Ein Piefke in Wien. Und was für einer: ein 100-Prozentiger! Richard Brock ist ein Suchender, ein Zweifelnder, mitunter ein Verzweifelter. Vor zehn Jahren verlor der Psychologe seine Frau: Sie nahm sich das Leben. Weil ihn wegen einer Fehlbehandlung eine Mitschuld trifft, darf er seither nicht mehr medizinisch praktizieren. Brock arbeitet heute als Kriminalpsychologe an der Universität. Da er als Verhörspezialist gilt, wird er von der Polizei bei heiklen Fällen hinzugezogen. So ein Fall ist der Mord an einer Angestellten eines multinationalen Baukonzerns, ohne den in Wien seit Jahren nichts mehr geht und der jetzt in einen Schmiergeldskandal verwickelt ist. Die Ermordete wollte als Kronzeugin aussagen. Ihre Schwester hat den Mörder gesehen, doch sie verschließt, um sich selbst zu schützen, ihr Gedächtnis. Für Brock ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich erinnern wird. Die Frau wird unter Polizeischutz gestellt. Derweil liegt der nächste Firmenangestellte tot in einer Baugrube. Konzernchef Sand, der mit Brock zur Schule gegangen ist, spricht von Selbstmord. Brock würde darüber schmunzeln, wenn er könnte. Der Psychologe verbeißt sich in den Fall.
„Spuren des Bösen“ ist ein klassischer (Psycho-)Krimi – klar die Zeichnung der Figuren, schnörkellos der Plot, archetypisch die Spannungssituationen. Man ahnt Schlimmes, als in der Eingangsszene eine Frau eine Wohnung betritt. Sekunden später die Gewissheit: eine Leiche liegt im Raum nebenan, überall Blut, ein blutverschmiertes Messer ragt ins Bild. Ein Nackter stürmt wild entbrannt hinter der Frau her. Hektik, Todesangst, Schreie auf dem Balkon… Zur Halbzeit gibt es dann noch eine weitere, sehr viel ausgedehntere Hochspannungsszene, die nicht minder eindrucksvoll mit viel Blut, Zeitlupe und starken Affekten aufgelöst ist. In diesem stark zeichenhaften Mikrokosmos kann Heino Ferch als zwanghaft reduzierte Persönlichkeit endlich mal wieder seine Stärken ausspielen. Nina Proll als Kollegin, eine lässige Wiener Kommissarin, ist die Verbindung zum normalen Leben, das der Held längst aufgegeben hat.
Was bei der Masse durchschnittlicher Ermittlerkrimis, aber auch beim intellektuellen Hang, Krimi-Plots in thematische oder tragische Höhen zu befördern und künstlich zu verkomplizieren, im deutschen Fernsehen nur noch selten zu sehen ist, sind straight erzählte Genrefilme, die gekonnt zwischen Handlungsorientierung und starken Charakteren, zwischen Sinn und Wirkung, Kopf und Bauch vermitteln. „Spuren des Bösen“ ist so ein Film. Und Andreas Prochaska ist ein Regisseur, der diese Art von Film wie kaum ein anderer deutschsprachiger Regisseur beherrscht. Ob im Horrorfilm („In drei Tagen bist du tot“), im Öko-Katastrophenfilm („Der erste Tag“) oder im Krimidrama („Die letzte Spur – Alexandra 17 Jahre“) – Prochaska setzt auf den physischen Augenschein, er bringt das Erzählte in Form – und erzeugt so selbst aus einem wenig originellen Plot wie dem von „Spuren des Bösen“ einen dichten Spannungsfluss, der neben dem Schnitt von Daniel Prochaska nicht unwesentlich von den Bildern getragen wird. David Slamas Kamera ist nicht umsonst mit dem österreichischen Fernsehpreis „Romy“ ausgezeichnet worden. Die zweite Szene des Films, ein Verhör, das sich als Fake herausstellt, ist eine filmästhetische Studie in Sachen Kamerablick, Wahrnehmung, Stil und Sinnlichkeit. Das sollten sich die deutschen „Tatort“-Macher unbedingt anschauen. Eine „Romy“ gab es auch für den Film und das Buch.