Das ist ja mal ein völlig neuer Ansatz der ARD-Tochter Degeto: Patente Städterin zieht in die Alpen und muss erst mal einen Kulturschock verkraften. Die Einheimischen bleiben zunächst auf Distanz, aber dann gewinnt sie ihr Vertrauen und nimmt sogar eine besondere Rolle ein. Die Zahl der entsprechenden Filmreihen ist Legion und selbst dann noch kaum überschaubar, wenn man die Suche einschränkt und um die Variablen „deutsch“ und „österreichisch“ ergänzt, also „deutsche Städterin“ und „österreichische Alpen“; die Liste beginnt mit der zehnteiligen ARD-Reihe „Die Landärztin“ mit Christine Neubauer (2005 bis 2013) und ist mit „Hanna Hellmann“ (ZDF 2015) noch lange nicht zu Ende. Weil die Heldin umso strahlender wirkt, wenn sie einen schurkischen Gegenspieler hat, ist der Bösewicht in den Heimatfilmen seit einigen Jahren regelmäßig der Bürgermeister, dessen finstere Pläne sich meist um Luxushotels oder Golfplätze ranken. In „St. Josef am Berg“ von Autor Dirk Kämper wird das Szenario nur geringfügig variiert: Svea Classen (Paula Kalenberg), IT-Ingenieurin aus Stralsund und ziemlich schwanger, landet fast freiwillig im Salzburger Land (gedreht wurde im Rauristal). Hier befindet sich die Heimat ihres Mannes Peter Pirnegger (Sebastian Wendelin), und weil es ihn ganz arg zu seinen Wurzeln zurückzieht, lässt sie sich auf ein halbes Probejahr ein. Peters Vater Joseph (Harald Krassnitzer) ist hier der uneingeschränkte Herrscher: Dem Patriarchen gehört das größte Hotel und eine Ferienanlage, außerdem ist er Bürgermeister. Derzeit ist er drauf und dran, seinen Lebenstraum zu realisieren und aus der Gegend einen Naturpark zu machen. Die nötigen Stimmen des Gemeinderats hat er sich durch allerlei Gefälligkeiten erkauft; der alte Pirnegger ist so etwas wie der Prototyp des Gschaftlhubers. Seinen Sohn ködert er mit dem Posten des Chefveterinärs, Svea bringt er offiziell als Naturparkkoordinatorin im Bürgermeisteramt des Nachbarorts unter; in Wahrheit soll sie dem potenziell abtrünnigen Kollegen (Branko Samarovski) auf die Finger schauen.
Foto: Degeto / Hubert Mican
Kann so eine Geschichte heutzutage für ein aufgeklärtes Fernsehpublikum noch ironiefrei erzählt werden? Und wollte die ARD-Tochter Degeto mit ihren Freitagsfilmen nicht jenem Anspruch treu bleiben, den sowohl die neue Geschäftsführung als auch die neue Redaktionsleitung bei ihrem Amtsantritt vor einigen Jahren beschworen haben? Womöglich soll „St. Josef am Berge“ der Beweis dafür sein, dass sich beide Fragen mit Ja beantworten lassen, und vielleicht soll das Augenzwinkern Krassnitzers und Kalenbachs am Ende des Vorspanns signalisieren: alles nicht so ernst gemeint. Von Ironie könnte allerdings nur dann die Rede sein, wenn Kämper und Regisseur Lars Montag ihre vielfach völlig überzeichneten Charaktere tatsächlich als Parodien deklarieren würden. Das träfe am ehesten auf einen Bergbauern zu, der im Gegensatz zu den Dorfbewohnern nur Nachteile durch den Naturpark hätte. Der Mann ist ein Hinterwäldler, der sich vorwiegend grunzend verständigt; sein Eigenheim ist ein Saustall, und als Svea ihn sprechen will, sperrt er sie kurzerhand in den Schweinestall. Dass sie sich ihrer Schwangerschaft zum Trotz auf seinen Trecker setzt, obwohl er wie ein Rallyefahrer durch die Gegend braust, ist nur deshalb nicht völlig unglaubwürdig, weil sie selbst mit ihrem Quad einen ganz ähnlichen Fahrstil pflegt.
Eine Gegen-Meinung:
„St. Josef am Berg“, insbesondere „Berge auf Probe“, lässt sich auch anders sehen und beurteilen. Das Augenzwinkern im Vorspann hat durchaus seine Berechtigung. So stehen doch die Farbdramaturgie mit den saftig grünen Wiesen und dem zur Schau gestellten blauen Himmel, ein Bürgermeister, der sein „Büro“ mit ausgestopften Tieren zustellt, oder ein Flur, bei dem man Angst haben muss, sich den Kopf an den zahllosen, tief hängenden Hörnern und Geweihen zu stoßen, gewaltig unter Ironie-Verdacht. Und auf die Idee, dass in einem auch schon vor den letzten Wahlen im konservativ-nationalen Österreich Ausländer – und dann auch noch „Ossis“ – in wichtige Ämter gehoben werden, muss man auch erst mal kommen. Unterhaltsam sind die Rollenspiele, die die Figuren mit & gegeneinander aufführen. Köstlich ist das patriarchalische Essensritual an der gemeinsamen Tafel, und es macht Laune, wie souverän die Heldin die Dienstanweisungen und guten Ratschläge des Schwiegerpapas mit einem freundlichen Lächeln missachtet. Und psychoanalytisch gesehen ist natürlich noch viel mehr drin in dieser seltsamen Figuren- und Konfliktsituation. Irgendwie scheint ja die Beziehung zum Senior viel emotionaler zu sein als die zum Junior. Svea gegen Joseph ist so ein bisschen wie David gegen Goliath, und dieses Muster funktioniert ja fast immer. Wenn das Ganze dann noch ins Komödiantische gewendet ist und Krassnitzer & Kalenberg im Spiel sind – umso besser! Bemerkenswert für einen Unterhaltungs-Film ist auch das flotte Tempo, und der Versuch, filmsprachlich nicht in der Jurgan-Ära – sprich: den 1950er bzw. den 2000er Jahren – hängenzubleiben. Lag es vielleicht nur an meinem Urlaub in den Bergen? Mir g’fallt’s jedenfalls! tit.
Foto: Degeto / Hubert Mican
Eine andere Gegen-Meinung
„Wenn Heimatfilm, dann so! Kalenberg und Krassnitzer spielen mit Schmackes, scheinbare Klischeefiguren entpuppen sich als komplex, die Dialoge sind herrlich urig. Intelligenter Witz, spielfreudige Darsteller.“ (TV-Spielfilm)
Ähnlich überzeichnet wie der Bergbauer, der im zweiten Film aufgeräumt hat und einen sogar verständlichen „Bauer sucht Frau“-Monolog hält, ist Sveas Mutter (Anna Stieblich). Sie ist ihrer Tochter ins Salzburger Land gefolgt, fühlt sich in den Alpen wie ein Fisch auf dem Trockenen, kann mit dem „Heimatkram“ ohnehin nichts anfangen und sitzt als Vegetarierin des Öfteren vor einem leeren Teller, weil der alte Pirnegger nicht nur ein Fleischfresser, sondern auch ein boshafter Mensch ist, der Bratensauce über ihr Gemüse gießt. Das ist zwar leidlich amüsant, aber noch keine Ironie, zumal Buch und Regie bis hin zur Bildgestaltung der Kapiteltrenner mit Panoramaflügen & Himmelsbildern auch sonst fast sämtliche Heimatfilm-Klischees bedienen. Die Hochzeitsfeier mit Trachtenchor und „Prost der Gemütlichkeit“ zum Beispiel ist purer Ernst, selbst wenn Svea mit liebevollem Spott von einem „Heidi-Programm“ spricht. Erträglich ist das alles nur, weil Paula Kalenbach die Hauptfigur, die sich zwar „im Tal der Bekloppten“ wähnt, aber dennoch sämtliche Probleme erfolgreich weglächelt, mit viel Frische und Natürlichkeit verkörpert. Allein deshalb ist auch glaubhaft, dass Svea es am Ende des ersten Films als einzige wagt, dem Patriarchen die Stirn zu bieten, und von der Nachbargemeinde prompt zur Bürgermeisterin gekürt wird. Sebastian Wendelin erinnert als Ehemann Peter etwas an Johnny Depp und macht als Mann an ihrer Seite auch ohne Hemd eine gute Figur, kann sich in der Hinsicht allerdings nicht mit Luka Dimic messen: Gemeindearbeiter Igor entpuppt sich zwar als promovierter Agrarökonom, aber letztlich ist es dann doch wohl eher sein Tartarenblut, das den Frauen reihenweise den Kopf verdreht.
Foto: Degeto / Hubert Mican
Der zweite Film, „Stürmische Zeiten“, erzählt die Geschichte der Einfachheit halber noch mal, wenn auch mit kleinen Variationen. An Sveas ständigen Konfrontationen mit dem Schwiegervater hat sich nichts geändert, aber sie und Peter sind mittlerweile Eltern. Joseph entpuppt sich als liebevoller Opa, was ihn nicht daran hindert, Charlotte und das Baby beim Ausflug in die Berge in eine brenzlige Situation zu bringen, die Montag aber nur halbherzig spannend inszeniert. Mit der Aktion will der Patriarch seiner Schwiegertochter ganz im Sinne von FPÖ und CSU verdeutlichen, wo seiner Meinung nach ihr Platz sein sollte. Heimlicher Star des Films ist dennoch nicht der süße kleine Wonneproppen, sondern ein Bär, der auch schon durch den ersten Teil getapert ist. Eher ein Nebenschauplatz, aber natürlich Konfliktpotenzial für etwaige weitere Filme ist Peters Erkenntnis, dass er ohne sein Wissen seit sechs Jahren einen Sohn hat; die Mutter ist seine frühere Freundin und heutige Sekretärin. Und auch die Kämpfe zwischen Svea und Joseph sind noch längst nicht ausgestanden, weshalb sein Schlusssatz durchaus als Androhung einer Fortsetzung verstanden werden kann: Die Schwiegertochter mag die Schlacht gewonnen haben, aber der Krieg geht weiter.
Die 3,5 Sterne ergeben sich aus 3 Sternen von Gangloff & 4 von Tittelbach