Hermann Weber (Walter Sittler) ist ein unverbesserlicher Schwarzseher. Sogar noch bei den regelmäßigen Treffen im Buchclub, wo die anderen Teilnehmer mit heiteren und erbauenden Texten kommen, rezitiert er den todessehnsüchtigen Trakl: „Du bist in tiefer Mitternacht.“ Schwermut ist Hermanns bevorzugte Stimmung seit dem Tod seiner Frau; das ist nun allerdings schon dreißig Jahre her. Aber auch der allgemeine Kulturverfall im Alltag macht dem belesenen Menschenfeind zu schaffen. Der Lebensmut verlässt den pensionierten Buchhändler vollends, als er eine Krebsdiagnose bekommt. Der Arzt (Omar El-Saedi) sieht gute Heilungschancen, für Hermann aber kommt eine Behandlung nicht in Frage. So jämmerlich leiden wie seine Frau will er nicht. Auf jeden Fall aber möchte er das Unausweichliche beschleunigen. Auch wenn er kaum Kontakt zu seiner Tochter (Anja Knauer) und ihrem Teenagersohn (Arthur Gropp) hat – mit Freitod oder Sterbehilfe aus dem Leben scheiden, das will er den beiden nicht antun. Es scheint eine glückliche Fügung zu sein, dass er Hanne (Andrea Sawatzki) kennenlernt. Die hat zwar ein Faible für leichtgewichtige Literatur, was ihm nicht so behagt, aber sie war eben auch die Frau dreier wohlhabender Männer, die alle kurz nach der Hochzeit das Zeitliche segneten. Die gelernte Apothekerin könnte ihm seinen Herzenswunsch erfüllen. Denn Töten liegt offenbar in ihrer Natur.
Foto: Degeto / Ben Knabe
Ein ungewöhnlicher Plan, sich mithilfe einer „Schwarzen Witwe“ aus dem Leben stehlen zu wollen. Doch was, wenn der lebensmüde Mann irgendwann den Plan bereut. „Sterben ist auch keine Lösung“ ist zwar eine Tragikomödie, aber eben auch ein ARD-Freitagsfilm (und auch der sehr treffende Titel legt ja bereits eine Lösung nahe). Die Zuschauer:innen dürfte also weder Tod der männliche Hauptfigur noch übermäßig Schmerzliches in den neunzig Filmminuten erwarten. Mit dem Motiv der Gattenmörderin wird allerdings längere Zeit unterhaltsam doppeldeutig gespielt. „Vergiften ist das Schönste, was es gibt“, schwärmt Hanne und Andrea Sawatzkis Augen funkeln. Infrage kämen zwei Giftsorten. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich lieber Bella Donna bekommen“, meint Hermann. „Merk’ ich mir“, kommt es keck zurück. Auch wenn diese Szenen in erster Linie an den Zuschauer und sein Unterhaltungsbedürfnis gerichtet sind, während die Binnenkommunikation – sprich: Handlungslogik – nicht immer ganz stimmig ist, so triumphiert in solchen Momenten doch vor allem der absurde Witz. Quelle der Komik sind immer wieder die ausgespielten Gegensätze. Sie, immer sehr direkt, er, der Vorsichtige, der häufig um den heißen Brei herumredet. Sie: „Keine Frau? Keine Liebe? Keine Küsse?“ Er: „Hat sich nicht ergeben.“ Das Drehbuch von Matthias Lehmann bringt Vieles bereits knapp und präzise auf den Punkt. Die Regie von Komödienspezialist Ingo Rasper („Besuch für Emma“) und das fein nuancierte, zwischen Komik und emotionalen Nöten perfekt ausbalancierte Spiel von Walter Sittler und Andrea Sawatzki sorgen für einen sinnlichen, trockenhumorigen Spaß ohne Gefühlsduselei.
Foto: Degeto / Ben Knabe
Die Geschichte von „Sterben ist auch keine Lösung“ gibt zwei Menschen einen neuen Sinn im Leben. Das passt zur dunklen Jahreszeit. Die Macher verzichten auf eine überdeutliche Moral. Wenn es für den Zuschauer bei dieser Mär von Hermann & Hanne einen Sinn gibt, dann ist es wohl die universalste aller universalen Botschaften: „Ist das Leben nicht schön?“ Endlich mal ein ARD-Freitagsfilm, bei dem nicht zwanghaft „gesellschaftlich relevante“ Themen abgearbeitet werden. „Das echte Wahre ist nie Mode gewesen, aber es lebt.“ Dieses Zitat von Hermann Hesse, das in einem Liebesratgeber-Subplot zwischen Hermann und seinem Enkel eine Rolle spielt, lässt sich auch auf den Film projizieren. Näher am Zeitgeist bewegt sich die „Männerfreundschaft“ dieser beiden unglücklich Verliebten, die mit dem Satz „Ich glaub nicht, dass jemand aus deiner Generation mir helfen kann“ beginnt. Dass beide eines Besseren belehrt werden, gehört auch zum Feelgood-Faktor des Films. Und auch das, was in den neunzig Minuten über die Qualität und den Nutzen von Literatur gesagt wird, besitzt einen selbstreferentiellen Kern. Anfangs lässt der tragische Held nur das Anspruchsvolle gelten, das Schöne, Gute, Wahre im klassischen Sinne. Das, was andere Clubmitglieder für schön halten, wertet er als Kitsch ab. Am Ende schließlich liest er etwas vor, das der Leserkreis als „naive Kindergeschichte“ abtut. Diese Geschichte hat Hermann selbst geschrieben, für seine traurige Tochter, nach dem Tod der Mutter. Eine klassische „Gefühlssituation“ nach der Läuterung des Miesepeters. Doch es lässt sich in ihr durchaus auch ein Moment der Erkenntnis lesen: Jede Art von Literatur/Film/Kunst hat seine Berechtigung, solange es Menschen gibt, die damit etwas anfangen können, ja, die damit vielleicht sogar glücklicher werden.
Dass die Bewertung eines ästhetischen Objekts und dessen emotionaler Wert, den ihm ein Mensch beimisst, sich mitunter nicht immer decken, diese Erfahrung muss auch ein Fernsehkritiker, der das Schwere und das Leichte gleichermaßen gern goutiert (alles zu seiner Zeit!), gelegentlich machen. Ein Film wie „Sterben ist auch keine Lösung“ sorgt allerdings für besondere Glücksmomente: Diese Tragikomödie ist im wahrsten Sinne des Wortes wohltuend, eine willkommene Abwechslung nach den Horrormeldungen der „Tagesschau“, sie ist aber auch dramaturgisch & filmisch vorzüglich gemacht und vertraut nicht auf wohlfeile Gefühle. Die Dialogwechsel sind teilweise zum Wegwerfen komisch (wenn beispielsweise versucht wird, mit Autofahrmetaphern den zwischenmenschlichen Verkehr zu regeln), die Inszenierung hat Stil, das liebevolle Szenenbild spiegelt die Charaktere, und Bonn ist immer einen Dreh wert. Es ist kein Zufall, dass das Motiv der Seifenblasen so beiläufig markant im Film platziert wird. Sie sind Symbol für das Schöne, das Leichte, aber auch das Flüchtige. Dem Kritiker allerdings wird dieser Film nachhaltiger in Erinnerung bleiben als so mancher gute Krimi.
Foto: Degeto / Ben Knabe