Die alleinerziehende Katharina Jäger (Simone Thomalla) und ihr 17-jähriger Sohn Sebastian (Lucas Reiber) sind ein eingespieltes Team. Die Mutter füllt am Morgen ihrem Sohn die Müslischüssel und er isst latent pampig und dauerhandyfixiert aber dennoch einsichtig die nahrhafte Sportlermahlzeit. Dann geht der Alltag los: halsbrecherisch auf Plateaustilettos übers Kopfsteinpflaster, für die schmollmündige, eng umgürtete Mama, und mit dem Rennrad lässig über der Schulter für den smarten Sohn. Und man ahnt es schon: So wird es nicht bleiben.
Katharina hat es von der Reinigungskraft zum Housekeeper eines Leipziger Hotels gebracht, und „Basti“, der begnadete Nachwuchskicker gilt schon als zukünftiger Fußballstar. Er träumt von einer Profikarriere und natürlich steht er auf das It-Girl mit den langen blonden Haaren und nicht auf das ihn anschmachtende Mädchen mit der überdimensionierten Intellektuellen-Brille. Und man ahnt es schon: Sebastian bekommt wohl eher die Schlaue mit Brille.
Und dann ist Schluss mit dem Idyll: Die Zukunftspläne von Mutter und Sohn werden durch einen dramatischen Verkehrsunfall durchkreuzt: Sebastian kann für unbestimmte Zeit nicht mehr seine Beine bewegen und muss sich nun an einen Alltag im Rollstuhl gewöhnen. An dieser Stelle hätte „Sprung ins Leben“ noch die Chance gehabt, an Tiefe zu gewinnen und eine relevante Geschichte zu erzählen, doch leider verspielt er beinahe jede Chance auf Authentizität und Feingefühl. Die Haltung, die hier vermittelt wird, kulminiert in einer Platitude, die dem neuen Freund von Katharina, Janik Novotny in den Mund gelegt wird: „Menschen mit Behinderung können auch ein glückliches und selbsterfülltes Leben haben.“ Was wollen uns Autor Tim Krause („Weißensee“) und Regisseur Matthias Steurer („Kleine Schiffe“) wohl damit sagen? Meinten Sie vielleicht ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben?
Foto: Degeto / Hardy Spitz
Die Hoffnung von Mutter und Sohn bleibt bis zum Schluss, dass Sebastian vielleicht wieder wird laufen können. Alles zielt auf die Wiederherstellung der Unversehrtheit ab. So versucht Katharina jede erdenkliche Therapiemöglichkeit auszuschöpfen und um mehr Zeit für ihren Sohn zu haben, verzichtet sie auf ihre ersehnte Beförderung zur Hotelmanagerin und arbeitet einstweilen als Zimmermädchen. Ja, so viele Opfer verlangt das Leben einem ab… Insgesamt wirkt der Film – trotz aller wohlgemeinten Ambitionen – fast zynisch gegenüber Menschen mit einem Handicap. Glaubwürdig wird „Sprung ins Leben“ nur an den Stellen, an denen Sebastian sich von seiner engagierten Mutter erdrückt fühlt. Die Liebesgeschichte Katharinas mit dem charmanten Fassadenkletterer und Fluglehrer Janik ist recht humorvoll eingeführt, doch im Weiteren wirken die Dialoge aufgesetzt und nichtssagend: „Männer reden nicht über Gefühle. Schon gar nicht mit ihrer Mutter.“ Auf die Kernfragen dagegen gibt „Sprung ins Leben“ nur oberflächliche Antworten: Was geschieht, wenn plötzlich alle Erwartungen an die Zukunft hinterfragt werden müssen? Wie geht eine Familie damit um, wenn Träume und Hoffnungen sich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr ohne weiteres erfüllen lassen?
Der Schicksalsschlag in „Sprung ins Leben“ verändert dann eben doch nicht alles: Die Figuren verfallen gelegentlich auf bedeutungsschwere Gesten, sind aber leider wenig tiefgründig angelegt – und so können weder Simone Thomalla noch Götz Otto (der Schurke in „James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie“) zeigen, was sie können. Nachwuchsdarsteller Lucas Reiber holt das Beste aus seiner Rolle und man kann ihm nur wünschen, dass er demnächst für bessere Projekte engagiert wird. Und Regisseur Matthias Steurer sollte sich lieber stärker auf Alltagskomödien mit Mehrwert konzentrieren und sein auch in diesem Film sichtbares Können (Beiläufigkeit des Alltags, guter Erzählfluss, bewegende Flugbilder) nicht an unentschlossene Kuscheldramen vergeuden. Und was Autor Tim Krause angeht, muss man sich fragen: wie viel von seinen Ideen stecken wohl im Drehbuch und wie viel davon finden sich am Ende im fertigen Film, eine Degeto-MDR-Koproduktion? Sein Streit-Essay „Nehmt den Regisseuren die Macht!“ ist jedenfalls sehr viel klarer und präziser als das, was man bei „Sprung ins Leben“ dem Drehbuchautor zuschreiben würde. (Text-Stand: 18.2.2014)