Stille Nächte

Schüttler, Koeberlin, Thalbach, Zischler, Horst Sczerba. Lügen aus gutem Grund

Foto: Degeto / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Alle Jahre wieder. Ein junges Ex-Ehepaar spielt den Eltern des Mannes noch Jahre nach der Trennung eine glückliche Beziehung vor; und auch die Eltern habe ihre Geheimnisse… Die Lügen in „Stille Nächte“ sagen sehr viel darüber aus, wie die Menschen zueinander stehen: Keiner will den anderen enttäuschen, verletzen, beunruhigen. Horst Sczerbas wunderbare Weihnachtstragikomödie verordnet nicht Besinnlichkeit, sondern er erzeugt mit Hilfe einer reduzierten Ästhetik eine zwischenmenschliche Nähe, die ja der Kern des Weihnachtsfestes sein sollte. Ein nachdenklicher Film mit vier hervorragenden Schauspielern, die ihre Rollen mit Normalität versehen, ihnen aber auch einen mehrdeutigen Eigen-Sinn abtrotzen.

Georg bringt es einfach nicht übers Herz, seinen Eltern zu sagen, dass er und Rita schon seit mehreren Jahren kein (Ehe-)Paar mehr sind. Und so spielen die beiden, was Georg immer mehr Überredungskunst kostet, alle Jahre wieder Paul und Clara die Komödie vom kleinen Glück und von der vielen Arbeit vor. Und der geliebte Sohn lügt doppelt. Was nicht einmal seine Ex-Frau weiß: der vermeintliche Oberarzt im Krankenhaus hat lediglich einen Job als Krankenpfleger. Aber auch sie flunkert ein bisschen: Ihrem Frisiersalon geht es alles andere als gut. So wiederholt sich jedes Jahr derselbe Mummenschanz. „Aber dieses Mal sagst du es ihnen!“ Es folgt die Bescherung, eine Krawatte für den Sohn, ein buntes Tuch für die Schwiegertochter, dann Skat, Salzstangen, Würstchen, Christmette, schließlich innige Umarmungen zum Abschied. Auf der Heimfahrt bekräftigt Rita jedes Mal, dass dies für sie „das letzte Mal“ gewesen sei. Und dann ist es tatsächlich das letzte Mal gewesen. Denn die Eltern wissen mehr, als Georg und Rita ahnen, und auch sie haben ein Geheimnis…

Stille NächteFoto: Degeto / Marion von der Mehden
Für Georgs Eltern geht das Ex-Paar sogar noch ein Mal im Jahr miteinander ins Bett. Katharina Schüttler und Matthias Koeberlin

„Was für ein zärtliches Buch, dachte ich beim ersten Lesen. Da liebt der Autor seine Figuren auf eine sehr feine, spezielle Art.“ (Katharina Thalbach)

Katharina Schüttler über „Stille Nächte“:
„Das Drehbuch ist komisch und berührend zugleich. Es erzählt auf eine sehr besondere Art und Weise eine Geschichte von einfachen Menschen, die so außergewöhnlich ist wie das Leben eben. Bei allem Realismus ist das Buch aber immer ein wenig poetischer und größer als das wahre Leben.“

Anders als viele Weihnachtsfilme, die die rührselige Dezember-Stimmung aufnehmen und filmisch duplizieren und somit den Mythos vom Fest der Feste mit einer Mischung aus nostalgischen Kindheitserinnerungen und naivem Wunschdenken, aus Spaßkultur und Konsumismus unhinterfragt abfeiern, hat sich Autor-Regisseur Horst Sczerba („Halt mich fest!“) eine wahrhaftige Geschichte ausgedacht, in der es um Menschen geht, um kleine Leute mit echten Gefühlen und großen Geheimnissen, die keiner von ihnen lüftet, weil keiner die Liebsten enttäuschen, verletzen oder beunruhigen möchte. Und so sagen die Lügen in „Stille Nächte“ sehr viel darüber aus, wie die Menschen zueinander stehen. Dieser Film verordnet nicht Besinnlichkeit durch seine Dramaturgie oder Inszenierung, sondern er erzeugt mit Hilfe einer reduzierten Ästhetik eine zwischenmenschliche Nähe, die ja eigentlich auch der Kern des Weihnachtsfestes sein sollte. Der Film ist anfangs äußerst launig, später zieht er die melancholische Karte, bevor er einem emotional sehr zu Herzen geht. Indem sich Sczerba auf vier Protagonisten konzentriert, verläuft sich seine Geschichte nicht vor lauter Charakteren im Beziehungswald, wie es die Großfamilien-Patchwork-Weihnachtskomödien so häufig tun.

Stille NächteFoto: Degeto / Marion von der Mehden
Georgs Eltern sind vielleicht alt, aber nicht blöd und sie wissen, was sie wollen. Hanns Zischler und Katharina Thalbach

Soundtrack: Wham („Last Christmas“), Pogues feat. Kirsty MacColl („Fairytale of New York“), Bryan Ferry („You are my sunshine“), Elvis Presley („Always on my mind“), Stefan Knittler („Weihnachtsmann“)

Sczerba wählt für seine Geschichte die Wiederholungsstruktur und arbeitet intelligent mit dem Faktor Zeit. Aber in „Stille Nächte“ grüßt dann eben doch nicht alljährlich der Weihnachtsmann. Gerade der Bruch mit der erwarteten Struktur („kein Jahr später“) sorgt für eine besonders tiefe Anteilnahme beim Zuschauer. Sczerba imitiert damit jene Schocks der Realität, nach denen – wie es so schön heißt – nichts mehr so ist wie vorher war. Die Geschichte wird somit auch geöffnet für die Geschichten und die Erfahrungen der Zuschauer, für die Gefühle, für die Lücken, die das Ableben geliebter Menschen reißt. Aber es sind auch die Charaktere, die bei aller Verdichtung so lebensnah gezeichnet sind, die für höchste Empathie sorgen. Diese Eltern, die so unmodern und so kleinbürgerlich sein mögen, sind aber auch so unverstellt und so herzensgut: zwei Menschen, die die „Kinder“ so bedingungslos lieben, wie es Eltern gern (fälschlicherweise) verallgemeinernd zugeschrieben wird.

Stille NächteFoto: Degeto / Marion von der Mehden
Gibt es doch noch eine Chance für das junge Paar? Reden ist nicht die Stärke von Pfleger Georg (Matthias Koeberlin) und Friseurin Rita (Katharina Schüttler). „Stille Nächte“

Und da ist das geschiedene Paar, das noch immer mit seinen Verletzungen lebt, es aber nach Jahren immer noch nicht geschafft hat, unvoreingenommen über das Aus der Beziehung miteinander zu reden. Ja, dieser Georg ist aber auch in der Beziehung zu seinen Eltern wie der kleine Junge, der Mutter und Vater nicht enttäuschen möchte. Und selbstredend steckt hinter dieser Lüge auch die Wahrheit der „jungen“ Beziehung: der Pfleger liebt noch immer seine Frau – und im Innern seines Herzens wäre er gern wieder mit ihr zusammen. Da er sich aber nicht traut, es auszusprechen, er es vielleicht auch gar nicht wahrhaben will, inszeniert ein Stück weit auch sein Unterbewusstes das alljährliche Weihnachtsfest mit. Fragt sich, was sich bei seiner Ex abspielt. Die allerdings gibt noch weniger von ihrem Gefühlsleben preis…

Fazit: Horst Sczerbas „Stille Nächte“ ist eine Tragikomödie der warmherzigen Lügen und der mehr oder weniger offenen Liebesbekundungen. Ein nachdenklicher Film mit vier hervorragenden Schauspielern, die ihre lebensnahen Rollen mit Normalität versehen, ihnen aber auch einen mehrdeutigen Eigen-Sinn (insbesondere Katharina Schüttlers schwer fassbare Rita) abtrotzen. Bei aller Lügerei betont der Film auch die symbolische Kraft der Rituale und setzt auf einen Realismus mit märchenhaft schönen Sequenzen. (Text-Stand: 9.11.2014)

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Katharina Schüttler, Matthias Koeberlin, Anna Thalbach, Hanns Zischler

Kamera: Hagen Bogdanski

Szenenbild: Isolde Rüter

Kostümbild: Tina Klietz

Schnitt: Tina Freitag

Musik: Oliver Heuss

Produktionsfirma: Studio Hamburg

Drehbuch: Horst Sczerba

Regie: Horst Sczerba

EA: 05.12.2014 20:15 Uhr | ARD

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