Regisseur Lars-Gunnar Lotz und das Autoren-Trio Sven S. Poser, Christian Schiller und Marianne Wendt, die auch bei der vorangehenden „Stralsund“-Episode „Schutzlos“ dasTeam bildeten, standen bei „Vergeltung“ vor keiner leichten Aufgabe: Einen Fortsetzungs-Krimi zu machen, der sowohl für diejenigen Zuschauer funktioniert, die die erste Episode nicht gesehen haben, als auch für die, die von Beginn an dabei waren, ist ein schwieriges Unterfangen. Zudem kommt bei der „Stralsund“-Reihe noch hinzu, dass fast von Beginn an im Jahr 2009 auch horizontal erzählt wird und die kleinen Geschichten der Ermittler weiter laufen.
Man hat die Herausforderung angenommen – und auf ganzer Linie gewonnen. „Stralsund – Vergeltung“ ist kein üblicher Fortsetzungskrimi, der Film funktioniert dank Rückblenden und geschickt eingebauter Erklärungen eigenständig, auch wenn man den vorherigen Krimi, auf dem er thematisch aufbaut, nicht gesehen hat. Dazu haben die Macher einen Kniff gewählt. In der nunmehr 10. Folge der Krimi-Reihe wird im Ermittlerteam mit Karim Uthman (gespielt von Karim Günes) ein Neuer eingeführt. Und der hat durch seine fehlende Vorkenntnis des Falls die Möglichkeit, seinen Kollegen Fragen nach der Vorgeschichte zu stellen. Sie wird quasi nicht dem Zuschauer erklärt, was zum Verständnis der Handlung notwendig ist, sondern dem Neuen im Team. So wirkt es nicht aufgesetzt, sondern fließt in die Story ein.
Am Ende von „Stralsund – Schutzlos“ gab es einen klaren Hinweis, dass Bandenchef Jan, genannt „Pawel“, Pawlowski (Bösewicht par excellence: Jan Henrik Stahlberg) den Ermittler Max Morolf (Wanja Mues) mit der Beseitigung der Zeugin Tatjana Komerenkowa (Anja Antonwicz) beauftragt, um dem Prozess und drohendem Knast zu entgehen. Los geht es aber erst einmal mit der Festnahme eines Mannes, der mit hochgefährlichem Gift hantiert (Dialog: „Warum Rizin?“ Antwort: „Anthrax war aus!“). Kurz darauf werden Nina Petersen und ihr Team mit einer Entführung und einem Mord konfrontiert: Eine 15-jährige Internatsschülerin, Lena Gundelach (Audrey von Scheele), wird in Frankfurt/Oder aus einem Schulbus heraus gekidnappt, ihr Lehrer kaltblütig erschossen. Bald stellt sich heraus, dass Lena die Tochter der Polizeiinformantin Anna ist, die vor Jahren umgebracht wurde und in die Umstände ihres Todes Max Morolf tragisch verwickelt ist. Pawel will Druck auf den Polizisten ausüben. Der bekommt das Mädchen nur dann lebend zurück, wenn er Kronzeugin Tatjana in den nächsten 48 Stunden „erledigt“ – bevor sie ihre Aussage vor Gericht machen kann. Es kommt somit erneut zu einem Wettlauf mit der Zeit: Wo ist Lena? Und will Max Tatjana eliminieren? Eine unselige Rolle spielt bei allem Ermittlungsleiter Gregor Meyer (Michael Rotschopf).
Auch die zehnte Episode bietet alles, was diese Reihe seit Jahren auszeichnet: Rasante Action, von Lars-Gunnar Lotz sehr unaufgeregt und präzise inszeniert; reichlich Spannung bis zum dramatischen und auch überraschenden Showdown; eine fein gesponnene Story mit ineinander verwobenen Details (das Gift Anthrax spielt noch eine Rolle); ein Ermittlerteam, das fein zusammengestellt ist und im Lauf der Jahre immer mal wieder dramaturgisch geschickt und den Inhalten angepasst verändert wird. Es begann mit Katharina Wackernagel, Michael Rotschopf, Alexander Held (schön, dass er diesmal wieder mehr Raum hat!) und Wotan Wilke Möhring. Der schied aus, es kam Wanja Mues. Und jetzt stößt mit Karim Günes ein Neuer hinzu. Am Ende der Episode „Stralsund – Vergeltung“ steht dann die nächste Veränderung ins Haus. Die Reihe lebt, sie atmet, sie entwickelt sich fort, bietet aber stets verlässlich intelligente Krimiunterhaltung. Das Zusammenspiel von spannenden Fällen und einem immer dichter werdenden Hauptstrang ist eine unwiderstehliche Mischung. Und die Reibungen & Probleme innerhalb des Teams sind beinahe auf dem Höhepunkt angelangt. Man darf gespannt sein, wie man nach diesem, nennen wir es, „Zwischenfinale“ weitermacht. Düster wird es wohl bleiben, actionbetont auch – das ist gut so! (Text-Stand: 13.10.2016)