Ertrunken im Fließ? Herzversagen im Hotel? Kommissar Krüger glaubt nicht an solche naheliegenden Todesursachen. Er weiß, wozu Menschen in der Lage sind, und er weiß um die Schicksalhaftigkeit des Spreewalds. Sein Beruf ist ihm Passion. Er lebt sich hinein in die beiden Fälle, die bald zu einem Fall verschmelzen. Schlangengift ist im Spiel. Mit sonderbaren Menschen bekommt er es zu tun: mit einem auf sein Recht pochenden Alteigentümer, der auf Rückgabe des von der DDR verstaatlichten Familieneigentums klagt, mit einer tief im Spreewald wohnenden Hebamme, die ihre „Kinder“ überlebt, mit einem ehemaligen Parteisekretär, der sich Grundstücke erschlichen hat und der sich – Alzheimer sei Dank – an nichts mehr erinnern kann. Und dann ist da noch diese Frau, die Tochter einer der beiden Toten, der im Hotelschloss Lübbenau eines Morgens nicht mehr aufwacht. Sie folgt den Aufzeichnungen ihres Vaters, der im Spreewald seinen familiären Wurzeln nachspürte, bevor sie ihm zum Verhängnis wurden. Krüger ermittelt nicht klassisch – vielmehr lässt er die Geschichten auf sich zukommen, er hört in die Menschen hinein, er liest die Zeichen.
Eine Schlange schlängelt sich durchs Wasser. Tote Ringelnattern als Boten des Todes. Eine Kobra auf Tuchfühlung. Ein Schizophrener schlüpft in die Rolle, ja in die Haut eines Fabelwesens, des Schlangenkönigs. „Eine tödliche Legende“, der vierte „Spreewaldkrimi“ im ZDF, transzendiert das Genre, in dem Mord, Verbrechen und Unrecht für gemeinhin regieren, in die phantasievollen Sphären von Mythen, Märchen und Legenden. Die Spurensuche wird nur anfangs von Pathologie und Kriminalbiologie begleitet, später dominieren andere Wege der Erkenntnis: die Suche nach dem Mörder, die bei diesem Kommissar immer auch etwas mit Ahnung, mit Eingebung zu tun hat, wird zu einer Suche nach Geschichten, nach politischer Realität, nach Biographie, nach archaischem Brauchtum. Ein tiefes Verständnis von Geschichtlichkeit prägt auch (und besonders) diese Spreewald-Todesmär. Bei Thomas Kirchner schreibt sich die Vergangenheit magisch und vor allem umfassend in die Gegenwart ein – da fällt nicht irgendein beliebiger Schicksalsschatten auf das Hier und Jetzt, da wird niemand von der Vergangenheit eingeholt. So abgedroschen diese Metaphern – so abgedroschen werden sie in zu vielen TV-Krimis, die Krimidramen sein wollen, beschworen. In „Eine tödliche Legende“ werden alle Erzählmotive stimmungsvoll in ein atmosphärisches Ganzes eingewoben. Die Geschichten entwickeln sich langsam und doch machen sie einen nicht ungeduldig – zu geheimnisvoll, zu sinnlich prall sind die Szenen, die Details. Und obwohl viel Mysteriöses in diesem Film steckt, wird ihn am Ende wohl kein Zuschauer als Humbug abtun, wie es oft bei Mystery-Stoffen im Fernsehfilm-Gewand vorkommt.
„Sagen und Legenden sind die frühesten Erzählungen, in denen sich die Sehnsüchte und Ängste der Menschen spiegeln – auch hier, in diesem Film: Verunsicherung, unruhige Zeiten, Auswirkungen einer Umbruchszeit, Gesellschaftssysteme wurden etabliert und gingen unter, es geht um ‚das Land, unsere Existenz’, um Enteignung und Rücküberführung.“ (Thomas Kirchner)
Dem klugen dramaturgischen Konzept steht die Inszenierung von Torsten C. Fischer in nichts nach. Die nonverbale Rhetorik des (Ver-)Zögerns, das das Handeln der nachdenklichen Figuren auszeichnet und das in anderen Filmen allzu häufig artifiziell und manieriert wirkt, passt zu jenem Ermitteln des sinnlichen Augenscheins, in dem sich Zeitebenen und Blicke ungewöhnlich kreuzen. Die Wahrnehmung wird quasi zum Mittel der Erkenntnis. In diesem System funktioniert sogar „Schönchen“ Muriel Baumeister, gestreng frisiert und mit einem Blick, der Tote weckt, überraschend gut. Und sonst: jeder Schauspieler, jede Figur ein seltsames Wesen – und doch: ein Ensemble aus einem Guss. Die technisch-dramaturgischen Voraussetzungen für den homogenen Eindruck, den auch die nicht minder komplexe Filmästhetik inklusive Montage hinterlässt, hat der Regisseur sehr anschaulich im Presseheft beschrieben: „Drei Zeitebenen begegnen sich hier, stoßen aufeinander, durchmischen sich und verschmelzen miteinander. Wir haben uns dazu entschlossen, die Zeitenebenen und das Gefühl dafür in einen eher selbstverständlichen Fluss zu versetzen, die Orte binden und speichern quasi Gegenwart wie Vergangenheit, sind die Bühne des Geschehens und der Ereignisse, die zu durchreisen sind.“ Und die Landschaft, die da durchreist wird, spielt auch ästhetisch eine Rolle: Der Spreewald entwickelt eine eigene Realität, ein Stück urwüchsige Natur, verwunschen und entrückt zugleich, ein Kosmos, dem nicht mehr bedeutungsvolle Schwere aufgeladen wird, als einem Fernsehfilm gut tut. Auch hier: ein gut austarierter Mix aus Sinn und Sinnlichkeit, magisch in seiner Wirkung. (Text-Stand: 3.9.2012)