Seit sich die Menschen ihrer Sterblichkeit bewusst sind, klammern sie sich an die Hoffnung eines Lebens nach dem Tod. Der Gedanke, ob es ein Dasein vor der Geburt gegeben habe, taucht dabei so gut wie nie auf; und genau darum geht es in dieser Serie. Zunächst erzählt „Souls“ jedoch eine typische Zeitschleifen-Geschichte: Allie Kleyn (Julia Koschitz) erwacht am Morgen des 31. Oktober 2006 um 7.23 Uhr und hat nun einen Tag Zeit, um das Leben ihres Mannes zu retten. Leo (Laurence Rupp) ist Pilot und wird in der Nacht mit seiner Passagier-Maschine auf dem Weg nach Kanada spurlos verschwinden. Die schwangere Allie scheitert stets aufs Neue bei ihrem Versuch, Leo davon zu überzeugen, dass er nicht starten soll.
Aus Sicht der Serie ist dies alles jedoch Vergangenheit. Die Gegenwart gehört Jacob (Aaron Kissiov). Der Junge ist 14 und besucht eine Berliner Schule. Hier wird jedes Jahr am 31. Oktober eine Gedenkfeier veranstaltet, denn unter den 130 Opfern von Flug 2205 war der komplette Chor, und hier gilt Leo als Held: Das Flugzeug, heißt es, sei damals von Terroristen gekapert worden, aber die Menschen an Bord hätten dafür gesorgt, dass die Maschine nicht in ein Gebäude gelenkt wird, sondern in den Atlantik stürzt. Jacob weiß es besser. Seit einem traumatischen Erlebnis, bei dem er beinahe ertrunken wäre, ist er sich seines Vorlebens bewusst: Er war Leo, und es waren keine Terroristen an Bord. Der Absturz war keine Heldentat, sondern das Ergebnis menschlichen Versagens.
Foto: Sky / Nik Konietzny
Es gibt sogar eine Person, die das bestätigen kann, aber die Fluggesellschaft hat sich damals lieber für die Legende entschieden: Letztlich waren falsche Berechnungen des zuständigen Flugdienstberaters (Aleksandar Jovanovic) die Ursache dafür, dass Flug 2205 nie in Kanada ankommen konnte. Dieser Sebastian ist das Bindeglied zur dritten Ebene. Sie spielt 2031, der Absturz jährt sich zum 25. Mal. Sebastian ist mittlerweile eine Art Guru, der den Mitgliedern seiner Sekte eine „Rückführung“ verspricht: Zum Abschluss einer ritualisierten Prozedur, bei der Drogen und Psychotricks eine erhebliche Rolle spielen, werden sie mit der Erkenntnis belohnt, dass das Leben nicht mit der Geburt beginnt und nicht mit dem Tod endet. Der jungen Journalistin Linn (Lili Epply) ist es gelungen, sich in die Sekte zu schmuggeln. Sie will rausfinden, wie Sebastian seine Gefolgschaft manipuliert, und ihn als Scharlatan enttarnen.
Ihre Handlung erzählt die auf einer Idee von Produzent Malte Can basierende Serie nicht gradlinig. Die verschiedenen Zeitebenen sind dank des Schnitts sowie mitunter verblüffender Übergänge kunstvoll miteinander verwoben; mal ergänzen sie sich, mal stellen sie sich gegenseitig in frage. Die acht Folgen enden stets mit einer neuen erstaunlichen Erkenntnis, stecken aber auch zwischendurch voller Überraschungen. „Souls“ ist beim Festival „Canneseries“ für das das beste Drehbuch geehrt worden. Das legt die Schlussfolgerung nahe: Die Inszenierung war dann offenbar keine Auszeichnung wert. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Schon allein die Bildgestaltung (Carlo Jelavic, Franz Lustig) ist preiswürdig. Die Leistung des Ensembles ist ausnahmslos vorzüglich, zumal alle Rollen treffend und oft namhaft besetzt sind. Ausgerechnet hier liegt die einzige Schwäche: Die Erzählstränge mit Jacobs geschiedenen Eltern – Vater Vincent (Godehard Giese) ist einsam, Mutter Hanna (Brigitte Hobmeier) hat nun eine Freundin – sind unnötig ausführlich. Ihre Überschneidung ist zwar spektakulär, aber beide führen vom Handlungskern weg. Dass die Serie in der Mitte leichte Durchhänger hat, liegt auch an den vielen Szenen mit dem Kegelbahnclub, zu dem beide gehören. Komplett überflüssig sind zudem in den ersten Folgen Allies Off-Kommentare.
Foto: Sky / Nik Konietzny
Jederzeit fesselnd sind dagegen die Szenen mit Aaron Kissiov und Lili Epply. Beide sind bereits früher positiv aufgefallen: er als junger Tatzeuge im ersten „Tatort“ aus Freiburg („Goldbach“, 2017), sie als Freibadschönheit in Friedemann Fromms Antikriegsfilm „Die Freibadclique“ (2017) sowie als Kellnerin in Nikolaus Leytners Tragödie „Südpol“ (2019). Während Kissiov den in sich gekehrten Jacob mit einer Aura tiefer Düsternis versieht, hat die Österreicherin ein deutlich größeres Spektrum zu bewältigen, denn Linn (in jungen Jahren ebenfalls eindrücklich von Isabel Gerschkes Tochter Renée verkörpert) hat ein sehr persönliches Motiv, um Sebastian auf die Schliche zu kommen: Wer an ein Weiterleben im Jenseits glaubt, verliert im Diesseits die Kraft, um gegen eine tödliche Krankheit zu kämpfen. Aleksandar Jovanovic verkörpert diese faszinierende Schlüsselrolle als zunehmend ausgezehrte Mischung aus Heilsbringer und Dämon; mit jeder „Rückführung“ scheint Sebastian ein Stück Lebenskraft zu verlieren. Das abschließende Kapitel, in dem sich ein weiterer Kreis schließt, erfreut durch einen kleinen Besetzungsknüller, und zum Schluss gelingt der Serie das Kunststück, mit einem einzigen Wort eine Gänsehaut entstehen zu lassen.
Kreativer Kopf hinter „Souls“ ist Alex Eslam, der sich die Regie mit Hanna Maria Heidrich geteilt hat und als erster Drehbuchautor genannt wird. Zum Schreibteam gehörte zudem Grimme-Preisträger Erol Yesilkaya („Tatort: Meta“, 2017); die beiden waren auch gemeinsam für einen Dresdener Hochspannungs-„Tatort“ („Das Nest“, 2019) verantwortlich. Eslam hat sein beachtliches Talent bereits mit seinem Regiedebüt „Bissige Hunde“ (2015) bewiesen. Die gerade für ein Erstlingswerk erstaunlich stilsichere Thrillertragödie hat ebenfalls durch eine herausragende Bildgestaltung (schon damals Carlo Jelavic) beeindruckt. Bemerkenswert bei „Souls“ ist zudem die sehr besondere Musik (Dascha Dauenhauer); auch dafür gab es in Cannes einen Preis. Sky Atlantic zeigt die Serie dienstags in Doppelfolgen.