Richard Brock (Heino Ferch) lebt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man einen wie Gerhard Mesek (Juergen Maurer) zum Feind hat. Der Ermittler bei der Wiener Kripo hat Morde in Auftrag gegeben, und er schreckt auch nicht länger davor zurück, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Vor Jahren geriet Brocks Tochter Petra (Sabrina Reiter), selbst Polizistin, bereits in seine Schusslinie. Sie überlebte das Blutbad, bei dem ein Kronzeuge ausgeschaltet wurde; Kollegen von ihr hatten weniger Glück. Das Wissen um diese grausige Melange aus Polizeigewalt und Korruption lässt Brock keine Ruhe. Zwar hat er nach über einem Jahrzehnt erstmals mit Brigitte Klein (Katrin Bauerfeind) wieder eine Frau an seiner Seite; aber eine glückliche Beziehung sieht anders aus. Brock hat im letzten Jahr den Großteil seiner Zeit damit verbracht, Beweise gegen Mesek zu sammeln. Der Psychologe hat sich eine Einheit in einem Containerlager gemietet und zum Büro umfunktioniert. Nur der ehemalige Wirt Klaus Tauber (Gerhard Liebmann), mittlerweile sein Fahrer und einziger Vertrauter, weiß davon. Brock ist von Rachegedanken erfüllt, er trägt akribisch die Fakten zusammen, zögert aber noch, den hochrangigen Beamten anzuzeigen. Die Beweise müssen wasserdicht sein. Doch Mesek hat Wind bekommen von Brocks Plänen, und spätestens als sich eine Journalistin (Ulli Maier), die Ex-Partnerin von Brigitte Klein, der brisanten Sache annimt, droht Gefahr.
Foto: ZDF / Petro Domenigg
Eine Blutspur zog sich durch die ersten acht Episoden der deutsch-österreichischen Ausnahme-Reihe „Spuren des Bösen“. Im neunten und vorläufig letzten Film mit dem Titel „Schuld“ beabsichtigt die Hauptfigur, den korrupten Wiener Polizisten zur Strecke zu bringen. Doch der Gejagte hat den Polizeiapparat auf seiner Seite und damit ganz andere Möglichkeiten in diesem Duell zweier angeschlagener Großstadtwölfe. Brock war seelisch noch nie so weit unten. Dieser Mann ist verzweifelt, weil er seine Ohnmacht im Kampf mit seinem Erzfeind spürt. Seine (Selbst-)Zweifel nähren mehr denn je seinen latenten Selbsthass. Und seine Lebenspartnerin weckt in ihm Eifersucht und Verlustängste, auch keine schönen Gefühle. Rein psychologisch gesehen ist eine Freundin in einer solchen Situation sicherlich eine schöne Illusion. Für die Wirkung der Geschichte allerdings ist die von Katrin Bauerfeind gespielte Figur von großer Bedeutung. Ihr kann Brock, der ewige Einzelgänger, die tödlichen Sachverhalte mitteilen, und so die Vorgeschichte, die sich über die ersten acht Folgen ersteckte, dem Zuschauer stimmig vermitteln. Und natürlich ist im Thriller ein geliebter Mensch immer auch ein Druckmittel, um sich den Todfeind gefügig zu machen.
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„Spuren des Bösen“ erweist sich auch auf der Zielgeraden als eine der besten Krimi-Reihen der letzten zehn Jahre. In der Regel mehr Drama als klassischer Ermittlerkrimi, ein Genreformat, dem es mehr um das Wesen des Menschen, um Gefühle und Triebe, um Obsessionen und seelische Abgründe geht als um das Überführen eines Verbrechers. Filmtitel wie „Liebe“, „Begierde“, „Schande“, „Sehnsucht“ oder „Wut“ sprechen eine deutliche Sprache. Auch für „Schuld“ hat Martin Ambrosch, Autor aller Episoden der Reihe, ein als Subtext durch die Handlung schwebendes Thema gewählt, in dem sich menschliches Verhalten manifestiert: Geheimnisse und Lügen. „Ohne Geheimnisse wäre unser Zusammenleben nicht denkbar, aber es fällt uns extrem schwer, sie verborgen zu halten“, doziert der Psychologie in einer Vorlesung an der Uni, bevor man als Zuschauer erkennt, dass er seine Lebensgefährtin absolut im Ungewissen gelassen hat über seinen Rachefeldzug und Meseks Verbrechen. Auch Brigitte Klein sagt Brock nicht die Wahrheit. Vielleicht hat er ja sogar allen Grund dazu, eifersüchtig zu sein. Ausgerechnet die Ex (?!) von ihr ist es, die ihm helfen soll im Kampf gegen Mesek. Der ist zwar laut Brock „ein Psychopath aus dem Lehrbuch“, aber auch diesen korrupten Bullen scheint sein dunkles Geheimnis, das nur sein Widersacher kennt, aufzufressen. Und am Ende scheint es so, als ob der Misanthrop Brock mehr Freunde habe als Mesek, dem offenbar seine Handlanger abhandengekommen sind.
Auch filmästhetisch ist „Spuren des Bösen“ eine Klasse für sich. Alle Episoden wurden von Andreas Prochaska („Das finstere Tal“) inszeniert, Österreichs namhaftester Genrefilmer. Die Dunkelheit, das Spiel mit Licht und Schatten, hat der im letzten Jahr verstorbene Kameramann David Slama in dieser Reihe perfektioniert. Die Bildsprache sorgt(e) für Atmosphäre und geheimnisvolle Stimmungen, spiegelt aber immer auch die Psyche des Helden: finstere Räume als die Orte, in die sich Brock in seinen dunklen Stunden zurückzieht. Diesmal ist es der Container, in dem er den Kampf gegen Mesek lange Zeit führt. Er hat diesen Ort gewählt, um nicht von ihm entdeckt zu werden. Gleichzeitig ist dieser Container eine Metapher für Brocks psychische Verfassung: ein Raum ohne Fenster, kalter Stahl, künstliches Licht – da hat sich einer sein eigenes, kleines Gefängnis gebaut. Ob und wenn ja, wie er aus diesem Gefängnis ausbrechen wird, er, der Jäger, der zwischenzeitlich zum Gejagten wird, das ist Fernsehthriller-Kunst mit den Mitteln des Dramas, getragen vom minimalistischen Spiel von den Top-Mimen Heino Ferch, Gerhard Liebmann und Juergen Maurer. Entsprechend dominieren immer wieder bildfüllende Köpfe in den dramatischen Szenen. So lässt sich erkennen, wie heftig es in den Widersachern brennt. Es herrscht regelrecht Implosionsgefahr.
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