Dem Fremdblut auf der Spur
Die Sommerhitze liegt über dem Spreewald. Ein Mann rennt vor einen LKW. Er kann gerettet werden, fällt aber ins Koma. Für Kommissar Krüger heißt es, dem Fremdblut auf der Kleidung des offenbar Lebensmüden nachzugehen. Hat dieser Mann einen anderen Menschen getötet oder schwer verletzt? Krüger und seine Kollegen nehmen die Fährte auf, folgen der Blutspur und machen in einer Waldhütte einen grauenhaften Fund. „Ich hatte immer gehofft, dass mir so was wie Sie nie begegnet“ – Krüger fordert den wieder vernehmungsfähigen Mann auf, sein Geständnis aufzuschreiben. Dieser notiert mit zitternder Hand: „Mein Name ist Gottfried Richter. Ich bin 46 Jahre alt. Ich bin zum Mörder geworden…“
Foto: ZDF / Holly Fink
Ein Märchen vom Sterben der Liebe
Aus dem Geständnis wird eine Lebensgeschichte, die sich über 15 Jahre erstreckt. „Mörderische Hitze“ aus der „Spreewaldkrimi“-Reihe des ZDF rekonstruiert nicht nur einen Mord, sondern erzählt auch von einer Liebe, die lange den „Verhältnissen“ standhält, bevor sie sich vom Realitätsprinzip und vom schleichenden Wahnsinn geschlagen geben muss. Da war einmal ein Mann, der alles für seine Frau tun wollte. Er wusste um ihre Besonderheit: alle im Dorf wollten sie, er, der Vagabund, hat sie bekommen. Zum Dank wurde er sesshaft in ihrer Heimat, doch so richtig heimisch wurde er nie. Auch ein guter Bootsbauer wie sein Schwiegervater sollte er nicht werden. Und da war eine Frau, die bedingungslos zu lieben bereit war. Über alle Hindernisse hinweg – die prekäre wirtschaftliche Lage des traditionellen Bootsbauhandwerks oder die stets gegen den Schwiegersohn hetzende Mutter – hielt sie an ihrer Liebe zu diesem Mann fest. Doch als der, durchdrungen vom Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit, bald heillos infiziert war vom Virus der Eifersucht und scheinbar ergriffen vom Irrsinn, starb die Liebe. Und plötzlich lag nur noch Verzweiflung über dem Spreewald…
Autor Thomas Kirchner über das „Lass uns mal das Opfer suchen“:
„Krimis pflegen mit einem Mord zu beginnen, aber eigentlich steht der Mord ja am Ende einer Entwicklung. Er ist zeitgleich Endpunkt für den Mörder und Anfang für die Ermittlung… Ich wollte das Prinzip nicht einfach nur umdrehen, sondern beide Handlungen parallel erzählen: 1. wie es zu der Tat kam und 2. was die Ermittlungen beim Team auslösen. Der Mord ist das verbindende Element zweier Geschichten – die eine findet ihr Ende, die andere setzt genau dort ein.“
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Menschliche Abgründe, politische Gegensätze
„Mörderische Hitze“ ist der sechste „Spreewaldkrimi“. Der erste, „Das Geheimnis im Moor“ (2006), war ein Einzelstück, getragen von einer magisch-verwunschenen Landschaft, die das Timing des Films bestimmte. Das Leben im Spreewald ist ein langer, ruhiger Fluss. Weil dieser und auch der zweite Film, „Der Tote im Spreewald“, trotz komplexer Erzähltechnik erfolgreich waren bei Zuschauer und Kritik, wurden die Krimidramen aus dieser archaischen Landschaft zur Reihe. Märchenhaft wirkten alle bisherigen Filme: der erste Hochsommerfilm nun ist ein Märchen durch und durch – ein düsteres Märchen über das Absterben von Gefühlen, das in menschliche Abgründe blickt und gesellschaftliche Realität im Vorbeigehen aufzeigt. „Die arbeiten hier als Ich-AGs; das spart die Lohnnebenkosten, und von Tarif ist überhaupt keine Rede mehr“, wirft Fichte, der Polizist mit der Ost-Vergangenheit, vermeintlich beiläufig ins Gespräch mit „Wessie“ Krüger, der ungehalten reagiert: „Diese allgegenwärtige Larmoyanz, die geht mir dermaßen auf den Sack. Hören Sie auf zu jammern!“
Ein Wiedergänger des italienischen Neorealismus’
Was werden kann aus einem, der auszieht, die Liebe zu leben, das Leben zu meistern und ein guter Mensch und ein soziales Wesen zu bleiben, das kann man an der Geschichte von Gottfried Richter sehen. Da ist die Urangst, seine Familie nicht mehr ernähren zu können. Da ist ein (Ausbeutungs-)System, mit dem dieser Mensch nicht klar kommt. Da wachsen kranke Gedanken… Und plötzlich brennen die Sicherungen durch. Erzählt wird das nicht als hüftsteifes Lehrstück, sondern als vitales, physisch gespieltes Menschendrama. Christian Redl, Roeland Wiesnekker, Christina Große – drei markante Gesichter, die mit der Landschaft mithalten können. „Mörderische Hitze“ wirkt wie ein Wiedergänger des italienischen Neorealismus’: der Mensch in der Landschaft, das Soziale als Triebkraft der Seele und alles spielt draußen in der Natur, an der frischen Luft… Allerdings ist der Film von Kai Wessel, meisterlich fotografiert von Holly Fink („Mogadischu“), heutig erzählt: mit einem bizarren Montage-Stil, cooler amerikanischer Bildsprache & der Mythologie einer Zauberlandschaft.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Gemäßigte Geschwindigkeit, komplexe Verschachtelung
Für „Mörderische Hitze“ fand nun dasselbe Team (Hauptdarsteller, Regie, Kamera, Schnitt, Ton, Musik) zusammen wie vor acht Jahren beim ersten „Spreewaldkrimi“. Thomas Kirchner hat alle Drehbücher geschrieben – verschiedene Jahreszeiten, leichte Genre-Variationen, dezent verschobene Tonlagen. „In der Ruhe liegt die Kraft“ – diese Lebensweisheit spricht sowohl aus der Landschaft als auch aus Christian Redls wunderbar stoisch gespieltem Kommissar Krüger. Die gemächliche Geschwindigkeit ist ein Erkennungszeichen der Filme, aber auch die komplexe Verwobenheit der Zeitebenen. Daraus entsteht im neuen Film eine besonders kontemplative Erzählhaltung. Mehrfach schieben sich innerhalb einer Einstellung Situationen verschiedener Zeitstufen ineinander. Da schöpft beispielsweise in einer Szene das gebeutelte Paar vor der Hütte am Hochwald noch einmal Hoffnung, bevor die Kamera nach oben schwenkt und Krüger und Fichte ins Visier nimmt, wie sie durchs Flies staken und ihrerseits die Hütte erspähen, in der den beiden das Grauen begegnen wird. Dieses Prinzip, wie auch die fließende Verbindung zwischen Ist-Zeitebenen und Rückblenden, entspricht Krügers übermäßigen Einfühlungsvermögen. Durch die Weichheit der Bewegung zieht diese Splitterdramaturgie den Zuschauer in diese sonderbare Erzählung hinein, versetzt ihn in eine ungewöhnliche Stimmung, bringt ihn nach & nach der Aufklärung des Falls ein Stück näher, ohne ihm am Ende nur das zu bestätigen, was er sich am Anfang schon zusammengereimt hat… Gut, dass das ZDF weitermacht. Der siebte „Spreewaldkrimi“, Regie Sherry Hormann, ist abgedreht, der achte befindet sich in Vorbereitung. (Text-Stand: 14.4.2014)