Sternstunde ihres Lebens

Iris Berben, Anna Maria Mühe, Erica von Moeller. Frau Selbert kommt nach Bonn

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Foto Rainer Tittelbach

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, für diesen Satz mit all seinen zivilrechtlichen Konsequenzen kämpfte die Rechtsanwältin und Politikerin Elisabeth Selbert, die 1948 im Parlamentarischen Rat saß, der in einem halben Jahr das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeiten musste. Diese vergessene Fußnote der deutschen Geschichte macht aus „Sternstunde ihres Lebens“ zwar noch keinen guten Film (dazu hat er mit zu großen dramaturgischen Herausforderungen zu kämpfen), aber einen historisch interessanten.

Bonn 1948. Eine Sozialdemokratin macht mobil für die Gleichstellung der Frau. Elisabeth Selbert gehört mit drei weiteren Frauen dem Parlamentarischen Rat an, der binnen eines halben Jahres das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeiten soll. Ein zähes Ringen um Paragraphen und Formulierungen. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, für diesen Satz mit all seinen zivilrechtlichen Konsequenzen kämpft die Rechtsanwältin, zu deren Klienten vor allem Frauen gehören, die nach einer Scheidung die Benachteiligten sind. „Die Frauenrechte sind auf dem Stand der Jahrhundertwende“, schimpft sie; der Mann soll nicht wie bisher als Oberhaupt der Familie gelten und die Ehefrau nicht länger auf Gedeih und Verderb von der Willkür des Gatten abhängig sein. Die konservativen „Herrschaften“ sehen das anders – sie lehnen ein ums andere Mal den SPD-Antrag im Ausschuss ab.

Dass es doch zum Happy End kommt, verdankt die bundesdeutsche Gesellschaft der hessischen Juristin und Politikerin, die mit Pragmatismus und Leidenschaft die sogenannte „Sache der Frauen“, die letztlich eine Sache der Demokratie ist, vorantrieb. „Sternstunde des Lebens“ ist ein Fernsehfilm, der wie das Spielfilm-Porträt über die Physikerin „Clara Immerwahr“ (ARD, 28.5.) unter dem Label „Heimliche Helden“ geführt werden könnte. Da das Nachkriegsdeutschland grau war, Paragrafen und Grundrechten etwas Papiernes anhaftet und eine dialoglastige Kammerspielästhetik die einzige bezahlbare (aber durchaus auch sinnfällige) Darstellungsform für diesen Stoff ist, durfte sich Drehbuchautorin Ulla Ziemann etliche, den Zeitgeist jener Jahre abrundende Nebengeschichten ausdenken. So wurde der aufklärerisch visionären Heldin, deren mit Arbeitsverbot belegter Mann das Haus hütete und die Kinder versorgte, das deutsche Fräulein Irma zur Seite gestellt, das keine Ausbildung hat, sich nichts zutraut und sich nichts anderes als ein kleines, spießiges Familienglück erträumt. Zwischen diesen beiden Frauenbildern steht Irmas Cousine Lore, eine erfolgreiche Übersetzerin, die beruflich zurücksteckt, als ihr Mann aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt. Und noch zwei Probleme schleppt diese zierliche Person mit sich herum: Sie ist schwanger, doch so richtig glücklich ist sie nicht – ihr Kurt ist ihr manchmal so fremd.

Sternstunde ihres LebensFoto: WDR / Degeto / Rottenkolber
Emanzipierter Mann: Adam Selbert hält seiner Frau den Rücken frei. Iris Berben & Rudolf Kowalski in „Sternstunde ihres Lebens“

Autorin Ziemann verfährt für „Sternstunde ihres Lebens“ nach dem Prinzip: Wie bekomme ich möglichst viele relevante Aspekte über die Politik der Geschlechter aus jenen Jahren in die Geschichte, ohne allzu offensichtlich zu informieren oder zu belehren. Das gelingt manchmal. Beispielsweise wenn Selberts neue Sekretärin Irma eine Vertraulichkeit herstellt, die – wie selbstverständlich – die weltgewandte Juristin über ihr bisheriges Leben plaudern lässt. Häufiger aber sieht man sich als Zuschauer in der Situation, etwas erklärt zu bekommen. Im Parlamentarischen Rat hat jeder Politiker ein klares Profil – und darf entsprechend stereotype Sätze (auf)sagen. Die Nebenfiguren bleiben Stichwortgeber. Helene Weber (CDU): „Sie meint es gut.“ Helene Wessel: „Aber sie ist in Aufruhr und sie rüttelt am Bild der traditionellen Familie. Die Gesellschaft will Frieden und Demokratie – aber doch kein Sodom und Gomorra.“ Weber: „Und genau darum wird sie damit auch nicht durchkommen.“ Und allzu viele Szenen ergehen sich in der Illustration von Fakten und Situationen. Die Chronologie der Ereignisse in Richtung Grundgesetz wird zeitgeistig ausgemalt, vor allem aber wird sie mit einer klassischen Helden-Dramaturgie überzogen. Dieser Fight scheint nach den ersten Runden verloren, doch dann wendet sich diese entschlossene Kämpferin für die Rechte der Frauen an die, die sie vertritt. Ein Stück Demokratie von unten hilft der Parlamentarischen Demokratie auf die Sprünge. Und dann kann Iris Berben mit zitternder Stimme den Satz der Sätze sagen. Da liegt Hollywoodsches Pathos in der Luft. „Mr. Smith geht nach Washington“, hieß es 1939 in der New-Deal-Social-Comedy von Frank Capra. Frau Selbert geht nur ein halbes Jahr nach Bonn – aber der Effekt ist ein ähnlicher. Vielleicht kann man ja selbst noch 2014 eine solche (wegweisende Fußnote der) Geschichte – insbesondere wenn sie aus dem „altmodischen“ Jahre 1948 stammt – nur auf eine solche naive, emotionale Art erzählen.

Diese vergessene Fußnote der deutschen Geschichte macht aus „Sternstunde ihres Lebens“ zwar noch keinen guten, aber einen historisch interessanten Film. Die Präsenz der beiden Hauptdarstellerinnen, Berben und Anna Maria Mühe, vermag darüber hinaus, manch hölzernen Erklärdialog abzumildern und den Zuschauer über die schablonenhafte Dramaturgie (innerhalb der sich auch noch das brave „Fräulein“ zur Frauenfunkerin mausert) hinwegsehen zu lassen. Und am Ende gibt im Off Sprecherin Iris Berben (offenbar als Iris Berben) einige Beispiele dafür, wie es die bundesdeutsche Gesellschaft in der Praxis hielt/hält mit der Gleichstellung der Frau. Spätestens da muss man erkennen, dass dieses Thema nicht gut geeignet ist für einen Spielfilm. Aber auch eine Dokumentation über die Ereignisse um Elisabeth Selberts Sternstunde wäre wohl keine filmische Sternstunde geworden – dazu wird es zu wenig gute Filmdokumente geben. Dann auf jeden Fall lieber so als gar nicht! (Text-Stand: 28.4.2004)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, WDR

Mit Iris Berben, Anna Maria Mühe, Maja Schöne, Max von Thun, Lena Stolze, Eleonore Weisgerber, Rudolf Kowalski, Petra Welteroth, Steffen Will, Walter Sittler, Felix Vörtler, Klaus Mikoleit

Kamera: Sophie Maintigneux

Szenenbild: Katja Schlömer

Kostüm: Martina Schall

Schnitt: Renata Salazar Ivancan

Produktionsfirma: thevissenfilm

Drehbuch: Ulla Ziemann

Regie: Erica von Moeller

Quote: 3,33 Mio. Zuschauer (12,9% MA)

EA: 21.05.2014 20:15 Uhr | ARD

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