Kathi ist 30, allein erziehend, Single und Möchtegern-Schauspielerin. Dumm nur, dass sie so gar kein Geschick zur Verstellung hat. Das macht ihre Castings zu peinlichen Fremdschäm-Veranstaltungen und ihr Privatleben, das neben Kathis vierjährigem Sohn zum Großteil aus dem Kontakt zu ihrer Mutter besteht, zu einem ewigen Spießrutenlauf. Ständig muss sie den verbalen Nadelstichen ihrer alles dominierenden Psychologen-Mama ausweichen. Und jetzt steht auch noch der Rabenvater und treulose Ex-Ehemann vor der Tür und will wieder auf Familie machen. Zur Rebellion scheint Kathi der Mumm zu fehlen. Offenbar hat sie sich ihr ganzes bisheriges Leben nur geduckt vor der neurotischen Schnelldenker-Mutter und sich in sprachloser Selbstbeherrschung geübt. Hat diese Kathi jemals eine Pubertät gelebt? Sich jemals in Rebellion versucht? Was nicht ist, kann ja noch werden. Kathi jedenfalls zieht aus der noblen Altbau-Wohnung, die die Mutter ihr und ihrem Sohn gekauft hat, wieder aus und geht zurück in ihr Berliner „Loch“ – mit einem trotzigen Lied auf den Lippen.
„Hanna Dooses Familiendrama, das mit dem First Steps Award als bester abendfüllender Spielfilm ausgezeichnet wurde, ist einer dieser wunderbaren intensiven Hochschul-Abschlussfilme, die alle paar Jahre in der deutschen Filmlandschaft auftauchen. Denen man anmerkt, dass sich ihre Macher jahrelang mit ihrem Thema beschäftigt haben, ohne sich den gängigen Erzählformen des deutschen Films zu beugen.“ (Christian Buß, Spiegel online)
Foto: RBB / Markus Zucker
„Staub auf unseren Herzen“ erzählt ein schweres Familiendrama und ist doch letztlich ein ästhetisch leichter Film. Und das nicht nur, weil er emotional wunderbar ausschwingt mit einem Etappensieg für die Tochter im scheinbar endlosen Liebesk(r)ampf zwischen seelisch angeschlagener Übermutter („nicht anfassen!“) und dem ewig klein beigebenden, nervenbündeligen Kind („ich hab mal neulich so eine Art Freund gehabt“). Auch viele Szenen dieses ausschnitthaft episodisch angelegten Films machen Laune in ihrer absurden Tragik. Das liegt auch an der minimalistischen und vermeintlich kunstlosen (schau)spielerisch-filmischen Umsetzung. Die dffb-Absolventin Hanna Doose hat sich nur mit einem Treatment an die Inszenierung gewagt und die Dialoge am Set improvisieren lassen. Und da ringt nun die Tochter alias Stephanie Stremler doppelt um die besten Worte, den klarsten Gefühlsausdruck und die richtige Rolle – und man möchte nachhelfen als Zuschauer, wenn sie mit dem Text und ihrer Stimme kämpft. Diese Methode gibt diesem Debüt-Langfilm eine ganz eigene Note. Es ist ein Schauspielerfilm in mehrfacher Hinsicht – inklusive einiger Momente, die wie ein Spiel im Spiel erscheinen. Da sitzen Mutter und Tochter sich in einer Szene gegenüber und spielen Therapiesitzung, bei der wieder einmal deutlich wird, wie schwer es der Tochter fällt, sich zu verstellen. Oder: die beiden spielen Scrabble – und es wird blutiger Ernst daraus.
Das Leben – ein Rollenversuchslabor. „Staub auf unserem Herzen“ ist ein Beziehungsspiel-Kleinod, ein ebenso wundersames wie wunderbares Duell zweier Charaktere, aber auch zweier Schauspielerinnen mit völlig ungleichen Mitteln. Seelen-Domina Chris war die letzte große Rolle von Susanne Lothar, die im Sommer 2012 verstorben ist. Eine für sie ganz typische Rolle: autoritär, unsentimental, kompromisslos, bissig, grausam, nach Liebe gierend, die eigenen Emotionen aber nicht unter Wert anbietend („meine Nähe kriegst du nicht“). Stremler verkörpert da als Kathi das genaue Gegenbild: Taktieren und Aushandeln ist ihre Sache nicht, sie träumt sich das Leben zurecht, ist lieb und nett und hat auf nichts eine vorgefertigte Meinung. Sie versucht sich immer wieder aufs Neue am Leben und stellt sich dabei unaufhörlich die Frage: wie geht das – Leben? (Text-Stand: 5.7.2013)