Er war ein maßloser Machtpolitiker und ein karrieresüchtiger Architekt. Als Hitlers ergebener Baumeister machte Albert Speer sich einen Namen. Er veranlasste die Deportation zehntausender Berliner Juden. Als Rüstungsminister ließ er an der Heimatfront ein Heer von Zwangsarbeitern unter unmenschlichen Bedingungen für den Endsieg schuften und verlängerte so den Krieg. Er war direkt an Bau und Erweiterung von Konzentrationslagern beteiligt. In die Geschichtsbücher aber ist Speer nicht als Kriegsverbrecher eingegangen, sondern als Gentleman-Nazi, als unschuldig Schuldiger. Er gilt im Gegensatz zu anderen Nazi-Größen, die keinerlei Reue an den Tag legten, als der einsichtige Büßer.
Nach seinem Meisterwerk über die Mann-Dynastie wollte Heinrich Breloer eine andere deutsche Familiengeschichte erzählen. „Die Speers sind ja nicht wie die Manns aus dem Land getrieben worden, sondern waren Nutznießer der Diktatur.“ Speer, der treue Gefolgsmann Hitlers, ist für ihn „ein Mann mit Drang nach oben, dem es um seine Rolle in der Geschichte geht, um Ansehen und Größe.“ Breloer zeigt seine beiden Protagonisten in Symbiose. Jeder komplettiert sich durch den anderen: Speer sonnt sich im Glanze Hitlers, und Hitler ist angetan von Speers Formwille und großbürgerlichem Auftreten.
Bei „Speer und Er“ verwendet Breloer weniger Dokumentarmaterial als gewohnt. Bei den Interviewpartnern beschränkte er sich auf den Kreis der Familie. Drei der sechs Kinder Speers sollen sich stellvertretend für ihre Generation noch einmal „hinein fantasieren“ in die Zeit- und die eigene Familiengeschichte. „Ich habe alles, was mit diesem Vater zusammenhängt, weggeschoben“, sagt Sohn Arnold. Der große Bruder, der weltläufige Architekt Albert Speer junior erinnert sich an die Besuche im Spandauer Gefängnis: „Das waren die längsten halben Stunden, die ich je erlebt habe.“ Die Kinder schonen den Vater nach der Haftzeit. Auch bei ihren Statements im Film spürt man, dass der Kriegsverbrecher immer auch Vater bleibt. Als Breloer bei Tochter Hilde Schramm nachfragt, was der Vater im Nürnberger Prozess wohl alles verschwiegen habe, winkt sie sichtlich bewegt ab: „Das möchte ich jetzt hier nicht sagen. Das sollen die Historiker sagen.“
Für Breloer ist „Speer und Er“ ein weiterer Schritt in Richtung Spielfilm. Die Frage der Hauptdarsteller wurde für ihn zur dringlichsten Aufgabe. Die in historischen Rollen erfahrenen Sebastian Koch und Tobias Moretti bekamen den Zuschlag. „Bei den beiden flackert etwas auf, das mehr ist als ein Arbeitsverhältnis“, merkte Breloer beim Casting. Moretti überlegte lange, bis er zusagte. „Einen Wahnsinnigen zu zeigen wäre mir ein Gräuel gewesen.“ Er wollte Hitler als Mensch darstellen, als einen, der andere verführt. Nicht einfacher war Speer zu spielen. Der Film beginnt mit dem Charmebolzen, reproduziert damit das Image, an dem er in seiner 20-jährigen Haftzeit selbst gebastelt hat. Doch nach und nach fallen Schatten auf den Sunnyboy des Dritten Reichs. „Er hat das Elend nie in vollem Ausmaße gesehen, die Opfer waren für ihn Zahlen, ein kleiner Knick in der Statistik hinter ihm an der Wand“, glaubt Koch. Breloer sieht bei Speer „die perfekte Maske des Menschlichen“. Sein Geständnis, „ich hätte wissen können, wenn ich gewollt hätte“, die Dämonisierung Hitlers und seine kalkulierten Selbstzweifel ließen ein Bild des Ehrenmannes entstehen, an dem Kritik abprallte. Speer zimmerte sich seinen eigenen Mythos und schrieb sich selbst ein ins Buch der Geschichte.
„Speer und Er“ ist ein sehr aufwändiger Dreiteiler mit einer 90minütigen dokumentarischen Zugabe. 12,5 Millionen Mark kostete das ARD-Großprojekt, an dem Breloer fast vier Jahre gearbeitet hat. Der Film beginnt im ersten Teil mit dem Wahn, dem 1000-jährigen Reich architektonische Denkmäler setzen zu wollen. In den Trümmern des Krieges und auf der Anklagebank der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse findet der perverse Traum ein jähes Ende. Im dritten Teil, währt Breloer Einblick hinter die Spandauer Gefängnismauern, zeigt den Beziehungsstress der Nazi-Bonzen und den Überlebensstrategen Speer. Breloer ist ein großer Wurf gelungen. Schwer wird es nur für die Zuschauer, die die Rolle Speers weder im Dritten Reich noch nach 1945 kennen. Wer nicht weiß, dass er Vorbild-Verdränger und Entlastungszeuge für die Seele der Nation („Wenn der da oben von alledem nicht gewusst hat, dann mussten wir auch nichts wissen!“) war, der wird Schwierigkeiten haben, vieles im Film richtig einzuordnen. Der wird vielleicht mit dem überragenden Sebastian Koch in Spandau mitleiden und Speer bewundern. Ein anspruchsvoller Film für ein anspruchsvolles Publikum.