathischen Weg gefunden, wie sie weiterhin ermitteln können; davon profitiert neben Wolfgang Stumph auch Walter Sittler, dem das „Zweite“ nach dem Ende von „Der Kommissar und das Meer“ mit „Der Kommissar und der See“ weitere Fälle schenkt. Bernd Böhlich kennt sich mit solchen Geschichten aus, schließlich hat er mit Horst Krause als früherer „Polizeiruf“-Hauptmeister gleichen Namens eine ganze Reihe inszeniert. Der brave Polizist genießt mittlerweile endgültig seinen Lebensabend, aber Stubbe steht nach wie vor mitten im Leben, zumal ihn seine Enkelin ordentlich auf Trab hält.
Foto: ZDF / Volker Roloff
Tatsächlich sind es vor allem die Familienszenen, die „Ausgeliefert“, das dritte „Stubbe-Special“, zu einem sehenswerten Film machen. Bei allem Respekt vor der Lebensleistung vom zweifachen Grimme-Preisträger Böhlich: Gerade die Krimiebene wirkt mitunter wie die Folge einer Vorabendserie, zumal ausgerechnet einige der prominenten Episodengäste seltsam steif agieren; erst recht im Vergleich zu Greta Kasalo, die schon im letzten „Stubbe“-Film („Tödliche Hilfe“, 2021) eine Wucht war. Die kleine Schwester von Mia Kasalo (sie war „Das Pubertier“ in der ZDF-Serie) ist ein vollwertiges Mitglied des Ensembles und versieht ihre Rolle als Enkelin Caroline an der Seite von „Großvater“ Stumph mit einer verblüffenden Natürlichkeit. Das von Böhlich bearbeitete Drehbuch des „Wilsberg“-Autors Markus B. Altmeyer bietet ihr viel Spielmaterial, weil Opa und Enkelin eine gemeinsame „Detektei“ eröffnen, und wie Greta den liebenswerten Naseweis mit Leben erfüllt, ist die reinste Freude.
Hauptdarstellerin und daher im Vorspann auch zuerst genannt ist allerdings Stephanie Stumph: Stubbes Tocher Christiane ist ihrem Vater von Hamburg nach Dresden gefolgt und versucht nun, dort als freie Journalistin Fuß zu fassen. Türöffner soll ein investigativer Artikel über die Ausbeutung von Fahrradkurieren werden. Als Informantin dient ihr eine junge Frau, die für einen Lieferdienst gearbeitet hat. Mitten im Gespräch will Sonja (Ella Morgen) beim veganen Imbiss im Erdgeschoss etwas zu essen besorgen, aber sie kehrt nicht zurück; am nächsten Tag wird ihre Leiche am Ufer der Elbe gefunden. Für den ermittelnden Kommissar, Marc Leitner (Jens Atzorn), ist der Fall klar, zumal die Indizien eindeutig sind: Dem Besitzer des Lokals „Alter Veganer“ sind die Lieferdienste regelrecht verhasst, er ist schon zweimal gegen Fahrradkuriere gewalttätig geworden; Francis Fulton-Smith hat sichtlich Freude an der Rolle dieses leicht reizbaren und ständig schlechtgelaunten Imbissbetreibers. Leitners Kollegin und Stubbe-Freundin Marlene Berger (Heike Trinker) glaubt dagegen, dass der Ex-Mann (Max Hegewald) seine Finger im Spiel hat: Sonja ist erwürgt worden.
Foto: ZDF / Volker Roloff
Sehr viel interessanter ist allerdings Christianes Recherche. Sie nimmt einen Job bei dem Kurierdienst an und erfährt am eigenen Leib, was ihre Informantin meinte, als sie von „Druck, Druck, Druck“ sprach. Sobald die Bestellung auf dem Smartphone erscheint, läuft der Countdown: Innerhalb von dreißig Minuten muss das Essen bei einem Lokal abgeholt und geliefert werden. Wer pünktlich ist, wird belohnt, wer zu spät kommt, wird bestraft. Zu allem Überfluss kassiert der Arbeitgeber auch noch das Trinkgeld; Katharina Heyer spielt ihre Rolle als Repräsentantin dieses modernen Sklavensystems unangenehm gut. Ob dieser Teil der Geschichte Böhlich wichtiger war als die Mördersuche, sei dahingestellt; die Inszenierung wirkt jedenfalls deutlich dichter. Als Klammer zur Krimiebene dient eine sich anbahnende Romanze zwischen Leitner und Stephanie. Derweil haben Caroline und ihr Opa, den sie wie alle anderen schlicht Stubbe nennt, ihren ersten Fall: Einem Freund (Dietrich Hollinderbäumer) des Kommissars ist mit perfider Masche das nagelneue E-Bike geklaut worden, und wie dieser Diebstahl am Ende zur Mordermittlung passt, ist ein kleiner Knüller.