Zwanghaft hört Greta (Luna Mwezi) immer wieder die Mailbox ihrer tödlich verunglückten Schwester ab. Sie fühlt sich schuldig an Neles Tod. Weil zwischen den Schwestern vieles ungeklärt blieb, attestiert Therapeutin Kim (Abak Safaei-Rad) Greta eine posttraumatische Belastungsstörung. Eine Diagnose unter vielen. Der aggressive Frederick (Beren Zint) hat seine Gefühle nicht im Griff, Michelle (Katharina Hirschberg) verletzt sich selbst, Alireza (Caspar Kamyar) kam nach einem versuchten Suizid in die Klinik und Ersan (Uhud Karakoc) ist spielsüchtig.
Manche Verzweiflung ist zu Anfang allzu verzweifelt gespielt. Manche bildliche Metapher allzu eindeutig gesetzt. So, wenn Frederick einen im Zimmer eingeschlossenen Falter fliegen lässt oder sich vor seinem inneren Auge das weiße Pferd aufbäumt. Solche Traumbilder unterstreichen die seelische Not oft etwas zu plakativ. Schade auch, dass sich die Bilder im Kopf nicht verändern. Egal ob Greta einen Panikschub erleidet oder sehr viel später im Therapiegespräch kontrolliert in ihre Erinnerungen eintaucht: visuell macht es keinen Unterschied. An diesem Punkt hätte „Stabil“ neue, andere Bilder vertragen.
Foto: Degeto / Flo Hanatschek
„Kein Körperkontakt unter Klapsenkindern“ gehört neben dem Verzicht aufs Handy zu den Regeln. Für Greta und Alireza wird das bald zum Problem. Wo die Therapie noch nicht greift oder Tabletten unterm Kopfkissen verschwinden, hilft eben eher die Zuwendung (oder Liebe) unter Seelenverwandten. In Episode drei baden Greta und Aliresa dann zum ersten Mal in lila Licht. Der Weichzeichner unterlegt ihre Sehnsucht nach Zusammenhalt und Normalität. Mit kalten Blautönen dagegen brechen Stress und Flashbacks ein. Wenn Frederick ausrastet, rennt er gegen grellgelbe Polster an. Ein warmes Orange erfüllt geschützte Räume innerhalb der Psychiatrie. „Stabil“ malt nach festgelegter Palette. Die Farben geben auch dem Publikum Orientierung.
Diese Orientierung fehlt, sobald Greta und die anderen das Haus verlassen. Sie tun das mal mit, mal ohne Erlaubnis. Und sie wissen: „Draußen“ wartet der Feind. Michelles überforderte Mutter oder Alirezas Angstgegner Jerome. In jedem Fall Eltern, die ihre Kinder nicht mehr verstehen. Anhand kurzer Begegnungen macht „Stabil“ sehr eindrucksvoll klar, dass psychische Probleme immer auch auf den Beziehungsmustern zwischen Eltern und Kind gründen. Das triggert negative Energien, die krank machen und rausmüssen. In der Nahaufnahme aufs Detail findet „Stabil“ viele Entsprechungen für das Ungesagte. Hier – in der Realität – funktioniert das Erzählen in Bildern. Wir sehen zitternde Beine, einen hektisch massierten Stressball, den guten alten Zauberwürfel, die Konsole als letzten Halt oder einen Verband mit ausgefransten Rändern.
Foto: Degeto / Flo Hanatschek
Das sind deutliche Zeichen vor allem für das geschulte Personal. Neben Dr. Kim hat Uwe dafür das richtige Gespür. Roland Zehrfeld als Fels in der Brandung – auf jeden Fall eine Idealbesetzung. Mal läuft Zehrfeld als Herr der Schlüssel durch die Flure, dann wieder verleiht ihm eine bunte Kette etwas vom weisen Buddha auf Station. Die jungen Patienten vertrauen dem Team. Trotzdem kommen Hintergründe über ihre psychischen Belastungen, ihre Ängste und Wünsche eher untereinander als im Therapiegespräch ans Licht. Gemeinsamkeit ist alles, Isolierung ist Ausnahmezustand. Der fixierte Frederick oder Michelle, die gegen den Rat der Therapeutin mit ihrer Mutter die Klinik vorzeitig verlässt, sind ab diesem Moment isoliert. Auf sich gestellt, gehen sie in unsichere Räume.
Über die, parallel montierten, Aussprachen zwischen Greta, Alireza und beider Eltern findet „Stabil“ einen nachvollziehbaren Ausblick und eine gute Balance zwischen Happy und Open End. Das gehörte sicher zu den schwierigeren Etappen im Schreibprozess. In den Rollen von Frederick und Michelle, beide von Anfang an auch als körperlich gezeichnet auftretend, schaffen Beren Zint und Katharina Hirschberg am Ende eine beeindruckende Wandlung. Weil endlich mal nicht er, sondern ein anderer schreit, wird Fredericks Gesicht in Großaufnahme ganz offen und weich. Und auch Michelle alias Hirschberg findet zu einem neuen, unverstellten Ausdruck. Vom Stigma des Opfers zur Heldenreise. Immerhin ist der Weg jetzt denkbar.

