Spreewaldkrimi – Zeit der Wölfe

Redl, Merten, Stiegler, Kirchner, Strietmann. Märchenwald voller böser Geheimnisse

Foto: ZDF / Arnim Thomaß
Foto Rainer Tittelbach

Auch „Zeit der Wölfe“, der zwölfte „Spreewaldkrimi“ (ZDF / Aspekt Telefilm), bleibt der dekonstruktiven Linie der Reihe treu. Die Narration bildet die Ereignisse nicht immer chronologisch ab. Dadurch ist man als Zuschauer gezwungen, genauer hinzuschauen. So kann man Schönes & viel Düsteres sehen und dem Bösen selbst nachspüren. Thomas Kirchner, Drehbuchautor und Schöpfer der Reihe, und Regisseurin Pia Strietmann, die eine assoziationsreiche Filmsprache wählt., erzeugen ein Geflecht an Erzählfragmenten und Bildern, das nie zu kompliziert, aber erst nach und nach durchschaubar wird. Das ist nicht wirklich anstrengend; sonst würden sich wohl kaum rund fünf bis sechs Millionen Zuschauer darauf einlassen. Bei diesem Film hat man den Eindruck, die Geschichte selbst zu lesen, sie sich von den Zeichen der äußeren Welt abzuleiten. Die damit verbundene Wahrnehmung, die mehr mit dem Eintauchen ins Kinodunkel als mit der (Psycho-)Logik „realistischer“ Fernsehfilme zu tun hat, ist & bleibt ein Alleinstellungsmerkmal der „Spreewaldkrimis“.

Nachdem sich die Wege von Kommissar Krüger (Christiian Redl) und Streifenpolizist Fichte (Thorsten Merten) getrennt haben, kreuzen sich im Spreewald schicksalhaft die Wege der unterschiedlichsten Menschen. Einem durch den Wald preschenden Motorradfahrer (Hendrik Heutmann) verschlägt es rasch die gute Laune. Zwei Forstarbeiter (David Bredin, Oli Bigalke) können nur noch dessen Tod feststellen. Außerdem ist eine Rocker-Gang in einem Wellness-Hotel in der Gegend abgestiegen. Sie nennen sich „Die Wölfe“. Auch ein richtiger, aus Polen eingewanderter Wolf treibt sich durch die Wälder und reißt Schafe. Ein Förster (Bernhard Schütz) will den Störenfried zur Strecke bringen – und hat zu diesem Zweck Überwachungs-Kameras angebracht. Krüger, der sich mit seinem Bauwagen tief in den Wald zurückgezogen hat, sieht sich in seinem Einsiedlerdasein gestört. Bald gibt es einen weiteren Toten. Einen der Forstarbeiter hat es erwischt. Offensichtlich ein Arbeitsunfall. Die Witwe (Annika Kuhl) hat einen anderen Verdacht. Dass der überforderte Fichte die Sache auf sich beruhen lassen will, weil so die Versicherung zahlt: das kann die Polizeianwärterin Luise Bohn (Alina Stiegler) nicht verstehen – hat ihr doch ihr Vater (Sascha Alexander Gersak), ein hoch angesehener Beamter bei der Bundespolizei, stets ein anderes Vorbild gegeben. Und dann ist da noch ein anonymer Gönner unterwegs, der im Spreewald Geld an soziale Einrichtungen verteilt.

Spreewaldkrimi – Zeit der WölfeFoto: ZDF / Arnim Thomaß
Polizeianwärterin Luise Bohn (Alina Stiegler) und Fichte (Thorsten Merten) müssen ohne Krüger auskommen. Zwei Tote nacheinander im Spreewald. Kann das Zufall sein? Handelt es sich tatsächlich nur um Unfälle? Die beiden machen ihre Sache gut, auch wenn die richtige Anwendung von Recht und Gesetz sie in große Gewissensnöte bringt. Erst im letzten „Spreewaldkrimi“ hat Krüger eigenmächtig Gnade vor Recht ergehen lassen. Deshalb kommt es zunächst zwischen ihm und Fichte zum Bruch.

Auch der zwölfte „Spreewaldkrimi“ bleibt der dekonstruktiven Linie der Reihe treu: Die Elemente und Motive in „Zeit der Wölfe“ kennt man aus anderen Krimis, aber sie werden nicht auf die übliche lineare Weise miteinander verbunden: Die Narration bildet die Ereignisse nicht chronologisch ab, vielmehr springt die Handlung durch die Zeit. Dadurch ist man als Zuschauer gezwungen, genauer hinzuschauen. So kann man das Schöne sehen und dem Bösen selbst nachspüren. Der Unterschied zum Gewohnten aber ist nie zu groß; sonst würden sich wohl kaum rund fünf bis sechs Millionen Zuschauer darauf einlassen. Im aktuellen Film werden die Breaks auf der Zeitachse häufig als erinnerte Rückblenden subjektiv motiviert. Auffallend ist, dass ausgerechnet Krüger, der sonst geradezu magisch das Vergangene zu erspüren und mit seiner übersinnlichen Intuition die Fälle zu lösen vermag, wenig zu den beiden Toten beisteuern kann. Sind das tatsächlich zwei Unfälle gewesen? Oder war vielleicht ein Selbstmord dabei? Und haben die Rocker etwas mit dem toten Motorradfahrer zu tun? Krüger sieht nichts als Schlappohren und freudig tanzende Hasen. Seine Imaginationskraft hat ihn verlassen. Der Kommissar selbst versteht es als Bestrafung dafür, dass er sich zuletzt (in „Tödliche Heimkehr“) über das Gesetz gestellt hat, indem er eine Mörderin hat entkommen lassen. Darüber kam es mit dem Kollegen zum Zerwürfnis. Der muss die Fälle vorerst alleine schultern – und befindet sich bald in demselben Dilemma. Auch Fichte ist verführbar.

„Dass es die Hasen in Menschengestalt geworden sind, ist eine kleine Hommage an David Lynch, den Altmeister surrealer und mystischer Filmelemente, mit dessen legendärer Fernsehserie ‚Twin Peaks‘ die ‚Spreewaldkrimis‘ unter anderem immer wieder assoziiert werden. Die Hasen machen zum einen also genau das, was sie sollen – Verwirrung stiften – und haben gleichzeitig noch eine weitere dramaturgische Funktion: Ihre Sequenzen erzählen chronologisch was geschah.“ (Wolfgang Esser, Produzent)

Spreewaldkrimi – Zeit der WölfeFoto: ZDF / Arnim Thomaß
Das Fließ bestimmt den Rhythmus auch dieses „Spreewaldkrimis“, der von einer ruhigen Erzähltonlage und von unaufgeregter Ermittlungsarbeit geprägt ist. Krüger (Christian Redl) und Förster Drilling (Bernhard Schütz). Was in „Zeit der Wölfe“ nur am Rande mitschwingt, ist die Frage, was nicht in den Spreewald gehört. Die meisten Bewohner scheinen sich darüber einig: Wölfe, Rocker und syrische Asylanten.

Autor Thomas Kirchner, der Schöpfer der Reihe, und Regisseurin Pia Strietmann, die nach herausragenden Dramen („Tage die bleiben“), Tragikomödien („Sturköpfe“) oder Komödien („Endlich Witwer“) zuletzt mit dem „Tatort – Unklare Lage“ zeigte, dass sie auch sehr gut Krimi kann, erzeugen durch die besondere Dramaturgie ein Geflecht an Erzählfragmenten und Bildern, das nie zu kompliziert, aber erst nach und nach durchschaubar wird. Die Anmutung ist vornehmlich eine düstere. Kein Sonnenlicht fällt durch die Bäume. Häufig ist es Nacht. Der Wolf heult, und der knorrige Kommissar spricht noch weniger als sonst. Und in diesem magischen Mikrokosmos ist jede Situation von Belang, auch wenn sich das erst sehr viel später erkennen lässt. Das Wechselspiel aus Vorwegnahme und Rückbesinnung ist nicht so manipulativ, wie man annehmen könnte. Zwar macht der „Autor“ des Films wie in jedem narrativen Werk eine Vorgabe, doch das ändert nichts daran, dass der Zuschauer hier stark seine eigene Phantasie einbringen kann. Diese ist eine andere als die, die Krüger abhandengekommen ist; es ist eine Einbildungskraft, die versucht, sich ihren eigenen Weg durch die Geschichte(n) zu bahnen. Und die Aufklärung der Fälle, was im „Spreewaldkrimi“ immer auch eine Klärung der Beziehungen ist, verläuft in der gewohnt ruhigen Tonlage – so wie die Polizisten ermitteln oder wie die Boote durch die Fließe gleiten. Es gibt keine umständlichen Erklärungen. So wie sich Krüger und Fichte gegenseitig klug auf die Sprünge helfen, so geht auch dem Zuschauer nach einer Szene, in der ein Unschuldiger gefoltert wird, ein Licht auf – und er sieht klar und klarer, bis zur eindringlichen Überführungsszene.

Spreewaldkrimi – Zeit der WölfeFoto: ZDF / Arnim Thomaß
Es ist nicht nur die Zeit der Wölfe, sondern auch die Zeit der Hasen. Krüger hat seine Imaginationskraft verloren. Der Kommissar sieht nichts als Schlappohren und freudig tanzende Hasen. Doch auch deren Treiben bringt nach und nach Licht ins Dunkel.

„Der Glaube an Recht und Ordnung, das Vertrauen in staatliche Strukturen zerbröselt, das eigene Gerechtigkeitsempfinden verführt zum Handeln außerhalb des Gesetzes. Krüger war da einmal verführbar, und jetzt ist es Fichte auch. Letztendlich ringen sich beide zum Standpunkt durch, dass das Gesetz für alle gelten muss, sonst würde es für niemanden gelten.“ (Thorsten Merten)

Nicht nur die narrativen Inhalte werden assoziativer kombiniert als in herkömmlichen Fernsehfilmen, auch mit der Filmsprache wird im „Spreewaldkrimi“ anders verfahren. Produzent Wolfgang Esser bringt im ZDF-Presseheft ein anschauliches Beispiel: Im Drehbuch habe sinngemäß gestanden „Krüger schaut in den Wald und sieht – nichts“. Um dem „Nichts“ Gestalt zu geben sei man auf die absurden Hasen gekommen. Von der „Bebilderung“ eines Drehbuchs, wie man sie von den TV-Routiniers kennt, ist dieser fast surreale Effekt weit entfernt. Auch gibt es zahlreiche Einzelbilder und assoziative Montagen, die die Wirklichkeit verfremden. Immer wieder gibt es Naheinstellungen, durch die urplötzlich „die Wölfe“ preschen. Das sind mehr als Sinnbilder für eine physische Bedrohung; man kann diese Bedrohung regelrecht spüren. Die Wirklichkeit wirkt in „Zeit der Wölfe“ nie nachgestellt, vielmehr generieren die Bilder ihre eigene Realität. Aber auch die Ton-Ebene bekommt ein Eigenleben. Der Score tendiert mal zur schrillen, beunruhigenden Klangcollage, mal sind wilde Streicher am Werk, mal klingt die Musik folkig, handgemacht und gefühlvoll. Aus alldem entsteht der Eindruck einer fremden, seltsamen Welt. Das Land der Fließe wird hier einmal mehr zu einem Märchenwald voller (böser) Geheimnisse. Bei diesem Film hat man – wie bei den meisten Episoden der Reihe – den Eindruck, die Geschichte selbst zu lesen, sie sich von den Zeichen der äußeren Welt abzuleiten. Die damit verbundene Wahrnehmung, die mehr mit dem Eintauchen ins Kinodunkel als mit der (Psycho-)Logik „realistischer“ Fernsehfilme zu tun hat, ist und bleibt ein Alleinstellungsmerkmal der „Spreewaldkrimis“.

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Reihe

ZDF

Mit Christian Redl, Thorsten Merten, Alina Stiegler, Sascha Alexander Gersak, Bernhard Schütz, Claudia Geisler-Bading, David Bredin, Annika Kuhl, Oli Bigalke, Hendrik Heutmann, Kai Maertens

Kamera: Philipp Kirsamer

Szenenbild: Thilo Mengler

Kostüm: Petra Fichtner

Schnitt: Sebastian Thümler

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Wolfgang Esser

Drehbuch: Thomas Kirchner

Regie: Pia Strietmann

Quote: 6,66 Mio. Zuschauer (20,3% MA)

EA: 27.04.2020 20:15 Uhr | ZDF

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