Klaus Störtebeker und seine „Vitalienbrüder“ sollen Ende des 14. Jahrhunderts die Nord- und Ostsee unsicher gemacht haben. Urkundlich dokumentiert ist allein sein Todestag: am 21. Oktober 1400 wurde der Pirat in Hamburg geköpft. Sehr viel mehr ist nicht bekannt über jenen Robin Hood der Meere. Je dünner die Faktenlage, umso legendärer das, was man ihm andichten kann. Das sahen offenbar auch die ARD und die sechs internationalen Koproduzenten so. Und so konnte Drehbuchautor Walter Kärger problemlos das nacherzählen, was die Jahrhunderte aus Störtebeker gemacht haben: einen Volks- und Filmhelden par excellence. „Er ist ein edler Verbrecher, der – gezwungen von den äußeren Umständen – gegen die ganze Welt antritt, um die Menschen zu befreien“, so Kärger. Ein aussichtsloser, aber identifikationsträchtiger Kampf voll heroischer Tragik.
Konnte er tatsächlich einen großen Becher in einem Zuge hinunterstürzen? War er wirklich ein so edelmütiger und freigebiger Held, der den Reichen die „Vitalien“ (= Lebensmittel) nahm, um sie den Armen zu geben? Und hatte er überhaupt eine bürgerliche große Liebe, die ihn leidenschaftlich antrieb? Für Kärger entstammt das alles aus dem Reich der Mythen: „Ein Pirat im 14. Jahrhundert war grausam, skrupellos und rechtlos“ – eine schlechte Voraussetzung, um ausnehmend edel zu sein. Ken Duken, den Hauptdarsteller, störte das wenig. „Ob Störtebeker real, fiktiv oder Legende ist … Charaktere wie er sind immer in den Köpfen der Menschen zu Hause“ – und das war für ihn die Hauptsache. Gespielt hat er ihn als archaische Figur, „als einen von Hass und Rache getriebenen Menschen, der seine ganze Kraft daraus zog, was man ihm angetan hat, ohne es an Unschuldigen abzulassen“. Physisch erforderte der Charakter weit mehr Anstrengungen. Vier Wochen lang wurden Duken & Co in Prag von erfahrenen Schwertmeistern und Stunt-Leuten unterrichtet.
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50 Schauspielerrollen, 3000 Komparsen, 800 maßgeschneiderte Kostüme, eine Crew, die sich aus acht Nationen zusammen setzte, ein Budget von sieben Millionen Euro – solche Zahlen haben immer eine gewisse Magie. Mehr als eine numerische Größe bedeutet der Dreh in Litauen: „Die Requisiten und Kulissen haben einfach internationales Niveau“, so Duken, „bei uns muss man in dieser Hinsicht große Abstriche machen.“ Auch die traumhafte Weite der Landschaft wird immer wieder wirkungsvoll eingefangen. Dagegen fallen ausgerechnet die Szenen an Bord atmosphärisch stark ab. Noch so großes Schlachtengetümmel, das sich wie eine Mischung aus mittelalterlichem Schwertkampf, Bud-Spencer-Klopperei und asiatischer Martial-Art ausnimmt, kann nicht über den Eindruck des Kulissenzaubers hinwegtäuschen. Auch mussten viele Actionszenen zu offensichtlich von der Postproduktion gerettet werden.
Trotz einiger Superlative muss man das Genre also schon mögen, um an dem ARD-Zweiteiler Gefallen zu finden. Vor allem darf man sich nicht an der Naivität der Erzählung stören. Man sollte sich angesichts „Störtebekers“ besser an die mehrteiligen TV-Abenteuer à la „Der Seewolf“ oder „Die Schatzinsel“ (beide Mehrteiler zu sehen am 26.12.2009 auf ZDF neo) erinnern und die europäische Koproduktion nicht an einem Hollywood-Blockbuster wie „Fluch der Karibik“ messen. Jene spielerische Leichtigkeit im Umgang mit dem Genre geht dem recht ordentlich inszenierten Film von Miguel Alexandre völlig ab. Die Dialoge sind hölzern, die chargierenden Stars wie Gottfried John und Gudrun Landgrebe verwechselten den Filmset offenbar mit der Bühne der alljährlichen Störtebeker-Festspiele auf Rügen, und Ken Duken ist eher ein Schauspieler fürs Bild: wenn er Sätze sprechen muss, die sich zwischen Mittelalter und Neuzeit nicht entscheiden können, dann hilft dem 26-Jährigen sein charmantes Lächeln nur selten weiter. (Text-Stand: 15.4.2006)